Ringen um die Existenz des Förderungswerks
Die Schwierigkeiten in der Dürrlauinger Einrichtung haben mehrere Gründe. Sie haben bereits zu spürbaren Einschnitten geführt. Derweil werden die Auswirkungen auch nach außen hin deutlicher
Dürrlauingen Im September 2016 hatte es noch ganz gut ausgesehen. Nach Einschnitten mit einem Arbeitsplatzabbau und einer Verringerung des Ausbildungsangebots wenige Jahre zuvor konnte unsere Zeitung berichten: „Im Förderungswerk läuft’s wieder besser“. So lautete damals die Schlagzeile. Die Einrichtung in Dürrlauingen trage sich wieder aus eigener Kraft, 2018 oder 2019 könnte die schwarze Null erreicht werden, war damals die Hoffnung – wenn alles läuft wie geplant. Das tut es allerdings nicht. Kürzlich wurde bekannt, dass die Wäscherei nicht mehr selbst betrieben werden kann (wir berichteten). Wenn kein Pächter gefunden wird, wird dort nächstes Jahr der Betrieb eingestellt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutern die Verantwortlichen der Einrichtung die Hintergründe – und erklären, welche Einschnitte es gibt.
So werde in der Gesamteinrichtung in Dürrlauingen seit einigen Jahren ein Defizit von knapp anderthalb Millionen Euro eingefahren – pro Jahr. Von 360 verfügbaren Ausbildungsplätzen seien momentan 167 belegt, die Zahl neu Aufgenommener sinke. Waren es im Jahr 2009 noch 122, so lag sie im vergangenen bei 44. Dafür sei die Belegung im heilpädagogischen Wohnbereich mit 191 jungen Leuten recht konstant, wenn nicht sogar leicht steigend. Denn die Zahl derer, die Hilfe im Leben brauchen, wachse. Auch das Förderzentrum sei gut gefüllt, die Berufsschule leide jedoch unter der Gesamtentwicklung, solle aber weiter nach außen geöffnet werden.
Insgesamt sind auf dem Gelände, inklusive des Lehrpersonals, gut 350 Mitarbeiter tätig, im Vergleich zum Jahr 2016 musste nochmals Personal abgebaut werden. Damals waren es gut 50 Beschäftigte mehr, Ende 2011 bestand die Belegschaft noch aus 470 Mitarbeitern. Kündigungen habe es keine gegeben, der Abbau sei über die natürliche Fluktuation, den Eintritt in Ruhestand und Altersteilzeit, sozial verträglich gelaufen. Auch wurden befristete Verträge nicht verlängert, betont Michael Breitsameter. Er ist der Abteilungsleiter Berufliche Bildung und Integration beim Träger KJF (Katholische Jugendfürsorge).
Er sieht mehrere Gründe für die Schwierigkeiten. Zum einen schlage der Fachkräftemangel jetzt durch, die Betriebe nehmen nun Auszubildende, die früher keine Chance gehabt hätten. Außerdem besuchen mehr junge Menschen mit Behinderung wegen der stärkeren Inklusion Regel- statt Förderschulen und nehmen auch nicht an der speziellen Unterstützung in Einrichtungen wie in Dürrlauingen teil. Wer in einer regulären Ausbildung ist, dort aber nicht klarkomme, werde dann auch nicht noch hierher geschickt. Und weil die Bayerische Regionaldirektion der Arbeitsagentur im Vergleich zu den anderen Bundesländern immer einen höheren Anteil von Maßnahmen in Berufsförderungswerken gehabt habe, sei deren Zahl inzwischen verringert worden, um im Vergleich „besser“dazustehen.
Die Arbeitsagentur prüfe genauer, ob eine billigere Maßnahme nicht auch reiche. Dabei sei es wichtig, Jugendlichen mit Schwierigkeiten im Leben die Förderung zu geben, die sie brauchen, um nicht abzudriften – und die kostet Geld. „Wir stabilisieren sie auch für die Zeit nach der Ausbildung“, erklärt Alfred Just, Verwaltungsleiter des Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrums St. Nikolaus Dürrlauingen. Im Wohnbereich würden übrigens zwei Drittel der Plätze nicht über die Arbeitsagentur, sondern das Jugendamt finanziert.
Ob die Zahl derer, die von der Arbeitsagentur nach Dürrlauingen geschickt werden, wieder steigt oder weiter sinkt, vermag keiner zu sagen. „Das wäre der Blick in die Glaskugel“, sagt Breitsameter. Um die Entwicklung abzufedern, sei jedenfalls einiges getan worden. Es wurden neue Lehrgänge unabhängig vom Ausbildungsjahr initiiert, worüber auch Teilnehmer für die Ausbildung gewonnen wurden, deren Zahl nicht Bestandteil der anderen Statistik sei. Es werden Menschen mit einer Behinderung ambulant betreut, es gibt Jobbegleiter für anerkannte Flüchtlinge, generell wurde die Arbeit mit Geflüchteten intensiviert. Doch weil die Zahl de- rer, die ins Land kommen, sinkt, ist auch hier weniger Personal nötig. Gänzlich auffangen ließen sich die Rückgänge im Berufsbildungswerk so ohnehin nicht.
Deshalb wurden Werkstätten zusammengelegt, um mit weniger Personal die Ausbildung trotzdem aufrechterhalten zu können. Auch die Öffnungszeiten des Supermarkts auf dem Gelände, der der Versorgung von Bevölkerung und Jugendlichen in der Einrichtung, aber vor allem als Ausbildungsbetrieb dient, wurden zum Jahresbeginn reduziert. Im Sommer 2012 waren bereits die Märkte Unterknöringen und Jettingen wegen eines Defizits und zu wenigen Lehrlingen geschlossen worden. Wie lange die Verluste noch zu schultern sind, vermag Michael Breitsameter – er ist auch Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke – momentan noch nicht zu sagen. Es werde „um die Existenz der Einrichtung gerungen“, wie auch um die Zukunft der beruflichen Förderung insgesamt. Die Situation belastet natürlich die Mitarbeiter, sagt Stefan Görge, Vorsitzender der Mitarbeitervertretung am Standort. Sie machten sich Gedanken, „es gibt aber noch keinen Fluchtreflex“. Vielmehr seien viele seit Jahrzehnten in Dürrlauingen tätig und der Einrichtung eng verbunden. Auch die Solidarität untereinander sei groß. Wer es sich leisten kann, habe seine Stunden reduziert oder sei in die Altersteilzeit gegangen, um Arbeitsplätze von Kollegen zu sichern. Aber natürlich machten sich auch manche schon durchaus Gedanken über einen möglichen Arbeitgeberwechsel. Den Ängsten werde versucht, mit größtmöglicher Transparenz zu begegnen, betont Breitsameter, der eine Strategie der Verantwortlichen in Politik und Arbeitsagentur vermisst. Schließlich könne erneut die Zeit kommen, wenn die Kompetenzen der Berufsförderung stärker benötigt werden. Doch was abgebaut werden musste, lasse sich nicht wieder von heute auf morgen aufbauen. Im Wohnbereich sind übrigens Stellen frei – hier sei kein Personal zu finden. Die Entwicklungen können sich wieder ändern. So war auch schon die Fleischerausbildung kurz vor dem Aus, weil die Auszubildendenzahlen stark gesunken waren – bis sie plötzlich wieder stiegen. Heute sei St. Nikolaus das einzige Berufsbildungswerk in Bayern, das diese Ausbildung noch anbiete. Aber auch für die Textilreinigung – die neue Wäscherei war erst 2013 in Betrieb genommen worden – sahen die Zahlen 2016 noch besser aus, als sie sich dann entwickelten. Die Strukturen müssten immer an den Bedarf angepasst werden, was den Mitarbeitern große Flexibilität abverlange. Manche Berufe verschwinden, andere kommen. Aber konkrete Maßnahmen für die Zukunft habe er keine im Köcher, sagt Breitsameter, auch weil nur kurzfristig auf neue Azubizahlen reagiert werden könne. Entscheidungen wie die zur Wäscherei mache sich jedenfalls keiner leicht.Dürrlauingens Bürgermeister Edgar Ilg sagt, dass die Bürger angesichts der Rahmenbedingungen verstehen, dass es Veränderungen geben müsse – wenngleich sie die kürzeren Öffnungszeiten im Supermarkt kritisch sehen. Auch gebe es bei den Einwohnern – „der halbe Ort arbeitet dort“– und ihm die Hoffnung, dass die Umstrukturierungen für die Gemeinde und die Region insgesamt verträglich ablaufen werden, schließlich hingen ja auch Zulieferer an der Einrichtung. „Auch hoffe ich, dass die Wäscherei nicht leer steht und keine architektonische Leiche wird.“Aber er denke, dass es beim Förderungswerk weitergehe, es eine Zukunft habe. Für den von der Arbeitsagentur vorgegebenen Rahmen hat er allerdings kein Verständnis. Wer eine besondere Betreuung brauche, brauche dafür nun einmal eine besondere Einrichtung. Allemal sei es besser, das Geld dafür auszugeben als wenn jemand in einem normalen Betrieb nicht bestehen kann – und dann Arbeitsagentur beziehungsweise Jobcenter auch Geld koste.
Die Agentur selbst erklärt auf Anfrage, dass sie seit längerer Zeit
„Das wäre der Blick in die Glaskugel.“Michael Breitsameter
„Der halbe Ort arbeitet dort. Auch hoffe ich, dass die Wäscherei nicht leer steht.“Edgar Ilg, Bürgermeister von Dürrlauingen
„Es gibt noch keinen Fluchtreflex.“Stefan Görge
einen Wandel auf dem Ausbildungsmarkt beobachte: „Zum Ende des Berichtsjahres 2016/2017 standen im Landkreis Günzburg 806 Bewerbern um Ausbildungsstellen insgesamt 1055 gemeldete Berufsausbildungsstellen gegenüber“, erklärt Pressesprecherin Christine Jung. „Dementsprechend gut sind die Chancen auch für schwächere Schulabgänger. Auch konnte in den letzten Jahren das Förderangebot für diese Schulabgänger in Westschwaben ausgeweitet werden.“
Im Sinne der betroffenen jungen Menschen gelte es, die guten regionalen Ausbildungsmarkt- sowie die sonstigen günstigen Rahmenbedingungen im Zuge der verstärkten Inklusion zu nutzen. Das könne die Arbeitsagentur mit den Jugendlichen am besten dadurch tun, indem sie versuche, „die Unterstützung so betriebsnah wie möglich und behindertenspezifisch wie nötig zu organisieren“. Umso betriebsnäher eine Qualifizierung sei, desto größer seien die Chancen, eine Stelle auf dem Ersten Arbeitsmarkt zu erhalten.
„Im Mittelpunkt unseres Handelns steht stets der Jugendliche mit seinen individuellen Stärken und Unterstützungsbedarfen“, erklärt Jung weiter. „Jeder ausbildungssuchende junge Mensch mit Handicap erhält dabei die Hilfestellung, die er auf dem Weg ins Berufsleben benötigt. Die Förderentscheidungen unserer Arbeitsagentur orientieren sich immer am individuellen Förderbedarf des Einzelnen und nicht an der Angebotsstruktur einzelner Träger.“
Das Förderungswerk in Dürrlauingen kommt nicht aus der Krise. Erneut mussten Arbeitsplätze abgebaut, erneut musste das Angebot verringert werden. Wie es dort weitergeht, kann noch keiner sagen. Vielleicht ist es auch Vorsicht, das jetzt nicht zu tun. Denn 2016 sah es ganz danach aus, als bessere sich die Situation – und jetzt müssen wieder schlechte Nachrichten verkündet werden. Gut möglich, dass es damit noch nicht getan ist und sich die Lage verschärft.
Unabhängig davon, welche Gründe es im konkreten Fall gibt: Was auf keinen Fall passieren darf, ist eine Benachteiligung der jungen Leute, die dringend auf Hilfe angewiesen sind. Auch wenn die Arbeitsagentur versichert, dass sie abseits der Berufsbildungswerke auf die individuelle Förderung achte, so liegt eines doch auf der Hand: Ein normaler Ausbildungsbetrieb kann sich nicht in der Intensität um jemanden mit Defiziten kümmern wie es in einer spezialisierten Einrichtung getan wird. Und wer eine „normale“Ausbildung nicht schafft, wird moralisch schwieriger aufzubauen sein als jemand, der von vornherein um seine persönlichen Schwierigkeiten weiß, entsprechend gefördert wird und lernt, mit Problemen umzugehen. Hier besteht die Gefahr eines Scheiterns nicht nur an der Ausbildung, sondern am Leben generell – mit allen persönlichen Konsequenzen. Und das ist für die Gesellschaft sicher auch wesentlich teurer als die Arbeit im Förderungswerk.