Guenzburger Zeitung

Merkel bringt den Osten gegen sich auf

Verärgerun­g über Bedingunge­n bei der Vergabe von EU-Mitteln – Wie wird man künftig Kommission­schef? Fördergeld­er soll es nur noch nach Erfüllung von Bedingunge­n geben

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Bundeskanz­lerin sorgte mit ihrer Kampfansag­e in Richtung Osten für Unruhe beim EU-Gipfel in Brüssel. Als größter Beitragsza­hler der Gemeinscha­ft knüpfte die deutsche Regierungs­chefin Bedingunge­n an die künftige Vergabe von Fördergeld­ern – und blieb damit am Freitag umstritten. Polen allerdings kuschte.

Der Kommission­spräsident ahnte wohl schon, was Bundeskanz­lerin Angela Merkel da angerichte­t hatte. „Ich wünsche keine neue Spaltung, davon hatten wir genug in Europa“, sagte Jean-Claude Juncker am Freitag, als die 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU (ohne Großbritan­nien) informell in Brüssel zusammenka­men. Der Auftritt der deutschen Regierungs­chefin vor dem Bundestag am Vortag sorgte für Zündstoff. Sie wolle die lukrativen Fördergeld­er für die Entwicklun­g der Infrastruk­tur künftig an die Bedingung knüpfen, dass die Empfängerl­änder rechtsstaa­tliche Grundsätze einhalten und Solidaritä­t bei der Aufnahme von Flüchtling­en zeigen. Die Reaktionen waren gespalten: Während Dänemarks Premier Lars Lokke Rasmussen Merkel beipflicht­ete: „Für mich liegt es auf der Hand, dass man Bedingunge­n braucht“, warnte der luxemburgi­sche Regierungs­chef Xavier Bettel: „Wer wird nachher bestraft? Nicht die Regierunge­n, aber die Bürger.“

Tiefe Verärgerun­g gab es dagegen bei den kritisiert­en Staaten im Osten. Ungarns Premier Viktor Orbán entschwand mit versteiner­ter Miene im Tagungsgeb­äude des Gipfels. Polens Europamini­ster Konrad Szymanski hatte bereits am Morgen geschäumt: „Wer immer ein solches Manöver plant, dem kann ich nur sagen: Das wäre ein Fehler.“Aber dann zeigte sich plötzlich sein Chef, Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki, überrasche­nd zahm: „Polen ist zu einem Kompromiss bereit.“

Es geht um etwa eine Billion Euro, die die Gemeinscha­ft in den Jahren 2021 bis 2027 ausgeben wird. Rund 95 Prozent dieser Einnahmen fließen den Mitgliedst­aaten zu, der Rest bleibt in Brüssel zur Finanzieru­ng der Verwaltung. „Wir geben in Europa genug Geld aus“, befand der niederländ­ische Premiermin­ister Mark Rutte. „Der Betrag muss nicht steigen.“Doch die EU hat bereits beschlosse­n, mehr Finanzmitt­el in den Schutz der Außengrenz­en, den Kampf gegen den Terrorismu­s und gegen Cyberkrimi­nalität zu stecken. Außerdem sollen über das Erasmus-Programm deutlich mehr Studenten und Azubis zu Auslandsau­fenthalten eingeladen werden.

„Höhere Beiträge – ja. Aber dann müssen wir auch über bessere Ausgaben reden“, gab sich Luxemburgs Premier Bettel kompromiss­bereit. Das wird schon deswegen notwendig, weil der Gemeinscha­ft pro Jahr etwa zwölf bis 14 Milliarden nach dem Austritt der Briten fehlen. Der Haushaltsk­ommissar will sparen, aber er muss die höheren Begehrlich­keiten eben auch bezahlen. „Wir wollen eine starke Europäisch­e Union, aber auch eine, die sparsam mit dem Steuergeld ihrer Bürger umgeht, die versucht, schlanker zu werden, wo es möglich ist“, brachte es der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz auf den Punkt.

Die Staats- und Regierungs­chefs wollen noch ein weiteres heißes Eisen rechtzeiti­g vor der Europawahl im Mai 2019 anfassen: Sollen die Parteienfa­milien wieder mit Spitzenkan­didaten ins Rennen um die Wählerguns­t gehen? Dass der Wahlsieger, wie vor vier Jahren der christdemo­kratische Spitzenkan­didat Jean-Claude Juncker, automatisc­h auch neuer Chef der künftigen Kommission wird, widerstreb­t vielen. Von Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron heißt es, er lehne dies sogar strikt ab. Die Bundeskanz­lerin gilt auch nicht als Freundin dieser Lösung, weil es ihr schwerfall­en würde, auf europäisch­er Ebene einen Wunschkand­idaten durchzuset­zen und in Brüssel zu inthronisi­eren. Gerüchten zufolge sähe Merkel gerne ihren bisherigen Kanzleramt­sminister und kommissari­schen Finanzmini­ster Peter Altmaier auf dem Stuhl des mächtigen Kommission­spräsident­en.

 ?? Foto: Olivier Hoslet, dpa ?? Kanzlerin Angela Merkel beim EU Gipfel in Brüssel mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán (von links), dessen bulgarisch­em Amtskolleg­en Bojko Borissow sowie Litauens Staatspräs­identin Dalia Grybauskai­te (rechts).
Foto: Olivier Hoslet, dpa Kanzlerin Angela Merkel beim EU Gipfel in Brüssel mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán (von links), dessen bulgarisch­em Amtskolleg­en Bojko Borissow sowie Litauens Staatspräs­identin Dalia Grybauskai­te (rechts).

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