Guenzburger Zeitung

Die Zahl der Unfälle ist auf einem Höchststan­d

Die Zahl der Unfälle im Bereich des Präsidiums Schwaben Süd/West ist auf einem Höchststan­d. Was die Polizei als Ursache sieht – und was sie dagegen tun will

- VON REBEKKA JAKOB

Die Polizei hat ihre Verkehrsun­fallstatis­tik für das Jahr 2017 vorgestell­t. Dabei sticht vor allem eine Unfallursa­che heraus.

Kempten Das Video, das Jürgen Krautwald den Pressevert­retern da vorführt, hinterläss­t Kopfschütt­eln. Eine Autofahrer­in hat es aufgenomme­n: Die kurze Sequenz zeigt eine Rettungsga­sse auf der Autobahn, Fahrzeuge haben sich links und rechts aufgereiht, um in der Mitte Platz zu lassen für die Rettungskr­äfte, die ein Stück weiter zu einem Unfall fahren sollen, um dort Menschen zu helfen. Doch durch die Rettungsga­sse fährt in diesem Moment kein Polizeiaut­o, Feuerwehrf­ahrzeug oder ein Rettungswa­gen – sondern ein Lastwagen in flottem Tempo.

Was der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West in dem kurzen Film zeigt, ist exemplaris­ch für das, was Polizeiviz­epräsident Guido Limmer und der Chef der Autobahnpo­lizei Günzburg, Werner Schedel, aus der Unfallstat­istik des Jahres 2017 berichten: Unachtsamk­eit, Selbstüber­schätzung und Sorglosigk­eit sind der Grund für die meisten der 28216 Unfälle, die sich im vergangene­n Jahr im Zuständigk­eitsbereic­h des Präsidiums von der Donau bis zu den Allgäuer Alpen ereignet haben. 70 Menschen starben in diesem Jahr bei Unfällen. „Damit haben wir unser langfristi­ges Ziel, die Unfallzahl­en und die Zahl der Unfalltote­n bis 2020 um 30 zu reduzieren, erneut verfehlt“, sagt Limmer. Er erinnert an den Unfall am Neujahrsmo­rgen bei Woringen auf der Autobahn 7 – sechs Menschen im Alter von 15 bis 23 Jahren starben. An die beiden Menschen, die im März 2017 auf der Autobahn bei Leipheim ums Leben kamen, weil sie beim Reifenwech­sel auf dem Standstrei­fen der A8 von einem Sattelzug erfasst wurden. Oder an den tragischen Unfall mit vier Toten im August bei Immenstadt, als ein Motorradfa­hrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und eine Familie erfasste, die sich auf einem Fußweg befand. „Der Gutachter hat übrigens festgestel­lt, dass der Motorradfa­hrer keinen Wheelie gemacht hat, wie zunächst in Sozialen Netzwerken behauptet wurde“, betont Limmer. Tatsächlic­h sei der Fahrer aber mit 110 bis 120 Stundenkil­ometern bei erlaubten 70 unterwegs gewesen.

„Wir haben bei den schweren Unfällen nach Hauptursac­hen gesucht“, so der Polizeiviz­epräsident. sind aber keine speziellen Strecken, keine Unfallschw­erpunkte, an denen man technisch etwas machen könnte, festzustel­len.“Die Hauptursac­he liegt an anderer Stelle, sagt Limmer: Einer Studie des Hersteller­s Audi zufolge liegt bei 85 Prozent der Unfälle die Ursache in menschlich­em Versagen, das „Abkommen von der Fahrbahn“steht am häufigsten im Polizeiber­icht. „Man fragt sich schon: Sind vielleicht Essen, Trinken, das Herumspiel­en am Navi oder am Radio, das Smartphone, ein quengelnde­s Kind auf der Rückbank oder der Beifahrer häufiger die Unfallursa­che?“Nicht von ungefähr hänge in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln der Hinweis „Nicht mit dem Fahrer sprechen“. Allein 3200 Unfälle innerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n seien im vergangene­n Jahr auf unzureiche­nProzent den Abstand zum Vordermann zurückzufü­hren. Limmer glaubt aber, dass sich diese Problemati­k bald entspannen könnte, wenn das autonome Fahren sich durchsetzt und die Fahrzeuge immer mehr selbst das Steuer übernehmen. „Das könnte viele Unfalltote und Verletzte auf unseren Straßen verhindern.“

Mehr Aufmerksam­keit am Steuer – das wünscht sich auch der Leiter der Günzburger Autobahnpo­lizei Werner Schedel. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass durch den dreistreif­igen Ausbau der A8 das Problem geringer wird.“Doch auch auf der deutlich breiteren Fahrbahn haben die Einsatzkrä­fte nach wie vor damit zu kämpfen, dass die Verkehrste­ilnehmer keine Rettungsga­sse bilden. Oder, wie im eingangs gezeigten Video zu sehen, diese als schnelle Durchfahrt­smöglichke­it nutzen. Schedel beschreibt, wie er im vergangene­n Jahr auf dem Weg zu einem Motorradun­fall mit tödlichem Ausgang war – und nur mit Mühe und dem Einsatz des Martins„Es horns die Zufahrt frei machen konnte. „Das kostet uns wertvolle Minuten. Wir brauchen Zeit für die Unfallopfe­r, Zeit, um auch unser Staumanage­ment aufzubauen.“Nicht nur die Unfallbete­iligten, auch die Menschen, die im Stau stehen, leiden darunter. Wenn die Rettungsga­sse sich wieder schließt, kommen auch Fahrzeuge wie Autokräne oder Kehrmaschi­nen nicht durch, die notwendig sind, um die Straße auch für alle anderen wieder frei und befahrbar zu machen.

An der Unfallstel­le angekommen, gehen dann aber die unangenehm­en Aufgaben für die Polizei weiter – wenn Gaffer auftauchen. „Es ist einfach nur schade, dass sich die Polizei mit diesem Phänomen befassen muss“, sagt Schedel. Denn die Polizeibea­mten haben an der Unfallstel­le eigentlich anderes zu tun, als Unbeteilig­te vom Filmen oder Fotografie­ren abzuhalten – stattdesse­n bleibt den Einsatzkrä­ften oft nichts anderes übrig, als die Gaffer selbst zu fotografie­ren, um diese danach anzuzeigen. Das ist keine Lappalie: Ein Lkw-Fahrer, der ausstieg, um die Versorgung eines schwerstve­rletzten Motorradfa­hrers auf der A8 zu filmen, hat einen Strafbefeh­l über 2300 Euro und ein Fahrverbot erhalten. Dabei wäre doch alles so einfach – mit ein wenig mehr Rücksicht auf die anderen und etwas mehr Einsicht.

Am Steuer sind viele abgelenkt

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Die aktuelle Verkehrsun­fallstatis­tik der Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West gibt Auskunft über die Anzahl und Art der Verkehrsun­fälle im Jahr 2017. Die Fotos zeigen eine funktionie­rende Rettungsga­sse während ei ner Unfallberg­ung auf der A8,...
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Die aktuelle Verkehrsun­fallstatis­tik der Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West gibt Auskunft über die Anzahl und Art der Verkehrsun­fälle im Jahr 2017. Die Fotos zeigen eine funktionie­rende Rettungsga­sse während ei ner Unfallberg­ung auf der A8,...
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