„Nachbarschaftshilfe ist das Modell der Zukunft“
Im Landkreis beteiligt sich in Kürze mit Leipheim die zehnte Gemeinde an dem Projekt. Wo es gut läuft, wo es auch nach längerer Zeit noch hakt und warum manchmal ein bisschen mehr Mut gefragt ist
Günzburg/Jettingen Scheppach Was tun, wenn der 80-jährige Herr nicht mehr selbst Auto fahren kann, aber dringend zum Arzt muss? Oder die alte Dame von nebenan, die nicht mehr gut zu Fuß ist, einkaufen möchte? Und wenn dann kein Verwandter oder Bekannter parat steht? Genau an diesem Punkt setzt die Nachbarschaftshilfe an, ein Projekt, hinter dem ganz viele Ehrenamtliche stehen, die im Notfall schnell und unbürokratisch einspringen. In neun Städten und Kommunen im Landkreis hat sich diese Art der Hilfe schon bewährt. Im April läuft das Projekt in der zehnten Gemeinde an, dann soll auch in Leipheim die Nachbarschaftshilfe aufgebaut werden. Als Anschieber, Berater und Unterstützer steht das Freiwilligenzentrum Stellwerk dahinter, dessen Leiterin Inge Schmidt ist überzeugt: „Wir leben in einer so schnelllebigen Zeit, in der keiner mehr Zeit hat. Da braucht es die Nachbarschaftshilfe, sie ist das Modell der Zukunft.“
Gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend und mit dem Stellwerk, der zentralen Anlaufstelle im Landkreis für alle Belange des Ehrenamts, ist die Nachbarschaftshilfe in der Region ins Rollen gekommen. 2009 wurde sie erstmals zum Thema, Offingen machte damals den Anfang, doch das Projekt schlief zum Bedauern von Inge Schmidt wieder ein. Burtenbach folgte 2011 und dort wurde die Nachbarschaftshilfe genau so, wie sie sich die Leiterin des Stellwerks gewünscht hatte. Nämlich zum Selbstläufer.
Schmidt spricht von einer „Vorzeigekommune“, dort gebe es ein eingespieltes Team von etwa 22 Ehrenamtlichen, die im Bedarfsfall Fahrdienste übernehmen, Behördengänge oder Einkäufe erledigen, auch mal den Rasen des Nachbarn mähen, der sich den Arm gebrochen hat, oder aber regelmäßig im Kindergarten oder im Altenheim vorlesen. Auch in der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Haldenwang, die sich vor drei Jahren zur Nachbarschaftshilfe entschlossen hat, läuft das Projekt ziemlich erfolgreich.
Dorothea Schretzenmaier, die in der VG die Anfragen von Helfern und Hilfsbedürftigen koordiniert, kommt auf 70 Anfragen, die im Jahr 2016 bei ihr eingegangen seien.
Eine so hohe Zahl ist aber eher die Ausnahme. Denn überraschender-
weise mangelt es in den meisten Gemeinden nicht etwa an Helfern, sondern an Personen, die Hilfe benötigen. Genau dieses Problem kennt auch Claudia Mayer. Seit einem Jahr ist sie in Jettingen-Scheppach ehrenamtliche Ansprechpartnerin für
die Nachbarschaftshilfe. Anderen zu helfen, ist ihr wichtig. „Wenn man jemandem hilft, können beide Seiten einen großen Gewinn haben.“Sie ist stolz darauf, dass, ohne groß die Werbetrommel rühren zu müssen, 17 Helfer zusammengekommen sind. Diese würde sie allerdings gerne häufiger auf Einsätze schicken, Mayer ist sich „hundertprozentig“sicher, dass der Bedarf da wäre. „Aber im Allgemeinen sind die Leute hier sehr zurückhaltend, besonders die ältere Generation nimmt ungern Hilfe an“, sagt sie. Da fehle es an Mut, offen anzufragen. Manche hätten auch Schuldgefühle, dass sie für den Dienst nichts bezahlen müssten. Ein anderer Teil habe eher Angst, ins Gerede zu kommen. „Das schreckt ab, wenn getratscht wird, dass man sich Hilfe ins Haus holt“, glaubt Mayer. Diese Erfahrung teilt Inge Schmidt mit ihr. „Die Hemmschwelle, was andere sagen könnten, wenn plötzlich eine fremde Person ein- und ausgeht, ist vor allem auf dem Land groß“, sagt die StellwerkLeiterin und nennt es „hyposoziale Kontrolle“.
Die Quantität ist nicht entscheidend
Eines stellt Schmidt aber klar: Ziel der Nachbarschaftshilfe sei es nie gewesen, möglichst viele Anfragen von Bedürftigen zu bekommen. Nicht die Quantität sei entscheidend, sondern die Hilfe an sich. Über allem stehe, eine Versorgungslücke zu schließen. Und wenn es den Helferkreis nicht gebe, „hätten wir viel mehr Probleme“, ist Schmidt überzeugt.
Manchmal entwickelt sich aus einem ersten Besuch bei einem alleinstehenden Senioren auch etwas Dauerhaftes. So wie in Jettingen, wo Nachbarschaftshelfer regelmäßig im Altenheim Besuche machen. In Haldenwang haben Ehrenamtliche, die sich in der Nachbarschaftshilfe engagieren, einen Spielenachmittag angeregt. Seit fast zwei Jahren findet er einmal im Monat statt. In Aichen gibt es dank der Nachbarschaftshelfer einen regelmäßigen Tanzabend. „Unser Projekt darf sich ruhig weiterentwickeln“, sagt Inge Schmidt, die bereits auf der Suche nach entsprechenden Fördergeldern ist. Der Landkreis sei, was die Nachbarschaftshilfe angeht, gut aufgestellt. „Aber das Netz kann noch dichter werden.“ Termin Am 11. April findet von 16 bis 18 Uhr im Landratsamt ein Treffen für die Koordinatoren der Kommunen statt.