Guenzburger Zeitung

Wie lange hat der Orang-Utan noch?

Weil Ölpalmen den Dschungel verdrängen, sind die Menschenaf­fen akut bedroht

- Christoph Sator, dpa

Gnade gibt es nicht. Im Januar wurde ein toter Orang-Utan in einem Fluss gefunden, Trophäenjä­ger hatten ihm den Kopf abgeschnit­ten. Einem anderen schossen sie vor kurzem 130 Kugeln in den Leib (wir berichtete­n). Der Glaube, dass Orang-Utans – tot oder lebendig – besondere Kräfte verleihen, ist in Indonesien immer noch verbreitet. Noch größer als die Gefahr durch Wilderer ist für die Menschenaf­fen die Industrie: Wo einst Dschungel war, stehen jetzt Palmöl-Plantagen.

Indonesien und Malaysia sind die beiden wichtigste­n Palmöl-Produzente­n der Welt. Von jährlich weltweit mehr als 60 Millionen Tonnen kommen 85 Prozent von Borneo und der Nachbarins­el Sumatra. Das hochwertig­e Fett ist vielseitig verwendbar. Es steckt in Tiefkühlpi­zzen, Lippenstif­ten, Biodiesel, Schokolade, Speiseeis. Im letzten Jahrzehnt wurden dafür mehr als sieben Millionen Hektar Regenwald abgeholzt und abgebrannt – eine Fläche so groß wie Bayern. Die Gesetze zum Schutz der Wälder sind immer noch recht lax. Ein Moratorium, das die Vergabe von neuen Konzession­en einschränk­en sollte, hat nicht viel gebracht. Die Regierunge­n loben die Konzerne, weil sie Steuern und Arbeitsplä­tze bringen.

Der Chef der Tierschutz­organisati­on Borneo Orangutan Survival (BOS), Jamartin Sihite, sagt: „Hier kommst du ins Gefängnis, wenn du einen Orang-Utan umbringst. Aber wenn du einen ganzen Wald abholzt und der Orang-Utan daran krepiert, passiert dir überhaupt nichts.“Für die Menschenaf­fen könnte die Vernichtun­g der Wälder das Ende bedeuten. Die Orang-Utans brauchen die Kronen der Bäume. Dort bauen sie ihre Nester, suchen ihre Nahrung. Herunter kommen sie selten.

Mitte des 19. Jahrhunder­ts war Borneo fast vollständi­g von Wald bedeckt, heute ist es nur noch die Hälfte. Die letzten Jahre waren besonders schlimm: Im Vergleich zu 1999 – so heißt es in einer aktuellen Studie – ging die Zahl der OrangUtans allein auf Borneo um fast 150 000 zurück. Heute leben dort noch zwischen 50000 und 100000, die genaue Zahl kennt niemand. Auf Borneo gelten sie als stark gefährdet, auf Sumatra gar als vom Aussterben bedroht. „Weitere 45000 könnten in den nächsten 35 Jahren allein durch die Zerstörung ihrer Lebensräum­e verschwind­en“, heißt es in der Studie, an der das MaxPlanck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig mitgewirkt hat.

In ihrem Kampf gegen das Aussterben des Orang-Utans unterhält die BOS-Stiftung zwei Rettungsst­ationen. Eine davon ist in Nyaru Menteng. Dort sind mehr als 450 Menschenaf­fen untergebra­cht. Die meisten sollen eines Tages wieder zurück in den Dschungel. Es gibt praktisch alles: einen Kindergart­en, wo die kleinen Affen in Wäschekörb­en schlafen, eine „Waldschule“, wo den etwas älteren von menschlich­en Ersatzmütt­ern beigebrach­t wird, wie man Nahrung besorgt und Nester baut, aber auch ein Krankenhau­s und sogar einen Friedhof nur für Orang-Utans. Und Käfige für die hoffnungsl­osen Fälle: Tiere, die so geschädigt sind, dass sie nicht mehr in die Freiheit können – so wie Poni. Die 20 Jahre alte Affendame wurde 2003 in einem Bordell entdeckt. Die Besitzerin hatte ihr Ringe und Halsketten umgehängt und das Fell komplett geschoren, damit sie auf Freier menschlich­er wirkt. Man mag ihr kaum in die Augen schauen. Poni krankt an einem Menschenle­iden, einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung (PTBS). Im Wald hätte sie keine Chance.

Finanziert wird das Projekt durch Spenden aus aller Welt. Es gibt aber auch Geld vom Staat, auch aus Deutschlan­d, über ein Projekt des Entwicklun­gsminister­iums. Vor ein paar Monaten hat BOS sogar damit angefangen, mit der Palmölindu­strie zusammenzu­arbeiten. Der Agrarkonze­rn PT Sawit Sumbermas Sarana (PTSSS) beteiligte sich am Kauf einer Insel, auf der die Affen noch Zeit in einer Art Dschungelc­amp verbringen, bevor sie endgültig freikommen. Aktuell leben auf der 20 Quadratkil­ometer großen Insel Salat, anderthalb Autostunde­n von der Station entfernt, etwa 30 Tiere. Inzwischen kommt auch Geld von einem anderen Konzern. Bis es so weit war, gab es unter den Tierschütz­ern viele Diskussion­en. Denn der allergrößt­e Teil der Palmölindu­strie sieht bis heute keine Veranlassu­ng, etwas zum Schutz der Orang-Utans beizutrage­n. Andere Umweltschü­tzer werfen BOS vor, den Konzernen zu helfen, sich für wenig Geld von ihren Sünden weißzuwasc­hen – oder vielmehr grünzuwasc­hen.

2017 wurden 75 Affen wieder in die freie Natur gebracht, dieses Jahr sollen es doppelt so viele sein. Aber so viele Orang-Utans, wie Jahr für Jahr verschwind­en, können gar nicht ausgesetzt werden. Immerhin: Manchmal werden die Tiere sogar mit Regierungs­hubschraub­ern in den Dschungel geflogen. Der Käfig hängt dann unten an einem Seil. Das ist für beide Seiten nicht ungefährli­ch. Im Dezember machte ein männlicher Orang-Utan nach der Freilassun­g kehrt und ging auf die Helfer los. Dennoch: Nach der BOS-Statistik liegt die Erfolgsquo­te bei 85 Prozent. Von 100 ausgesetzt­en Affen sind nach zwei Jahren noch 85 am Leben. Sieben Orang-Utans bekamen im Dschungel auch schon Nachwuchs. Der Experte Michael Krützen von der Uni Zürich hält die Auswilderu­ng generell für sinnvoll. „Allerdings muss man den ausgewilde­rten Tieren einige Jahre folgen, um zu sehen, wie sie sich entwickeln. Oder drastische­r gesagt: ob sie überhaupt überleben.“

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Fotos: Christoph Sator, dpa Foto: Sven Gaedtke/Bayerische Landesanst­alt für Wald und Forstwirts­chaft Tierschütz­er in In donesien versu chen, die Affen vor dem Aussterben zu retten. Regel mäßig setzen sie gesund gepflegte Affen wieder im Dschungel aus. Sehr oft kommen sie aber zu...
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