„Die GroKo hat keinen Vertrauensvorschuss“
Interview Der Politikwissenschaftler Lothar Probst erklärt, welche Aufgaben auf CDU/CSU und SPD nun zukommen
Die Große Koalition hat sich nach langen Verhandlungstagen endlich geeinigt. Ist das Ergebnis ein Aufbruch oder geht es weiter wie bisher?
Prof. Dr. Lothar Probst: Das Ergebnis liegt wahrscheinlich dazwischen. Für eine Große Koalition ist es schwer, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Aber nur weil die Koalition notgedrungen zustande kam, sollte man das Verhandlungsergebnis nicht per se schlechtreden. In der Sache hat sich die GroKo auf einige Punkte geeinigt, die zum Vorteil vieler Menschen sind.
Was meinen Sie konkret?
Probst: Die paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge, zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau, 12 Milliarden für die digitale Infrastruktur, Förderung von Ganztagsschulen und strukturschwachen Regionen – das kann sich durchaus sehen lassen und ist auch im Interesse vieler SPD-Wähler.
Reicht das Koalitionsergebnis der SPD, um ihre Mitglieder beim bevorstehenden Mitgliederentscheid für sich zu gewinnen?
Probst: Die SPD-Führung hat nicht den ganz großen Pokal bekommen, den sie sich für den Mitgliederentscheid ins Schaufenster stellen kann. Unterm Strich finden sich aber eine ganze Menge sozialpolitischer Forderungen im Koalitionspapier wieder. In anderen Punkten, wie der Bürgerversicherung, ist die SPD bei der Union auf Granit gestoßen. Ob die Einrichtung einer Kommission, die eine Angleichung der Honorare für privat und gesetzlich Versicherte prüfen soll, weiterhilft, ist ungewiss. Auch beim Thema Familiennachzug für Flüchtlinge konnte die SPD wenig heraushandeln. Das wird die Kritiker in der SPD nicht zufriedenstellen.
Wie es aussieht, verliert die Union wichtige Ministerposten. Was bedeutet das für Bundeskanzlerin Merkel?
Probst: Am meisten schmerzt die Union sicherlich die Preisgabe des Finanzministeriums. Aber es wird auch dort nicht zu einem Systemwechsel kommen. Die Union musste der SPD bei der Besetzung der Ministerien entgegenkommen, das war schon 2013 der Fall. Man sollte das nicht überinterpretieren, zumal die Kanzlerin immer noch die Richtlinienkompetenz hat.
Wird sich die Kanzlerin mit der neuen
Koalition in den kommenden vier Jahren halten können?
Probst: Die SPD hat eine Revisionsklausel verlangt. Nach zwei Jahren soll das Ergebnis der Regierungsarbeit überprüft werden. Man könnte das auch als Ausstiegsklausel sehen, wenn es gelingt, einen eleganten Ausstieg zu finden. Merkel hat auf jeden Fall ein Interesse daran, dass die Koalition vier Jahre hält, auch als Signal an die Bürgerinnen und Bürger, die sich eine stabile Regierung wünschen.
Das Vertrauen vieler Bürger in die Politik sinkt. Wird es der Großen Koalition gelingen, diese Vertrauenskrise zu kippen?
Probst: Die GroKo hat keinen Vertrauensvorschuss. Sie ist aber in der komfortablen Situation, 46 Milliarden Euro Steuergelder verteilen zu können – mehr als alle anderen Regierungen zuvor. Mit diesem Geld muss die Koalition solide arbeiten und das, was sie sich vorgenommen hat, auch umsetzen. Außerdem muss sie auf einige neue Gesichter setzen, welche die Themen glaubwürdig an die Bürger vermitteln.
Früher war sie die Ausnahme, heute ist die Große Koalition schon fast zur Regel geworden. Was bedeutet das für die Stabilität des Landes?
Probst: Das Problem einer Großen Koalition ist, dass das Oppositionsprinzip geschwächt wird. Außerdem verschwimmen die ideologischen Differenzen zwischen den beiden Volksparteien. Die SPD ist ohnehin schon entkernt. Der CDU droht ein ähnliches Schicksal. Beide Parteien sind gezwungen, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Dadurch verlieren sie an Profil. Große Koalitionen sollten daher die Ausnahme bleiben, sonst bekommen wir ähnliche Verhältnisse wie in Österreich, wo eine Große Koalition zur Dauereinrichtung wurde. Diese Konstellation stärkt die politischen Ränder.
Alle Koalitionsparteien haben Zugeständnisse machen müssen. Wer hat sich dabei am deutlichsten durchgesetzt? Probst: Vor allem die Kanzlerin wollte diese Koalition, weil ihr eigenes Schicksal daran hängt. Darum hat die Union in vielen Punkten nachgegeben. Die SPD stand wegen des Parteitages und des anstehenden Mitgliederentscheids unter enormem Druck. Die ganz großen Trophäen hat aber auch die SPD nicht bekommen. Interview: Philipp Kinne