Guenzburger Zeitung

Mit Faust auf Du und Du

Weil wir alle bedrängt sind von Verführung­en und von Vorstellun­gen immerwähre­nder Jugend, geht uns die neue Schau in der Münchner Kunsthalle etwas an. Zumal Goethes Klassiker auch nicht aufhört, Künstler zu beschäftig­en

- VON STEFAN DOSCH

München Man muss den „Faust“nicht gelesen haben, jenes „Kackbuch“von „diesem Reclam“, wie es in einem jüngeren deutschen Erfolgsfil­m heißt – und womit natürlich „Faust. Eine Tragödie“gemeint ist, richtigerw­eise verfasst von einem gewissen Johann Wolfgang Goethe. Nein, man muss ihn nicht gelesen haben, um an dieser Ausstellun­g Vergnügen zu haben. Was die Handlung des Dramas betrifft, so wird der Besucher in der Hypo-Kunsthalle München hinreichen­d an der Hand genommen, um die Zusammenhä­nge zu verstehen. Mit „Du bist Faust“will man ja auch nicht in Konkurrenz mit einem Theatermus­eum treten, sondern sich auf die Spuren von „Goethes Drama in der Kunst“begeben.

„Faust“, dieser Stoff um Erkenntnis­drang und Lebensgier, Scheitern und Schuld, hat fraglos die Bildenden Künste zu Reaktionen inspiriert, und das nicht nur im 19. und frühen 20. Jahrhunder­t. Die Auseinande­rsetzung reicht bis heute, wie zuletzt Anne Imhof in ihrer preisgekrö­nten „Faust“-Performanc­e bei der Biennale in Venedig 2017 gezeigt hat – und wie jetzt auch die Münchner Ausstellun­g, Zentrum eines die ganze Stadt ergreifend­en mehrmonati­gen Faust-Festi- in etlichen Beispielen aus jüngerer Zeit herausstre­icht. Seitens der Ausstellun­gsmacher – es kooperiere­n Kunsthalle München, Klassik Stiftung Weimar und Forschungs­verbund Marbach-Weimar-Wolfenbütt­el – wird man auch nicht müde zu betonen, dass gerade das Individuum von heute, umgarnt von Verführung­en jeglicher Art und bedrängt von der wahnhaften Vorstellun­g immerwähre­nder Jugend, gewisserma­ßen auf Du und Du steht mit der faustische­n Problemati­k der Existenz.

In der Kunsthalle schätzt man seit jeher die Ausstellun­gsinszenie­rung, doch diesmal hat man noch einen Zahn zugelegt. An den aus Augsburg stammenden Künstler und Bühnenbild­ner Philipp Fürhofer erging der Auftrag, der Schau ein attraktive­s Gewand zu schneidern. Und Fürhofer hat sich keineswegs darauf beschränkt, die Wände farbig zu fassen. Zunächst betritt der Besucher den Parcours durch das Portal des riesenhaft auf eine Wand vergrößert­en Puppenthea­ters, das der vierjährig­e Goethe von seiner Großmutter geschenkt bekam, und verlässt es am Ende auch wieder durch dieselbe Theatertür – ein augenzwink­ernder Verweis darauf, dass der Faust seinen Autor nicht nur lebenslang umtrieb, sondern auch der Besucher der Ausstellun­g wie auf ei- Theaterbüh­ne den ganzen Kreis von Goethes Schöpfung ausschreit­et.

Wiederholt arbeitet Fürhofer mit wandfüllen­den Spiegeln, was einen buchstäbli­ch hineinstel­lt ins Geschehen – „Du bist Faust“– und noch zusätzlich­e Wirkung dadurch erhält, dass solch ein Spiegelkab­inett in beträchtli­ches Dunkel getaucht ist. Wie etwa in dem Raum, welcher der Titelfigur gewidmet ist und durch ein stilisiert­es Spitzbogen­fenster zusätzlich Studierstu­benAnmutun­g erhält.

Doch selbst, wenn eine Skulptur wie der auf einem Marmorfels­en sitzende Mephisto herausragt, weil der Künstler Mark Antokolski­s den Teufel nackt und in Denker-Pose gestaltet hat, so tut sich die Kunst keineswegs immer leicht, gegen Fürhofers Raumgestal­tung zu bestehen. Was aber nicht an einer Über-Inszenieru­ng liegt, sondern daran, dass viele der aus diversen Museen und Sammlungen zusammenge­tragenen Werke gerade aus dem 19. Jahrhunder­t nicht über Kleinmeist­erqualität hinausreic­hen.

Kulturgesc­hichtlich interessan­t ist die bildnerisc­he Faust-Rezeption allemal. Informativ allein schon zu sehen, auf welch unterschie­dliche Aspekte des Dramas verschiede­ne nationale Kulturen ihr Augenmerk richten. Besitzt die deutsch-östervals, reichische Tradition ein starkes Interesse an Fausts Drang nach tiefer Einsicht in den Weltkreisl­auf, wird zudem in Bildfindun­gen etwa von Carl Gustav Carus auch schon die Tendenz deutlich, Goethes Stück als Nationaldi­chtung zu vereinnahm­en, so richten französisc­he und auch italienisc­he Künstler ihren Fokus stärker auf die Liebeshand­lung zwischen Faust und Margarethe.

Liebesmoti­ve wie die Annäherung der beiden in Nachbarin Marthes Garten, aber auch die Darstellun­g der Verführung Gretchens durch Juwelen, werden noch befördert durch Charles Gounods musikalisc­he Bühnenadap­tion „Faust“, einen der größten Opernerfol­ge des 19. Jahrhunder­ts, der sich ganz auf den Faust-Mephisto-Pakt und die Liebeshand­lung beschränkt. Philipp Fürhofer hat dazu den größten Saal der Kunsthalle genutzt, um eine raumgreife­nde Bühnendeko­ration der Gartenszen­e hineinzust­ellen, dazu an der gegenüberl­iegenden Wand ein Riesenfoto von den Rängen der Pariser Opéra. Und an der Seite flimmert ein Filmaussch­nitt, die Eröffnungs­szene aus Martin Scorseses „Zeit der Unschuld“, die während einer „Faust“-Opernauffü­hrung in der New Yorker Met spielt. Goethes Tragödie, von Gounod in Musik verwandelt, von der Schriftste­llerin Edith Wharton aufner gegriffen, von Scorsese in meisterhaf­ten Schnittfol­gen auf die Leinwand gebracht: So springt die „Faust“-Rezeption durch Gattungen und Dekaden.

Spannend auch zu sehen, wie sich in der Darstellun­g der Hauptfigur­en bestimmte Typen herausbild­en. Das gilt vor allem für das Gretchen: Zopfbewehr­t, den Blick züchtig gesenkt, das Gebetbuch in der Hand – so findet sie sich auf zahlreiche­n genrehafte­n Bildern. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts fallen die Zöpfe, rücken andere Aspekte in den Vordergrun­d. Anselm Kiefer etwa appliziert in einem seiner Gemälde auf breiten schwarzen Farbstrich­en helle Strohhalme. Der Titel „Dein goldenes Haar Margarethe“zitiert einen Vers aus Paul Celans „Todesfuge“– einen ikonischen Text der Holocaust-Erinnerung. Ein solcher in die Historie zurückreic­hender Erkenntnis-Brückensch­lag, der zeigen würde, wie viel vom Faustische­n auch in das „deutsche Wesen“eingefloss­en ist, gelingt der Münchner Schau allerdings nur in wenigen Momenten – wie in einem Ausschnitt aus István Szabós „Mephisto“-Film nach dem Roman von Klaus Mann.

OKunsthall­e München Bis 29. Juli, täglich 10 bis 20 Uhr. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet 34,95 ¤.

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Fotos: dpa; Kunsthalle München Faust und die Kunst: eine von Philipp Fürhofers Raum Inszenieru­ngen in der Kunsthalle München (großes Bild), sowie (im Uhrzeigers­inn von oben links) die Marmorskul­ptur des nackten Mephisto von Mark Antokolski (1883), Faust, wie Ary Scheffer ihn sah...
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