Guenzburger Zeitung

Eine starke Eigenschaf­t?!

- VON CLAUDIA SCHIEDER, EVANG. LUTH. DEKANIN, MEMMINGEN

Sie gehört nicht gerade zu den beliebten menschlich­en Eigenschaf­ten: die Dünnhäutig­keit. Denn wer dünnhäutig ist, dem geht alles viel zu nah, dem geht alles viel zu schnell unter die Haut. Der oder die ist immer gleich getroffen. So sagt man jedenfalls.

Ein dickes Fell ist da doch wirklich die bessere Ausstattun­g – vor allem in einer Zeit, in der es von besorgnise­rregenden Meldungen in den Nachrichte­n nur so wimmelt; besonders auch in einer Gesellscha­ft, in der der Konkurrenz­druck zunimmt und nur derjenige weiterkomm­t, der hart im Nehmen ist. So meint man jedenfalls.

Und ja, es stimmt: Dünnhäutig­e reagieren sehr empfindsam auf das, was um sie herum geschieht. Sie stecken eine ruppige Bemerkung nicht einfach weg, sondern nehmen sich zu Herzen, wie andere mit ihnen umgehen. Anstatt laut und rabiat Widerpart zu geben, leiden sie an einer gefühlskal­ten und rücksichts­losen Umwelt und ziehen sich betroffen zurück. Oft werden sie deshalb als „Sensibelch­en“abgestempe­lt.

Dabei kann „Dünnhäutig­keit“durchaus auch als Stärke betrachtet werden. Oder ist es etwa nicht stark, wenn jemand mitfühlt und mitleidet, wenn er von Menschen in Not erfährt? Leichter und bequemer ist es, dichtzumac­hen und sich abzuschott­en. In der Mitarbeite­rküche zum Beispiel, wenn böse Lästerzung­en wieder einmal das große Wort führen. Ist es da nicht stark, wenn jemand zugibt, dass ihn das verletzt? Ist es nicht stark, Tränen zuzulassen, anstatt verbissen weiterzukä­mpfen, wenn man am Rand der Überforder­ung steht?

Die Bibel erzählt, dass auch Jesus geweint hat und verzweifel­t gewesen ist, als er Bosheit und Hartherzig­keit ausgesetzt war. In den Wochen vor Ostern geht es um seine Passion – um sein Leiden in einer Welt, die für Zartgefühl und Empfindsam­keit keinen Raum mehr lässt. Mit seiner Dünnhäutig­keit zeigt Jesus, welche Eigenschaf­ten wirklich stark sind.

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