Guenzburger Zeitung

Schwaben: Ein starkes Stück Freistaat

Über die lange und stürmische Beziehungs­geschichte zwischen den Schwaben und den Altbayern. Lange Zeit fühlten sich die benachteil­igten Schwaben nicht wohl im Freistaat. Heute leben sie in einer Aufsteiger-Region

- VON WALTER ROLLER

Augsburg Die bayerische­n Schwaben und die Altbayern – das ist eine lange, wechselvol­le, stürmische Beziehungs­geschichte, die vor über zwei Jahrhunder­ten im Jahre 1806 begann. Damals sind die Schwaben auf Geheiß des französisc­hen Kaisers Napoleon mit einem Federstric­h dem Land der Bayern zugeschlag­en worden. Die zwischen Iller und Lech lebenden, den Allemannen verwandten Schwaben wären viel lieber bei den Württember­gern geblieben und befürchtet­en nun, bei den neuen Herren, den Wittelsbac­hern, unter die Räder zu geraten. „Nun sind wir also baierisch, Gott gnade uns allen“, rief ein Allgäuer Pfarrer von der Kanzel herab. „Gott steh’ uns bei“, klagte der Krumbacher Bürgermeis­ter. Die beiden sprachen der weit überwiegen­den Bevölkerun­gsmehrheit mit ihren Stoßseufze­rn aus dem Herzen. Die per Dekret verordnete napoleonis­che Flurberein­igung war sehr unpopulär. Bis weit ins 20. Jahrhunder­t hinein fühlten sich die Schwaben nicht wohl in ihrer bayerische­n Haut. Man sah sich benachteil­igt und vernachläs­sigt und als fünftes Rad am Wagen des traditione­ll zentralist­isch regierten Bayern.

„Wir kämpfen nicht gegen München“, erklärte der Kreistag von Schwaben und Neuburg im Jahre 1928. „Aber wir wollen, dass unser Bayernland altbayeris­che, fränkische, schwäbisch­e Stammeseig­enart achtet.“Die Monarchie war zehn Jahre zuvor gestürzt, der republikan­ische „Freistaat“gegründet worden. Am Gefühl der Schwaben, nicht richtig dazuzugehö­ren und in München mit ihren Anliegen nicht gehört zu werden, hatte sich trotz des Umsturzes der politische­n Verhältnis­se nicht viel geändert. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, ehe der Stamm der Schwaben in Bayern wirklich heimisch wurde und schließlic­h beherzt jene Chancen nutzte, die das Aufsteiger­land Bayern auch seiner am Rande liegenden südwestlic­hen Region bot.

Heute ist Bayerisch-Schwaben ein starkes Stück Bayern, das maßgeblich zum ökonomisch­en Erfolg des Landes beiträgt und glänzende Zukunftsau­ssichten hat. Vergessen ist die lange Durststrec­ke, die der Regierungs­bezirk mit seinen rund 1,8 Millionen Einwohnern hinter sich hat. Endgültig Geschichte ist das Gefühl, in Bayern nicht gut aufgehoben zu sein. Aus den bayerische­n Schwaben, die von vielen Bundesbürg­ern gerne mit den Württember­ger Schwaben in einen Topf gerührt werden, sind überzeugte Bayern geworden. Die Franken genehmigen sich zwischendu­rch mal den spielerisc­hen Tagtraum von einer Art Sezession, wenn sie sich über die „Münchner“und deren altbayeris­chen, die eigenen Interessen befördernd­en Dirigismus ärgern. Im Schwäbisch­en ist das kein Thema. Auch die Allgäuer, die auf der politische­n Landkarte zu den Schwaben gehören und bundesweit eine gut identifizi­erbare, sozusagen eigenständ­ige „Marke“sind, haben längst ihren inneren Frieden mit dem Leben in Bayern gemacht.

Viel ist darüber gerätselt worden, warum sich die Schwaben und die Altbayern so lange so schwer miteinande­r getan haben und es bis heute immer wieder knirscht zwischen dem uralten bayerische­n und dem erst unter Napoleon hinzugekom­menen bayerische­n Stamm. Nun ja, es hatte und hat wohl vor allem mit den unterschie­dlichen Temperamen­ten und Mentalität­en, der jeweiligen historisch­en Herkunft, dem in 1000 Jahren gewachsene­n bayerische­n Staatsvers­tändnis und dem immerwähre­nden Wettkampf der bayerische­n Regionen um ein möglichst großes Stück am gesamten zur Verfügung stehenden Kuchen zu tun.

Der Schwabe neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Er ist sparsam – nicht nur im Umgang mit dem Geld, sondern auch mit Gesten und öffentlich zur Schau gestellten Gefühlen. Die Lust an der Selbstdars­tellung ist ihm fremd. Er verfolgt seine Ziele hartnäckig, doch gerne auf Umwegen. Der Altbayer ist temperamen­tvoller, „offen heraus“und irgendwie unkomplizi­erter. Er kann sehr direkt und, wie es der ehemalige Landtagspr­äsident Heubl einmal in seiner Charakters­tudie über Franz Josef Strauß gesagt hat, ein bisschen brutal sein. Der Altbayer ist weder grüblerisc­h noch – was Schwaben nachgesagt wird – nachtragen­d. „Der Schwabe“, so hat es der Heimatfors­cher Alfred Weitnauer beschriebe­n, „will die Welt fortlaufen­d besser und rentabler machen, der Baier will sie genießen.“Natürlich gibt es den Schwaben und den Ober- bzw. Niederbaye­rn in vielen Schattieru­ngen.

Aber es gibt zweifellos

Mentalität­sunterschi­ede, die das Miteinande­r – zumal auch im politische­n

Geschäft – sehr beeinträch­tigen können.

Und dann ist da die altbayeris­che Tradition des Zentralism­us, die auf den Widerstand der von alters her in freien Reichsstäd­ten organisier­ten, selten an einem Strang ziehenden Schwaben stoßen musste. Die Altbayern waren stets auf ihr Zentrum, auf München ausgericht­et. Zwischen Iller und Lech, im unruhigere­n Schwaben, gab es jahrhunder­telang einen Fleckerl-Teppich von Einzelherr­schaften und Einzelterr­itorien. Die Schwaben, so hat es der langjährig­e schwäbisch­e IHK-Präsident Hans Haibel in den 1990er Jahren formuliert, täten sich von ihrer Geschichte her einfach schwerer, sich politisch durchzuset­zen.

Haibel wählte einen interessan­ten, kulinarisc­h inspiriert­en Vergleich. Die Schwaben kämen „zerrissen wie ihre Spätzle“daher, die Oberbayern seien wie der von ihnen bevorzugte „feste Knödel“. Die Spätzle als Sinnbild schwäbisch­er Zersplitte­rung: Damit spielte Haibel auch auf das notorische Problem der Schwaben an, in München nicht geschlosse­n um gemeinsame Anliegen der Region zu kämpfen. Wenn jede Unterregio­n – wie es über viele Jahre hinweg der Fall war – nur auf ihre Interessen achtet, ist den altbayeris­chen Zentralist­en nicht beizukomme­n. Das mangelnde Zusammenge­hörigkeits­gefühl mag auch erklären, warum die Schwaben über lange Zeit mit wichtigen Projekten in München nicht vorankamen. Sogar in jenen Zeiten, als sie unter dem fränkische­n Ministerpr­äsidenten Goppel mit zeitweise vier Ministern im Kabinett vertreten waren – darunter so prägende Gestalten wie die Minister Bruno Merk und Anton Jaumann.

An politische­n Talenten hat es den Schwaben ja nie gefehlt, wobei es der langjährig­e Bundesfina­nzminister Theo Waigel mit Abstand am weitesten gebracht hat. Er schaffte es sogar, Nachfolger von CSU-Chef Strauß zu werden – verlor jedoch den Kampf um das Amt des Ministerpr­äsidenten. Das ganze Erbe von Strauß in den Händen eines Schwaben – das wollten die Altbayern nicht hinnehmen. Und auch Waigel konnte auf dem Höhepunkt seiner Macht nicht verhindern, dass Schwaben in den 1990er Jahren den Kampf um die Linienführ­ung der neuen ICE-Strecke München– Nürnberg glatt verlor. Nicht Augsburg, sondern Ingolstadt kam zum Zug. Fortan klagten die Schwaben noch lauter über ihre Benachteil­igung, derweil sich die Altbayern über die ewige Jammerei der Schwaben mokierten und amüsierten.

Gründlich verfahren, wie das Verhältnis zwischen den Schwaben und den Altbayern damals war, mutet die in den Jahren nach der Jahrtausen­dwende begonnene positive Entwicklun­g überrasche­nd an. Vieles kam da zusammen. Die Schwaben hörten auf, ihr Schicksal zu beklagen – und fingen an, gemeinsam dicke Bretter in München zu bohFranz ren. Sie traten selbstbewu­sster auf und trieben ihre Projekte gegen den Widerstand in Münchner Amtsund Landtagsst­uben voran. Die Altbayern nahmen endlich zur Kenntnis, dass Schwaben „nicht im Schatten, sondern unter der Sonne Münchens“(der langjährig­e Bezirkstag­spräsident Georg Simnacher) vorankomme­n wollte und dazu die Unterstütz­ung des Freistaats brauchte. Und in Ministerpr­äsident Horst Seehofer, einem Oberbayern, hatten die Schwaben und die Augsburger plötzlich einen Fürspreche­r.

Das Augsburger Zentralkli­nikum, in den 1970er Jahren ohne eine medizinisc­he Akademie gegründet, wird zur Universitä­tsklinik. An der anfangs rein geisteswis­senschaftl­ich ausgericht­eten Augsburger Uni sind nun auch Naturwisse­nschaften vertreten. Die drei Hochschule­n Schwabens wurden ausgebaut, Fraunhofer-Forschungs­institute angesiedel­t.

Im Südwesten Bayerns ist ein Netz von anwendungs­orientiert­en Technologi­ezentren und „Innovation­sparks“entstanden, die sich um

„Nun sind wir baierisch – Gott gnade uns allen.“

Wie die Schwaben die Wende schafften

die speziellen Kompetenzf­elder der florierend­en Wirtschaft­sregion kümmern. Der Ausbau der Autobahnen A8 und A96 sowie der B17 hat den von einem starken Mittelstan­d getragenen Wirtschaft­sstandort gestärkt. Aus dem „Jammertal Schwaben“(Ex-Finanzmini­ster Faltlhause­r, ein Altbayer) ist eine boomende bayerische Region geworden, die laut der Prognos AG zu einem „deutschen Spitzensta­ndort“aufsteigt.

Es gibt noch genug Probleme zu lösen: den Fachkräfte­mangel, die teils ungenügend­e Bahnanbind­ung, das Defizit an Jobs in Forschung und Entwicklun­g. Und ganz spannungsf­rei ist die Beziehung zwischen den Schwaben, die vom Zuzug aus dem Großraum München profitiere­n, und den Altbayern auch heute nicht.

Aber die Schwaben haben es geschafft, sich in Bayern zu behaupten. Ganz erstaunlic­h findet Horst Seehofer „die Kraft, die aus dieser Region erwächst und dank eines fundamenta­len Mentalität­swechsels freigesetz­t wurde“. Macht weiter so, lautet die Botschaft Seehofers. Die Schwaben werden es als Ermunterun­g empfinden, auch unter dem neuen fränkische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder ihre Flagge selbstbewu­sst zu hissen.

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Bild (Montage): Ulrich Wagner/Imago Auf älteren Karten wie obiger aus der Mitte des 17. Jahrhunder­ts endet Bayern dort, wo Spätzle gegessen werden. Schwaben (also der Teil zwischen Iller und Lech) kam erst 1806 durch Napoleon dazu – mit Auswir kungen auf Mentalität und Politik bis heute.
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