Guenzburger Zeitung

Drei Unterschri­ften und ein bisschen Freude

Union und SPD besiegeln ihr Bündnis nun auch offiziell. Schon jetzt denkt jeder ans eigene Profil

- Jörg Blank und Georg Ismar, dpa

Berlin Angela Merkel äußert einen Wunsch: „Eine Portion Freude am Gestalten“, sagt sie vorne auf dem Podium im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Ein Seitenhieb auf die Genossen von der SPD, die sich so schwergeta­n haben mit dem Eintritt in diese vierte Große Koalition der Bundesrepu­blik. Neulich in der SPD-Zentrale, nach der Verkündung der Zustimmung der Sozialdemo­kraten zum Koalitions­vertrag, herrschte noch dröhnendes Schweigen. Jetzt, bei der Unterzeich­nung, darf ruhig mal geklatscht werden.

Es ist Tag 169 nach der Wahl. CSU-Chef Horst Seehofer, bald Innenminis­ter, findet angesichts geplanter Verbesseru­ngen bei Rente, Bildung und auf dem Arbeitsmar­kt eine eingängige Überschrif­t: „Es ist ein Koalitions­vertrag für die kleinen Leute.“Den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft stärken angesichts des Erstarkens der AfD, das soll das große Thema werden. Der künftige Finanzmini­ster und Vizekanzle­r Olaf Scholz macht deutlich: Die geplanten Verbesseru­ngen rechtferti­gten es für die SPD, noch mal mitzumache­n. „Eigentlich drängt fast alles, was man sich vorgenomme­n hat“, sagt Merkel. Recht bald soll es eine Kabinettsk­lausur geben.

In der Bundespres­sekonferen­z treten am Vormittag nacheinand­er zunächst die Chefs von Grünen, FDP und AfD auf, um den 177 Seiten dicken Koalitions­vertrag zu bewerten. Den AfD-Chef Jörg Meuthen erinnert das Werk an Fünfjahres­pläne in der DDR. Dann folgen ihnen Merkel, Seehofer und Scholz. Nach der quälenden Zitterpart­ie bei der Regierungs­bildung wollen sie Einigkeit demonstrie­ren. Damit sie das so richtig demonstrie­ren können, haben sie sich erst im Kanzleramt getroffen. Für die paar hundert Meter zur Pressekonf­erenz nehmen sie den Wagen der Kanzlerin. Merkel und der CSU-Chef sitzen im Fond, SPD-Mann Scholz vorne auf dem Beifahrers­itz, wird in der Union später betont.

„Die vierte Große Koalition in Deutschlan­d ist jetzt nicht von Anfang an als Liebesheir­at losgegange­n“, frotzelt Scholz. Obwohl Union und SPD „grundversc­hiedene Parteien“blieben, seien sie aber „trotzdem in der Lage, konstrukti­v miteinande­r zusammenzu­arbeiten und ordentlich zu regieren“. Als die Dreier-Runde auf dem Podium gefragt wird, warum sie so griesgrämi­g nebeneinan­dersitze, kontert Merkel: „Es sind gute Partner jetzt für die Arbeit“– und überhaupt sei man eben voller Konzentrat­ion für die kommenden Projekte. „Wir können auch gerne freundlich gucken, das fällt mir nicht schwer.“

Alle drei Partner werden sich profiliere­n, sie stehen nach der Bundestags­wahl und ihren schweren Verlusten stark unter Druck. Dennoch betonen alle: Das ist eine Regierung für die ganze Wahlperiod­e, bis Herbst 2021. Aber schon dieser Tag zeigt, die AfD könnte die Politik wie ein Schatten beeinfluss­en. Seehofer könnte in der Flüchtling­spolitik sicher rasch Pflöcke für eine härtere Abschiebep­raxis einschlage­n – und auch aus der SPD kommen dazu neue Töne. Scholz etwa spricht von einem „pragmatisc­hhumanitär­en“Ansatz.

Seehofer sorgt zwar für einen unfreiwill­igen Lacher in der Pressekonf­erenz, als er von seinem künftig um die Bereiche Heimat und Bau ergänzten Innenminis­terium als „Heimatmuse­um“spricht. Doch die Christsozi­alen stehen vor einer Landtagswa­hl im Herbst, bei der auch deren bundespoli­tischer Anspruch auf der Kippe steht – auch ihr sitzt die AfD im Nacken.

Auch in der CDU-Führung heißt es angesichts der dramatisch­en Verluste bei der Bundestags­wahl, in der neuen Regierung müsse genügend Raum zur Profilbild­ung bleiben. Es werde eine schwierige Gratwander­ung, über die mit der SPD abgestimmt­e Tagespolit­ik hinaus Themen zu finden, worin sich Koalitions­partner unterschei­den.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? „Wir können auch gerne freundlich gucken“: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) unterzeich­net gemeinsam mit dem kommissari­schen SPD Chef Olaf Scholz (links) und dem CSU Vorsitzend­en Horst Seehofer den Koalitions­vertrag – 169 Tage nach der Bundestags­wahl.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa „Wir können auch gerne freundlich gucken“: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) unterzeich­net gemeinsam mit dem kommissari­schen SPD Chef Olaf Scholz (links) und dem CSU Vorsitzend­en Horst Seehofer den Koalitions­vertrag – 169 Tage nach der Bundestags­wahl.

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