Wie lange hat der Orang-Utan noch?
Weil Ölpalmen den Dschungel verdrängen, sind die Menschenaffen akut bedroht
Gnade gibt es nicht. Im Januar wurde ein toter Orang-Utan in einem Fluss gefunden, Trophäenjäger hatten ihm den Kopf abgeschnitten. Einem anderen schossen sie vor kurzem 130 Kugeln in den Leib (wir berichteten). Der Glaube, dass Orang-Utans – tot oder lebendig – besondere Kräfte verleihen, ist in Indonesien immer noch verbreitet. Noch größer als die Gefahr durch Wilderer ist für die Menschenaffen die Industrie: Wo einst Dschungel war, stehen jetzt Palmöl-Plantagen.
Indonesien und Malaysia sind die beiden wichtigsten Palmöl-Produzenten der Welt. Von jährlich weltweit mehr als 60 Millionen Tonnen kommen 85 Prozent von Borneo und der Nachbarinsel Sumatra. Das hochwertige Fett ist vielseitig verwendbar. Es steckt in Tiefkühlpizzen, Lippenstiften, Biodiesel, Schokolade, Speiseeis. Im letzten Jahrzehnt wurden dafür mehr als sieben Millionen Hektar Regenwald abgeholzt und abgebrannt – eine Fläche so groß wie Bayern. Die Gesetze zum Schutz der Wälder sind immer noch recht lax. Ein Moratorium, das die Vergabe von neuen Konzessionen einschränken sollte, hat nicht viel gebracht. Die Regierungen loben die Konzerne, weil sie Steuern und Arbeitsplätze bringen.
Der Chef der Tierschutzorganisation Borneo Orangutan Survival (BOS), Jamartin Sihite, sagt: „Hier kommst du ins Gefängnis, wenn du einen Orang-Utan umbringst. Aber wenn du einen ganzen Wald abholzt und der Orang-Utan daran krepiert, passiert dir überhaupt nichts.“Für die Menschenaffen könnte die Vernichtung der Wälder das Ende bedeuten. Die Orang-Utans brauchen die Kronen der Bäume. Dort bauen sie ihre Nester, suchen ihre Nahrung. Herunter kommen sie selten.
Mitte des 19. Jahrhunderts war Borneo fast vollständig von Wald bedeckt, heute ist es nur noch die Hälfte. Die letzten Jahre waren besonders schlimm: Im Vergleich zu 1999 – so heißt es in einer aktuellen Studie – ging die Zahl der OrangUtans allein auf Borneo um fast 150 000 zurück. Heute leben dort noch zwischen 50000 und 100000, die genaue Zahl kennt niemand. Auf Borneo gelten sie als stark gefährdet, auf Sumatra gar als vom Aussterben bedroht. „Weitere 45000 könnten in den nächsten 35 Jahren allein durch die Zerstörung ihrer Lebensräume verschwinden“, heißt es in der Studie, an der das MaxPlanck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig mitgewirkt hat.
In ihrem Kampf gegen das Aussterben des Orang-Utans unterhält die BOS-Stiftung zwei Rettungsstationen. Eine davon ist in Nyaru Menteng. Dort sind mehr als 450 Menschenaffen untergebracht. Die meisten sollen eines Tages wieder zurück in den Dschungel. Es gibt praktisch alles: einen Kindergarten, wo die kleinen Affen in Wäschekörben schlafen, eine „Waldschule“, wo den etwas älteren von menschlichen Ersatzmüttern beigebracht wird, wie man Nahrung besorgt und Nester baut, aber auch ein Krankenhaus und sogar einen Friedhof nur für Orang-Utans. Und Käfige für die hoffnungslosen Fälle: Tiere, die so geschädigt sind, dass sie nicht mehr in die Freiheit können – so wie Poni. Die 20 Jahre alte Affendame wurde 2003 in einem Bordell entdeckt. Die Besitzerin hatte ihr Ringe und Halsketten umgehängt und das Fell komplett geschoren, damit sie auf Freier menschlicher wirkt. Man mag ihr kaum in die Augen schauen. Poni krankt an einem Menschenleiden, einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Im Wald hätte sie keine Chance.
Finanziert wird das Projekt durch Spenden aus aller Welt. Es gibt aber auch Geld vom Staat, auch aus Deutschland, über ein Projekt des Entwicklungsministeriums. Vor ein paar Monaten hat BOS sogar damit angefangen, mit der Palmölindustrie zusammenzuarbeiten. Der Agrarkonzern PT Sawit Sumbermas Sarana (PTSSS) beteiligte sich am Kauf einer Insel, auf der die Affen noch Zeit in einer Art Dschungelcamp verbringen, bevor sie endgültig freikommen. Aktuell leben auf der 20 Quadratkilometer großen Insel Salat, anderthalb Autostunden von der Station entfernt, etwa 30 Tiere. Inzwischen kommt auch Geld von einem anderen Konzern. Bis es so weit war, gab es unter den Tierschützern viele Diskussionen. Denn der allergrößte Teil der Palmölindustrie sieht bis heute keine Veranlassung, etwas zum Schutz der Orang-Utans beizutragen. Andere Umweltschützer werfen BOS vor, den Konzernen zu helfen, sich für wenig Geld von ihren Sünden weißzuwaschen – oder vielmehr grünzuwaschen.
2017 wurden 75 Affen wieder in die freie Natur gebracht, dieses Jahr sollen es doppelt so viele sein. Aber so viele Orang-Utans, wie Jahr für Jahr verschwinden, können gar nicht ausgesetzt werden. Immerhin: Manchmal werden die Tiere sogar mit Regierungshubschraubern in den Dschungel geflogen. Der Käfig hängt dann unten an einem Seil. Das ist für beide Seiten nicht ungefährlich. Im Dezember machte ein männlicher Orang-Utan nach der Freilassung kehrt und ging auf die Helfer los. Dennoch: Nach der BOS-Statistik liegt die Erfolgsquote bei 85 Prozent. Von 100 ausgesetzten Affen sind nach zwei Jahren noch 85 am Leben. Sieben Orang-Utans bekamen im Dschungel auch schon Nachwuchs. Der Experte Michael Krützen von der Uni Zürich hält die Auswilderung generell für sinnvoll. „Allerdings muss man den ausgewilderten Tieren einige Jahre folgen, um zu sehen, wie sie sich entwickeln. Oder drastischer gesagt: ob sie überhaupt überleben.“