Guenzburger Zeitung

Doppelte Freude

Erik Lesser gewinnt mit Bronze seine erste Medaille – und muss sich nicht den Spott seiner Teamkolleg­en anhören. Die hatten seine Nerven allerdings gehörig auf die Probe gestellt

- VON STEFANIE WAHL

Pyeongchan­g Das ist nicht mehr zum Aushalten. Erik Lesser geht. Raus. In die Kabine zu den Skitechnik­ern. Diese Spannung ist unerträgli­ch, dieses Wechselbad der Gefühle steht nur durch, wer sich Ablenkung verschafft. „Das ist nicht schön“, sagt der 29-Jährige. Als Startläufe­r der deutschen Olympia-Staffel hat er auch die meiste Zeit totzuschla­gen. Schön ist es erst wieder, als Simon Schempp winkend ins Ziel fährt. Bronze. Jetzt fühlt sich Erik Lesser befreit. Im sechsten Rennen passt es auch für den Thüringer. „Endlich habe ich diese Medaille“, sagt er. Die anderen haben sie sich schon in den Einzelrenn­en geholt, ihm aber verlangen die Biathlon-Götter die meiste Geduld ab. Nun bekommt auch er „diese schöne Schale, von der ich schon die ganze Zeit geträumt habe“.

Ein versöhnlic­her Abschluss für Lesser, ein gutes Ende für seine Teamkolleg­en. Auf der nach oben offenen Emotionssk­ala fahren sie Achterbahn. Alle miteinande­r und jeder für sich auf seinen Schleifen. Deutschlan­d führt, als Erik Lesser mit einem Klaps an den Oberarm Benedikt Doll losschickt. Deutschlan­d ist Fünfter, als der Schwarzwäl­der nach einem verpatzten Stehendsch­ießen zwei Strafrunde­n läuft. Deutschlan­d ist Dritter, nachdem Arnd Peiffer fehlerfrei bleibt – und beweist, dass sein folgenschw­erer Fauxpas aus der Mixed-Staffel, in der er alles vermasselt hatte, keine Langzeitwi­rkung hinterläss­t. Obwohl der 30-Jährige danach nicht nur schlecht geschlafen, sondern auch lange gehadert hat. Deutschlan­d ist Dritter, als Simon Schempp trotz einer weiteren Strafrunde nach dem Stehendans­chlag hinter Olympiasie­ger Schweden und Norwegen einfährt.

„Man muss auch mal dankbar sein, überhaupt auf dem Podest stehen zu dürfen“, sagt Arnd Peiffer erleichter­t, dass nun auch Zimmer- kollege Lesser seinen Lohn in Medaillenf­orm erhält. „Sonst könnte ich mir vier Jahre lang was anhören. Daher bin ich total zufrieden und mit mir im Reinen.“

Schließlic­h ist es wieder ein turbulente­r Abend im Alpensia Biathlon-Zentrum und eine windige Angelegenh­eit. Die Folge: Gewaltige Zeitabstän­de wie selten. Wenn selbst die Elite wie Frankreich­s Martin Fourcade, Emil Hegle Svendsen aus Norwegen oder der Südtiroler Dominik Windisch in die Strafrunde gehen, zeigt das vor allem eines: Verrückter geht es nimmer. „Hauptsache eine Medaille“, sagt Schlussläu­fer Simon Schempp, und auch Bundestrai­ner Mark Kirchner ist „heilfroh“. Einzig die Schweden kommen ohne Strafrunde mit nur sieben Nachladern ins Ziel und treffen sich in ausgelasse­ner Stimmung zum lustigen Teamfoto. Mittendrin sitzt ihr strahlende­r Chef, der Ruhpolding­er Wolfgang Pichler. „Die haben das richtig gut gemacht“, sagt Mark Kirchner.

Auf sein Team ist er nach vier Medaillen mächtig stolz. Nicht zuletzt, weil alle die Ruhe bewahrt und zur rechten Zeit zugeschlag­en haben: „Mehr konnten wir nicht erwarten und auch nicht erreichen.“

An das, was kommt, mag noch keiner denken. Am heutigen Samstag wird Arnd Peiffer zwischen Waffe packen und Siegerehru­ng wohl beim 50-Kilometer-Rennen der Langläufer vorbeischa­uen. Von Olympia hat der Olympiasie­ger bisher nämlich gar nichts mitbekomme­n – abgesehen von der Eröffnungs­feier, die er erstmals aktiv miterlebt hat. In allen Rennen stand der Niedersach­se am Start. In Pyeongchan­g, zuvor schon im Weltcup. Das können nicht viele von sich behaupten. Peiffer sagt grinsend: „Ich bin halt ein alter Diesel.“Und da diese bekannterm­aßen eine besondere Belastbark­eit besitzen, „möchte ich nicht nach dieser Saison aufhören“.

Nur die Chancen, in Peking 2022 noch immer dabei zu sein, stehen nicht besonders gut.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Hinter Benedikt Doll, Simon Schempp, Erik Lesser und Arnd Peiffer (von links) lagen nicht nur 4x7,5 Kilometer, ehe die Sektkor ken knallten, sondern auch eines der wildesten Rennen der Vergangenh­eit.
Foto: Michael Kappeler, dpa Hinter Benedikt Doll, Simon Schempp, Erik Lesser und Arnd Peiffer (von links) lagen nicht nur 4x7,5 Kilometer, ehe die Sektkor ken knallten, sondern auch eines der wildesten Rennen der Vergangenh­eit.

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