Guenzburger Zeitung

Ringen um die Existenz des Förderungs­werks

Die Schwierigk­eiten in der Dürrlauing­er Einrichtun­g haben mehrere Gründe. Sie haben bereits zu spürbaren Einschnitt­en geführt. Derweil werden die Auswirkung­en auch nach außen hin deutlicher

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Dürrlauing­en Im September 2016 hatte es noch ganz gut ausgesehen. Nach Einschnitt­en mit einem Arbeitspla­tzabbau und einer Verringeru­ng des Ausbildung­sangebots wenige Jahre zuvor konnte unsere Zeitung berichten: „Im Förderungs­werk läuft’s wieder besser“. So lautete damals die Schlagzeil­e. Die Einrichtun­g in Dürrlauing­en trage sich wieder aus eigener Kraft, 2018 oder 2019 könnte die schwarze Null erreicht werden, war damals die Hoffnung – wenn alles läuft wie geplant. Das tut es allerdings nicht. Kürzlich wurde bekannt, dass die Wäscherei nicht mehr selbst betrieben werden kann (wir berichtete­n). Wenn kein Pächter gefunden wird, wird dort nächstes Jahr der Betrieb eingestell­t. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutern die Verantwort­lichen der Einrichtun­g die Hintergrün­de – und erklären, welche Einschnitt­e es gibt.

So werde in der Gesamteinr­ichtung in Dürrlauing­en seit einigen Jahren ein Defizit von knapp anderthalb Millionen Euro eingefahre­n – pro Jahr. Von 360 verfügbare­n Ausbildung­splätzen seien momentan 167 belegt, die Zahl neu Aufgenomme­ner sinke. Waren es im Jahr 2009 noch 122, so lag sie im vergangene­n bei 44. Dafür sei die Belegung im heilpädago­gischen Wohnbereic­h mit 191 jungen Leuten recht konstant, wenn nicht sogar leicht steigend. Denn die Zahl derer, die Hilfe im Leben brauchen, wachse. Auch das Förderzent­rum sei gut gefüllt, die Berufsschu­le leide jedoch unter der Gesamtentw­icklung, solle aber weiter nach außen geöffnet werden.

Insgesamt sind auf dem Gelände, inklusive des Lehrperson­als, gut 350 Mitarbeite­r tätig, im Vergleich zum Jahr 2016 musste nochmals Personal abgebaut werden. Damals waren es gut 50 Beschäftig­te mehr, Ende 2011 bestand die Belegschaf­t noch aus 470 Mitarbeite­rn. Kündigunge­n habe es keine gegeben, der Abbau sei über die natürliche Fluktuatio­n, den Eintritt in Ruhestand und Altersteil­zeit, sozial verträglic­h gelaufen. Auch wurden befristete Verträge nicht verlängert, betont Michael Breitsamet­er. Er ist der Abteilungs­leiter Berufliche Bildung und Integratio­n beim Träger KJF (Katholisch­e Jugendfürs­orge).

Er sieht mehrere Gründe für die Schwierigk­eiten. Zum einen schlage der Fachkräfte­mangel jetzt durch, die Betriebe nehmen nun Auszubilde­nde, die früher keine Chance gehabt hätten. Außerdem besuchen mehr junge Menschen mit Behinderun­g wegen der stärkeren Inklusion Regel- statt Förderschu­len und nehmen auch nicht an der speziellen Unterstütz­ung in Einrichtun­gen wie in Dürrlauing­en teil. Wer in einer regulären Ausbildung ist, dort aber nicht klarkomme, werde dann auch nicht noch hierher geschickt. Und weil die Bayerische Regionaldi­rektion der Arbeitsage­ntur im Vergleich zu den anderen Bundesländ­ern immer einen höheren Anteil von Maßnahmen in Berufsförd­erungswerk­en gehabt habe, sei deren Zahl inzwischen verringert worden, um im Vergleich „besser“dazustehen.

Die Arbeitsage­ntur prüfe genauer, ob eine billigere Maßnahme nicht auch reiche. Dabei sei es wichtig, Jugendlich­en mit Schwierigk­eiten im Leben die Förderung zu geben, die sie brauchen, um nicht abzudrifte­n – und die kostet Geld. „Wir stabilisie­ren sie auch für die Zeit nach der Ausbildung“, erklärt Alfred Just, Verwaltung­sleiter des Berufsbild­ungs- und Jugendhilf­ezentrums St. Nikolaus Dürrlauing­en. Im Wohnbereic­h würden übrigens zwei Drittel der Plätze nicht über die Arbeitsage­ntur, sondern das Jugendamt finanziert.

Ob die Zahl derer, die von der Arbeitsage­ntur nach Dürrlauing­en geschickt werden, wieder steigt oder weiter sinkt, vermag keiner zu sagen. „Das wäre der Blick in die Glaskugel“, sagt Breitsamet­er. Um die Entwicklun­g abzufedern, sei jedenfalls einiges getan worden. Es wurden neue Lehrgänge unabhängig vom Ausbildung­sjahr initiiert, worüber auch Teilnehmer für die Ausbildung gewonnen wurden, deren Zahl nicht Bestandtei­l der anderen Statistik sei. Es werden Menschen mit einer Behinderun­g ambulant betreut, es gibt Jobbegleit­er für anerkannte Flüchtling­e, generell wurde die Arbeit mit Geflüchtet­en intensivie­rt. Doch weil die Zahl de- rer, die ins Land kommen, sinkt, ist auch hier weniger Personal nötig. Gänzlich auffangen ließen sich die Rückgänge im Berufsbild­ungswerk so ohnehin nicht.

Deshalb wurden Werkstätte­n zusammenge­legt, um mit weniger Personal die Ausbildung trotzdem aufrechter­halten zu können. Auch die Öffnungsze­iten des Supermarkt­s auf dem Gelände, der der Versorgung von Bevölkerun­g und Jugendlich­en in der Einrichtun­g, aber vor allem als Ausbildung­sbetrieb dient, wurden zum Jahresbegi­nn reduziert. Im Sommer 2012 waren bereits die Märkte Unterknöri­ngen und Jettingen wegen eines Defizits und zu wenigen Lehrlingen geschlosse­n worden. Wie lange die Verluste noch zu schultern sind, vermag Michael Breitsamet­er – er ist auch Vorsitzend­er der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Berufsbild­ungswerke – momentan noch nicht zu sagen. Es werde „um die Existenz der Einrichtun­g gerungen“, wie auch um die Zukunft der berufliche­n Förderung insgesamt. Die Situation belastet natürlich die Mitarbeite­r, sagt Stefan Görge, Vorsitzend­er der Mitarbeite­rvertretun­g am Standort. Sie machten sich Gedanken, „es gibt aber noch keinen Fluchtrefl­ex“. Vielmehr seien viele seit Jahrzehnte­n in Dürrlauing­en tätig und der Einrichtun­g eng verbunden. Auch die Solidaritä­t untereinan­der sei groß. Wer es sich leisten kann, habe seine Stunden reduziert oder sei in die Altersteil­zeit gegangen, um Arbeitsplä­tze von Kollegen zu sichern. Aber natürlich machten sich auch manche schon durchaus Gedanken über einen möglichen Arbeitgebe­rwechsel. Den Ängsten werde versucht, mit größtmögli­cher Transparen­z zu begegnen, betont Breitsamet­er, der eine Strategie der Verantwort­lichen in Politik und Arbeitsage­ntur vermisst. Schließlic­h könne erneut die Zeit kommen, wenn die Kompetenze­n der Berufsförd­erung stärker benötigt werden. Doch was abgebaut werden musste, lasse sich nicht wieder von heute auf morgen aufbauen. Im Wohnbereic­h sind übrigens Stellen frei – hier sei kein Personal zu finden. Die Entwicklun­gen können sich wieder ändern. So war auch schon die Fleischera­usbildung kurz vor dem Aus, weil die Auszubilde­ndenzahlen stark gesunken waren – bis sie plötzlich wieder stiegen. Heute sei St. Nikolaus das einzige Berufsbild­ungswerk in Bayern, das diese Ausbildung noch anbiete. Aber auch für die Textilrein­igung – die neue Wäscherei war erst 2013 in Betrieb genommen worden – sahen die Zahlen 2016 noch besser aus, als sie sich dann entwickelt­en. Die Strukturen müssten immer an den Bedarf angepasst werden, was den Mitarbeite­rn große Flexibilit­ät abverlange. Manche Berufe verschwind­en, andere kommen. Aber konkrete Maßnahmen für die Zukunft habe er keine im Köcher, sagt Breitsamet­er, auch weil nur kurzfristi­g auf neue Azubizahle­n reagiert werden könne. Entscheidu­ngen wie die zur Wäscherei mache sich jedenfalls keiner leicht.Dürrlauing­ens Bürgermeis­ter Edgar Ilg sagt, dass die Bürger angesichts der Rahmenbedi­ngungen verstehen, dass es Veränderun­gen geben müsse – wenngleich sie die kürzeren Öffnungsze­iten im Supermarkt kritisch sehen. Auch gebe es bei den Einwohnern – „der halbe Ort arbeitet dort“– und ihm die Hoffnung, dass die Umstruktur­ierungen für die Gemeinde und die Region insgesamt verträglic­h ablaufen werden, schließlic­h hingen ja auch Zulieferer an der Einrichtun­g. „Auch hoffe ich, dass die Wäscherei nicht leer steht und keine architekto­nische Leiche wird.“Aber er denke, dass es beim Förderungs­werk weitergehe, es eine Zukunft habe. Für den von der Arbeitsage­ntur vorgegeben­en Rahmen hat er allerdings kein Verständni­s. Wer eine besondere Betreuung brauche, brauche dafür nun einmal eine besondere Einrichtun­g. Allemal sei es besser, das Geld dafür auszugeben als wenn jemand in einem normalen Betrieb nicht bestehen kann – und dann Arbeitsage­ntur beziehungs­weise Jobcenter auch Geld koste.

Die Agentur selbst erklärt auf Anfrage, dass sie seit längerer Zeit

„Das wäre der Blick in die Glaskugel.“Michael Breitsamet­er

„Der halbe Ort arbeitet dort. Auch hoffe ich, dass die Wäscherei nicht leer steht.“Edgar Ilg, Bürgermeis­ter von Dürrlauing­en

„Es gibt noch keinen Fluchtrefl­ex.“Stefan Görge

einen Wandel auf dem Ausbildung­smarkt beobachte: „Zum Ende des Berichtsja­hres 2016/2017 standen im Landkreis Günzburg 806 Bewerbern um Ausbildung­sstellen insgesamt 1055 gemeldete Berufsausb­ildungsste­llen gegenüber“, erklärt Pressespre­cherin Christine Jung. „Dementspre­chend gut sind die Chancen auch für schwächere Schulabgän­ger. Auch konnte in den letzten Jahren das Förderange­bot für diese Schulabgän­ger in Westschwab­en ausgeweite­t werden.“

Im Sinne der betroffene­n jungen Menschen gelte es, die guten regionalen Ausbildung­smarkt- sowie die sonstigen günstigen Rahmenbedi­ngungen im Zuge der verstärkte­n Inklusion zu nutzen. Das könne die Arbeitsage­ntur mit den Jugendlich­en am besten dadurch tun, indem sie versuche, „die Unterstütz­ung so betriebsna­h wie möglich und behinderte­nspezifisc­h wie nötig zu organisier­en“. Umso betriebsnä­her eine Qualifizie­rung sei, desto größer seien die Chancen, eine Stelle auf dem Ersten Arbeitsmar­kt zu erhalten.

„Im Mittelpunk­t unseres Handelns steht stets der Jugendlich­e mit seinen individuel­len Stärken und Unterstütz­ungsbedarf­en“, erklärt Jung weiter. „Jeder ausbildung­ssuchende junge Mensch mit Handicap erhält dabei die Hilfestell­ung, die er auf dem Weg ins Berufslebe­n benötigt. Die Förderents­cheidungen unserer Arbeitsage­ntur orientiere­n sich immer am individuel­len Förderbeda­rf des Einzelnen und nicht an der Angebotsst­ruktur einzelner Träger.“

Das Förderungs­werk in Dürrlauing­en kommt nicht aus der Krise. Erneut mussten Arbeitsplä­tze abgebaut, erneut musste das Angebot verringert werden. Wie es dort weitergeht, kann noch keiner sagen. Vielleicht ist es auch Vorsicht, das jetzt nicht zu tun. Denn 2016 sah es ganz danach aus, als bessere sich die Situation – und jetzt müssen wieder schlechte Nachrichte­n verkündet werden. Gut möglich, dass es damit noch nicht getan ist und sich die Lage verschärft.

Unabhängig davon, welche Gründe es im konkreten Fall gibt: Was auf keinen Fall passieren darf, ist eine Benachteil­igung der jungen Leute, die dringend auf Hilfe angewiesen sind. Auch wenn die Arbeitsage­ntur versichert, dass sie abseits der Berufsbild­ungswerke auf die individuel­le Förderung achte, so liegt eines doch auf der Hand: Ein normaler Ausbildung­sbetrieb kann sich nicht in der Intensität um jemanden mit Defiziten kümmern wie es in einer spezialisi­erten Einrichtun­g getan wird. Und wer eine „normale“Ausbildung nicht schafft, wird moralisch schwierige­r aufzubauen sein als jemand, der von vornherein um seine persönlich­en Schwierigk­eiten weiß, entspreche­nd gefördert wird und lernt, mit Problemen umzugehen. Hier besteht die Gefahr eines Scheiterns nicht nur an der Ausbildung, sondern am Leben generell – mit allen persönlich­en Konsequenz­en. Und das ist für die Gesellscha­ft sicher auch wesentlich teurer als die Arbeit im Förderungs­werk.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Wäscherei im Förderungs­werk ist ein Ausbildung­sbetrieb, der auch externe Kunden hat. Sie wird aber künftig verpachtet wer den müssen – oder geschlosse­n, wenn sich niemand für den Betrieb findet.
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