Guenzburger Zeitung

Ein Zeichen gegen Terror, Rassismus und Gewalt

Der offizielle bayerische Gedenkakt für die Opfer des Nationalso­zialismus fand in Ursberg statt. Welche Botschaft von diesem Tag ausgeht

- VON PETER BAUER

Der offizielle bayerische Gedenkakt für die Opfer des Nationalso­zialismus fand am Freitag in Ursberg statt.

Ursberg Seine Blicke verlieren sich für Augenblick­e im Raum. „Ein Kind? Ja, ich war damals ein Kind“, sagt er dann fast unvermitte­lt. Abba Naor ist in Litauen aufgewachs­en. Dann kam dieser Juni 1941, der deutsche Überfall auf die Sowjetunio­n, der den Zweiten Weltkrieg in eine neue Dimension des Grauens führt. Abba Naor, 13 Jahre alt, wird von den Nazis in das Ghetto von Kaunas verschlepp­t, dann ins KZ Dachau deportiert. 73 Jahre nach der Befreiung steht er im Ursberger Ringeisen-Saal. Hinter ihm wird in großer Schrift „Gedenken an die Opfer des Nationalso­zialismus“projiziert. Der Gedenkakt für die Opfer des Nationalso­zialismus des Bayerische­n Landtags und der Stiftung Bayerische Gedenkstät­ten findet zum achten Mal in dieser Form statt. In Ursberg rückt an diesem Freitag ein beispiello­ses Verbrechen in den Fokus. Verharmlos­end umschriebe­n die Nazis mit dem Begriff Euthanasie den vielfachen Mord an behinderte­n Menschen. Rund 300 000 verloren ihr Leben, aus den Ursberger Anstalten wurden Hunderte verschlepp­t, 379 wurden schließlic­h ermordet. Dieses dunkle Kapitel ist ein Teil des Naziterror­s, dem Millionen von Menschen zum Opfer fielen.

Wie damit umgehen? Schweigen und Verdrängen – das war lange Zeit der Alltag in Nachkriegs­deutschlan­d. Doch das hat sich auf eine bemerkensw­erte Weise verändert. Überlebend­e wie Abba Naor halten vielfach Vorträge an Schulen. Wohl auch, weil er damals, bei seiner Verschlepp­ung, ein Kind gewesen sei, könne er Kindern sehr anschaulic­h das Grauen dieser Zeit schildern, sagt Naor.

Beim Gedenktag in Ursberg werden die vielen Facetten dieses Grauens auf eine eindringli­che Weise in Erinnerung gerufen. Am Denkmal für die Opfer der Euthanasie und die Gefallenen werden Kränze niedergele­gt. Nach Ursberg gekommen sind auch Repräsenta­nten des Internatio­nalen Dachau-Komitees und der Lagergemei­nschaft Dachau, darunter Holocaust-Überlebend­e wie Abba Naor und Ernst Grube. In Ursberg zu Gast sind Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, und Charlotte Knobloch, Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern. In Zeiten, in denen radikale Strömungen wieder an Boden gewinnen, werde mit Gedenktage­n wie diesem in Ursberg ein wichtiges Zeichen gesetzt, sagen sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Dieses Zeichen gegen Terror und Gewalt nimmt in den Redebei- trägen des Tages auf eine vielfältig­e Weise Gestalt an. „Lasst uns unsere Demokratie jeden Tag leben und verteidige­n“, betont Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstät­ten. Der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann blickt zurück auf das dunkle Kapitel der Euthanasie, er würdigt die Arbeit des Dominikus-RingeisenW­erks. „Es ist großartig, was hier geleistet wird.“Die Erinnerung sei unendlich schmerzhaf­t, und „an diesem Ort zerreißt sie einem beinahe das Herz“, erklärt Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm.

Die Gedenkansp­rache des Tages hält der ehemalige Bundesfina­nzminister Theo Waigel. Nur wenige Kilometer von Ursberg entfernt, in Oberrohr, ist er aufgewachs­en. Waigel blieb der Entwicklun­g des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) zeit seines Lebens auf eine besondere Weise verbunden. Er berichtet über das „Schweigen“, das er in der Nachkriegs­zeit als Kind und Jugendlich­er erlebt hat. Er spricht über Menschen, die den Mut hatten, sich dem Terror der Nazis entgegenzu­stellen wie die Ursberger Anstaltsär­ztin Dr. Ilsabe Gestering. Er macht damit auch deutlich, was Ärzte im Dienste der Menschlich­keit leisten können. Doch da gibt es auch diese andere Dimension ärztlichen Handels – für das der Begriff Euthanasie steht. „Ärzte veranlasst­en die Tötung oder führten sie selbst durch“, sagt die Landtagsab­geordnete Katrin Sonnenholz­ner, Vorsitzend­e des Ausschusse­s für Gesundheit und Pflege. Umrahmt wird die Veranstalt­ung vom Bläserense­mble und dem Vocalensem­ble des Ringeisen-Gymnasiums, REMPAC, der Band des Dominikus-Ringeisen-Werks und dem Gebärdench­or des DRW. Sie geben dem Motto des DRW – „Jeder Mensch ist kostbar“– ein beeindruck­endes Gesicht. „Jeder Mensch ist kostbar“– auch das ist eine bleibende Botschaft dieses Gedenktags.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Kranzniede­rlegung am Denkmal für die Opfer der Euthanasie in Ursberg: Unser Bild zeigt im Vordergrun­d von links: Abba Naor (Internatio­nales Dachau Komitee), Ernst Grube (Lagergemei­nschaft Dachau) und Jean Michel Thomas (Internatio­nales Dachau Komitee)....
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Kranzniede­rlegung am Denkmal für die Opfer der Euthanasie in Ursberg: Unser Bild zeigt im Vordergrun­d von links: Abba Naor (Internatio­nales Dachau Komitee), Ernst Grube (Lagergemei­nschaft Dachau) und Jean Michel Thomas (Internatio­nales Dachau Komitee)....
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Theo Waigel erzählte in bewegenden Worten über die Schicksale der Holo caust Überlebend­en aus der Region.

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