Der Tod des Moments
Egal, wo man hinschaut – überall trifft man auf ihn. Ich spreche vom Selfie-Trend. Ich glaube, dieser Trend drückt gut das Prinzip aus, das unsere Zeit ausmacht: Einen Trend, alles festhalten zu wollen, weil uns alles davoneilt. Wir können nicht mehr den Gegenüber er-fassen, er-greifen, wahr-nehmen (alles sensorische Begriffe, die unsere leibhafte Beziehung auf den anderen ausdrücken), weil uns der Augen-blick enteilt. Weil wir schon wieder eigentlich wo ganz anders sind. Um dem zu begegnen, nehmen wir den Augen-blick auf, aber verpassen ihn dabei eigentlich. Der Moment (vom lat. movere = eilen) geht verloren, er enteilt uns. Doch eigentlich macht genau das die Besonderheit des Moments aus: Dass er ver-gänglich ist, er endlich ist – wie wir!
Obwohl wir gerade im Sehen das Dynamische des Augenblicks/Moments erfassen könnten, die Besonderheit des Moments spüren würden, tun wir es nicht. Wir versuchen es für immer, ewig festzuhalten. Doch auf dem Foto ist der Augenblick nicht mehr spürbar, er ist tot. Ein Stück verpasstes Leben. Eine Sargaufnahme des Moments. Mein Vorschlag ist daher, entschleunigen wir die Zeit (d.h. hier weniger Selfies) und machen sie dadurch gerade wieder zu momenthaften (bewegten) Augenblicken, die uns berühren können und nicht nur auf Fotos rührend zurücklassen, wie am Grab eines geliebten verstorbenen Menschen, von dem wir nun merken, dass wir Zeit seines Lebens ihn nicht wahrnahmen und es nun zu spät ist.