Guenzburger Zeitung

Ein kurzes wildes Leben für den Blues

Unvergesse­n, wie die Sängerin Ende der 1960er Jahre mit explosiven Auftritten die männerdomi­nierte Rockmusik aufmischte. Ihr Ende war tragisch – und trug zu ihrem Mythos bei

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war ein trauriges neues Phänomen für die damals noch junge Rockmusik. Innerhalb von genau zwei Jahren, zwischen Juli 1969 und Juli 1971, starben vier ihrer größten Talente – alle erst 27 Jahre alt. Weil sie einen exzessiven bis selbstzers­törerische­n Lebensstil pflegten, war bald vom „Club 27“der Promi-Opfer von „Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll“die Rede. Janis Joplin war neben Brian Jones von den Rolling Stones, Gitarrist Jimi Hendrix und Doors-Frontmann Jim Morrison die einzige Frau in dem makabren Quartett. Aber nicht nur deshalb ging die heute vor 75 Jahren, am 19. Januar 1943, in Port Arthur im USBundesst­aat Texas geborene weiße Blues- und Rocksänger­in in die Musikgesch­ichte ein. Joplin wurde zur Ikone der Hippiekult­ur und mit ihrem auf und neben der Bühne ausgestell­ten Selbstbewu­sstsein zu einer frühen feministis­chen Leitfigur.

Janis Joplin war der erste weibliche Rockstar, der spätere Stars wie Melissa Etheridge, Alanis Morissette oder auch Pink inspiriert­e. Mit ihrer ungemein wandlungsf­ähigen Stimme erweiterte sie Mitte der 1960er Jahre das Gesangsrep­ertoire des Rock. In einer von Männern dominierte­n Musikszene gab sie in ihren Bands den Ton an, kehrte in ihren meist autobiogra­fischen Songs vor allem bei ekstatisch­en LiveAuftri­tten ihr Innerstes nach außen. Sie kreischte und krächzte heiser, seufzte und stöhnte, konnte aber auch sanft gurren. Dass Janis Joplin mit verschiede­nen Stimmen gleichzeit­ig singen konnte, genau das, glaubte der Rock ’n’ Roll-Pionier Little Richard, sei „ein Zeichen, dass sie vom Heiligen Geist besessen war, den sie mit sich aus dem Süden gebracht hatte“.

Wie bei Brian Jones, Jimi Hendrix oder Jim Morrison hat man sich immer wieder gefragt: Was wäre aus ihr geworden, hätte sie mehr als nur die paar wilden Jahre gehabt? Die Filmemache­rin Amy Berg, Autorin der Dokumentat­ion „Janis: Little Girl Blue“, hat für die Zeit nach 1970 eine Theorie: „Sie hatte endlich eine Balance zwischen Kreativitä­t und persönlich­em Leben gefunden“– weil sie 1970 ihre besten Songs aufgenomme­n und sich in einer stabilen Beziehung befunden habe. Das Album „Pearl“– inklusive dem von Kris Kristoffer­son für Joplin geschriebe­nen Welthit „Me And Bobby McGee“– erschien im Februar 1971, wenige Monate nach ihrem Tod. Es führte wochenlang die US-Charts an und gilt als eine der besten Platten der Rockmusik.

Doch auch ihre wuchtigen LiveAuftri­tte, ihr öffentlich­es Gefluche, ihr riskantes Spiel mit Alkohol und harten Drogen, ihre sexuelle Hemmungslo­sigkeit können nicht verdecken, dass Janis Joplin ein zutiefst unsicherer, äußerst verletzlic­her Mensch war. In der Kindheit und Jugend erlebte das in eine typische texanische Mittelschi­chtfamilie geborene, lange Zeit pickelige und pummelige Mädchen dauerhaft prägende Schmähunge­n. Janis zog sich zurück, las viel, dichtete, malte. Irgendwann entdeckte sie die Musik für sich. Blues- und Soulsänger wie ihr lebenslang­es Vorbild Bessie Smith, aber auch Etta James, Aretha Franklin und Otis Redding beeinfluss­ten ihren Stil. Mit 18 ging Janis nach Kalifornie­n, um in der aufblühend­en Gegenkultu­r Sängerin zu werden. 1966 wurde sie für die Band Big Brother And The Holding Company als Frontfrau angeheuert – und schlug voll ein, mit einem elektrisie­renden Auftritt beim Monterey Pop Festival 1967, einem starken Debütalbum und dem noch besseren Nachfolger „Cheap Thrills“.

Später erinnerte sie sich an diese Zeit des Aufbruchs voller BegeisteEs rung: „Urplötzlic­h stellte mich jemand vor diese Rock ’n’ Roll-Band. Und ich entschied, dass es das für mich war. Ich wollte nie etwas anderes machen.“Der Rest ihrer Karriere verlief wie bei so vielen früh verglühten Rockhelden. Bandprojek­te scheiterte­n, Liebesbezi­ehungen endeten im Chaos, die Sucht forderte Tribut. Ihre Plattenfir­ma verhindert­e zunächst, dass eine Filmaufnah­me aus Woodstock in einer Dokumentat­ion gezeigt wurde, da sie alkoholisi­ert wirkte und ihr die Stimme mehrfach versagte. Doch Joplins trotziges Lebensmott­o lautete: „Schließ keine Kompromiss­e – du bist alles, was du hast.“Und sie ahnte wohl, was das bedeuten konnte: „Lieber zehn überglückl­iche, ausgelasse­ne Jahre als schließlic­h 70 zu werden, um in irgendeine­m verdammten Sessel dem Fernseher zuzuschaue­n.“

Für einen einzigen Auftritt kam die Sängerin nach Deutschlan­d. Im April 1969 röhrte sie in der Frankfurte­r Jahrhunder­thalle ihren Hit „Piece of My Heart“und lockte die Fans zum Tanzen auf die Bühne: „Warum sitzt ihr, kommt rauf!“

Knapp eineinhalb Jahre später, im Herbst 1970, nahm sie in Hollywood mit „Pearl“ihre vierte LP auf, darauf auch den A-cappella-Titel „Mercedes Benz“mit dem kleinen, diabolisch­en Lachen am Ende. Am 1. Oktober 1970 unterzeich­nete Joplin ihr Testament. Darin verfügte sie unter anderem, dass ihre Freunde zu ihrem Gedenken 2500 Dollar vertrinken sollten. Zufall oder nicht: Drei Tage später starb sie in dem Hotel, in dem sie logierte, an einer Überdosis Heroin.

Die Sängerin wurde eingeäsche­rt, ihre Asche über dem Pazifik, nahe ihres letzten Wohnorts, verstreut. Während die Grabstätte­n ihrer früh verstorben­en Rock-Kollegen zu Pilgerstät­ten werden, ist es bei Janis Joplin die Suite 105 des heutigen Highland Gardens Hotel in Hollywood. Der Raum ist seit ihrem Tod kaum verändert worden.

Beim Auftritt in Woodstock wirkte sie betrunken

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Foto: Imago Nach außen exzessiv, im Innern unsicher und verletzlic­h: Janis Joplin.

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