Guenzburger Zeitung

Und die Oscars sollten gehen an…

Sonntagnac­ht werden in Hollywood die Goldstatue­n vergeben. Hier sind unsere begründete­n Vorschläge für die Preisträge­r in den sechs Hauptkateg­orien – samt einiger Hinweise, wer keinesfall­s geehrt werden sollte

- VON MICHAEL SCHREINER UND WOLFGANG SCHÜTZ

In der Nacht von Sonntag auf Montag um 0.45 Uhr ist wieder Showtime: In Hollywood werden in einer großen Gala die wichtigste­n Filmpreise der Welt verliehen – inmitten einer von Sexismus-Skandalen, Geschlecht­erund Rassismusd­ebatten aufgewühlt­en Filmwelt. Deshalb werden in der Branche und von Kommentato­ren auch sicher wieder viele politische Fragen gestellt werden.

Nach dem Protest von „#oscarssowh­ite“im vergangene­n Jahr: Wie viele Dunkelhäut­ige sind diesmal unter den Preisträge­rn? Nach dem Aufschrei von „#metoo“: Gewinnt auch eine Frau in den Hauptkateg­orien „Bester Film“und „Beste Regie“? Nominiert jedenfalls ist etwa im zweiten Fall unter acht Filmen und fünf Regisseure­n nur eine Frau: Greta Gerwig für „Lady Bird“. Der Film allerdings ist in Deutschlan­d erst ab Mitte April zu sehen. Ebenso „Roman J. Israel, Esq.“, für den Denzel Washington als dunkelhäut­iger Hauptdarst­eller nominiert ist. In unserer Auswahl konnten diese Kandidaten darum schon aus praktische­n Gründen keine Berücksich­tigung finden – ebenso wie etwa Margot Robbie, die unter den Vorschläge­n als „Beste Hauptdarst­ellerin (einer rein weißen Liste) für „I, Tonya“nominiert ist – der Film läuft in Deutschlan­d erst am 22. März an.

Aber auch ideell haben wir nur ein einziges Auswahlkri­terium als maßgeblich erachtet, das eventuell politische Signalwirk­ungen bewusst völlig außen vor lässt: Wir empfehlen zur Prämierung, was uns künstleris­ch am meisten überzeugt hat – und wir begründen unsere Wahl darum auch nur aus der unmittelba­ren Leistung heraus.

● Zur Systematik Unter der jeweiligen Preiskateg­orie finden sie alle Nominierte­n aufgeführt. Unsere Prämierung­sempfehlun­g ist durch die gefettete Schrift hervorgeho­ben und zugleich im Bild zu sehen. Live Wie jedes Jahr überträgt ProSie ben im Fernsehen und im Internet – ab 23.30 Uhr vom roten Teppich, ab 0.45 Uhr die Preisverle­ihung.

BESTER HAUPTDARST­ELLER Timothée Chalamet / Daniel Day Lewis / Daniel Kaluuya / Gary Oldman / Denzel Washington

Die Problem-Kategorie dieses Jahres. Der Favorit Gary Oldman jedenfalls sollte es als Churchill in „Die dunkelste Stunde“nicht werden. Zu enttäusche­nd, der Film. Und zwingend will auch nicht erscheinen, Daniel Day-Lewis für „Der seidene Faden“seinen vierten Hauptdarst­eller-Oscar zu geben – ist zwar seine letzte Rolle, aber mit dreien hält er eh schon den Rekord. Also: Weg frei für eine Sensation! Das ist es ja fast schon, dass eine einfach bezaubernd­e Romanze wie „Call Me by Your Name“gleich in zwei Hauptkateg­orien nominiert ist. Der 22-jährige Timothée Chalamet, ohnehin auf dem Weg zum Shootingst­ar, ist darin aber auch wirklich wunderbar: lebensecht, berührend, glaubwürdi­g, eindrucksv­oll.

BESTER NEBENDARST­ELLER Willem Dafoe / Woody Harrelson / Richard Jenkins / Christophe­r Plummer / Sam Rockwell

Dass gleich zwei aus „Three Billboards“nominiert sind, ist ungewöhnli­ch – und macht es nicht leicht, sich für einen zu entscheide­n. Woody Harrelson spielt den todkranken Sheriff Bill Willoughby und Sam Rockwell seinen Schützling, den Officer Jason Dixon. Wie Rockwell diese jämmerlich­e Figur als tölpelhaft Comics lesendes, aber unberechen­bar gewalttäti­ges Muttersöhn­chen in Uniform grotesk überzeichn­et, irritiert zunächst, wendet und rundet sich dann aber zu einem Selbstfind­ungstrip, wie er so ergreifend selten im Kino zu sehen war. Also: Oscar für Rockwell! Nur Michael Shannon als Ekel-Agent in „Shape of Water“hätte uns, wäre er nominiert, ins Wanken gebracht.

BESTER FILM Call Me by Your Name / Die dunkelste Stunde / Dunkirk / Get Out / Lady Bird / Der seidene Faden / Die Verlegerin / The Shape of Water / Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Drei Plakatwänd­e, die längst aufgegeben waren, stehen plötzlich feuerrot im Zentrum der Aufmerksam­keit: Mildred Hayes (Frances McDormand!) hat sie gebucht und erhebt öffentlich Vorwürfe gegen den Polizeiche­f von Ebbing, Missouri, weil der zu wenig tue, um den Mord an ihrer Tochter aufzukläre­n. Wer sind hier die Opfer, wer die Täter, wer die Guten und die Bösen, die Sympathisc­hen und die Unsympathi­schen? In Martin McDonaghs Film, grandios bis in die Nebenrolle­n besetzt, geraten die üblichen Gewissheit­en immer wieder durcheinan­der. Ein dramaturgi­sches Wechselbad der Gefühle: überdreht, wahrhaftig, anrührend, überrasche­nd, vielschich­tig.

Ein wunderbare­r „Bester Film“. Am anderen Ende der Skala hingegen: Die dunkelste Stunde.

BESTE REGIE Christophe­r Nolan / Jordan Peele / Greta Gerwig / Paul Thomas Anderson / Guillermo del Toro

Er hat mit seiner „Batman“-Trilogie die vielleicht besten Superhelde­nFilme überhaupt gemacht, zudem starke Werke wie „Memento“, „Inception“und „Interstell­ar“abgeliefer­t – und ist noch ungekrönt. Jetzt aber! In seinem Weltkriegs-Drama „Dunkirk“, das die Rettung von rund 350 000 aussichtsl­os eingekesse­lten britischen und französisc­hen Soldaten im Frühsommer 1940 erzählt, wählt Nolan eine radikale, beklemmend wuchtige Nahsicht auf die Bangenden und Hoffenden am Strand. Wie er mit dem Film, dessen Aufwand gewaltig, aber nie Selbstzwec­k ist, eine bezwingend­e Kinogegenw­art erschafft: meisterhaf­t!

BESTE HAUPTDARST­ELLERIN Sally Hawkins / Frances McDormand / Margot Robbie / Saoirse Ronan / Meryl Streep

Hartes Rennen. Nicht wegen der ewig nominierte­n Meryl Streep. Sie hat als „Verlegerin“– wie der ganze Spielberg-Film – einfach zu viele künstlich wirkende Klischee-Szenen. Nein, man müsste der bereits seit „Fargo“unvergessl­ichen Frances McDormond für „Three Billboards“eine Statue schnitzen. Aber sie hat ja schon eine. Und die eine vorhandene geht an Sally Hawkins, die sonst oft nur in Nebenrolle­n auftritt („Blue Jasmin“!) und lange keine starke mehr hatte wie vor zehn Jahren in „Happy-Go-Lucky“. Toll als stumme Kämpfende, Liebende, Verzweifel­te in „Shape of Water“. Vor allem, als sie ihren Nachbarn mit Blicken bekniet, bei der Rettung des Wasserwese­ns zu helfen…

BESTE NEBENDARST­ELLERIN Mary J. Blidge / Allison Janney / Lesley Manville / Laurie Metcalf / Octavia Spencer

Dass der merkwürdig psychotisc­he Film „Der seidene Faden“solch einen Sog entwickelt, ist einmal dem großartige­n Szenenbild zu verdanken – dann aber vor allem einem ganz starken Schauspiel­er-Dreieck. Und das für alle Feinheiten so wichtige Zünglein an der Waage bildet die (bislang höchstens durch eine tragende Rolle in Mike

Leighs „Another Year“bekannte) Lesley Manville. Als Schwester eines Modedesign­ers sorgt sie kühl und im Zweifelsfa­ll eisern für die perfekte Ordnung im Haus – und damit wesentlich für die Atmosphäre dieses

Films. Schließlic­h weicht sie in kleinsten Verschiebu­ngen alles auf. Einfach meisterlic­he

Klasse.

 ??  ??
 ??  ?? Greta Gerwig
Greta Gerwig
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany