Beatle und Weltmusiker
Mit ihm ging die Sonne auf. Und er konnte sich gegen John und Paul mit eigenen Songs behaupten
Augsburg Immer im Frühjahr: Man quält sich aus dem Bett, schaltet das Radio ein, und auf irgendeinem Formatprogramm findet George Harrison, dass es sich nun anfühle, als würde das Eis langsam schmelzen. Harrisons Lied „Here Comes The Sun“stammt aus dem BeatlesAlbum „Abbey Road“und gehört zu seinen bekanntesten, die er für die Fab Four geschrieben hat.
Man kann nicht gerade behaupten, dass der jüngste des Quartetts einen Freifahrtschein bei den dominanten Kollegen John Lennon und Paul McCartney hatte, wenn es darum ging, Songs für Schallplatten auszuwählen. Prompt brachte ihm seine fehlende Ellbogen-Mentalität den Beinamen „der stille Beatle“ein. Aber das ist zu kurz gestrickt. Nachdenklichkeit, das Streben nach dem Einssein mit sich selbst und Spiritualität kennzeichnen besser den 2001 mit 58 Jahren in Los Angeles an Krebs verstorbenen Popstar. Trotzdem brachte es Harrison auf 22 Beatles-Titel, darunter „If I Needed Someone“auf „Rubber Soul“von 1965, „Taxman“1966, als ein wohlhabender George Harrison die britische Steuerpolitik kritisierte. Und spätestens mit dem unvergesslichen „While My Guitar Gently Weeps“überzeugte er auch BeatlesFans, die ihn als Gitarristen unterschätzt hatten.
An diesem Sonntag wäre George 75 Jahre alt geworden. Ob er immer noch wie McCartney und Ringo Starr auf den Bühnen der Welt stehen würde, ist eher zweifelhaft. Dafür fehlte ihm die Eitelkeit vieler Rockund Popstars. In seinen letzten Lebensjahren hatte er noch komponiert – ein neues, für den Herbst 2001 konzipiertes Album war ihm nicht mehr vergönnt.
Umso lieber denken wir an sein zweites musikalisches Leben zurück – nach dem Ende einer der bedeutendsten Pop-Bands der Welt im Frühjahr 1970. In seinem PostBeatles-Oeuvre mischt sich musikalisch viel Licht („Cloud Nine“) mit wenig Schatten. Entspannung fand er mit den Erfolgen der Spezl-Truppe „The Traveling Wilburys“an der Seite von Bob Dylan, Tom Petty, Jeff Lynne und Roy Orbison. Harrison konnte Kumpel sein. Mit Spaß und Augenzwinkern trat er beispielsweise bei Tribute-Konzerten von Dylan und seines Rockabilly-Idols Carl Perkins auf. Da hatte er wieder das Spitzbübische im Blick wie in der Hamburger Zeit, als der 17-Jährige grinsend die Reeperbahn-Damen ansang. Und doch blieb er meist ernsthaft. Zeitgenossen nannten ihn „weise und klug“.
Harrison war es schon in den 60er Jahren gelungen, mit den Beatles nach Indien zu fliegen. Während Meditation und indische Musik, gelehrt von dem Guru Maharishi, für die anderen Beatles nur eine Episode blieben, trat George zum hinduistischen Glauben über, den er mit einer Portion Christentum verband. Der Gitarrist war so begeistert von dem indischen Sitar-Virtuosen Ravi Shankar, dass er das Instrument in einige Beatles-Nummern einbaute, beginnend mit „Norwegian Wood“.
Aber vor allem gelang Harrison der globale Brückenschlag zwischen rituellen indischen Klängen und profaner westlicher Musik. Ravi Shankar war auch mit dabei, als George 1971 in New York das wegweisende Benefiz-Konzert für Bangladesch organisierte. Schicksalsschläge blieben nicht aus: Seine erste Ehefrau Pattie verließ ihn – zum Vorteil ihres neuen Partners Eric Clapton. Und in seinem viktorianischen, gruselig wirkenden Herrenhaus Friar Park in Oxfordshire wurde der Ex-Beatle von einem Geistesgestörten schwer verletzt. Schließlich kam der vergebliche Kampf gegen den Krebs.
Harrisons populärster Song wird weiterleben. In gefühligen Arrangements hört man ihn von Entertainern an den Küsten Spaniens und vom Kurplatz-Orchester auf Usedom. Dafür kann der Komponist aber nichts. „Something“heißt dieser Song. Vom Schöpfer selbst gesungen, ist er eines der schönsten Liebeslieder um 1970.