Guenzburger Zeitung

Der unbekannte Autoriese

Die AVAG-Gruppe ist eine der größten Autohandel­sgruppen Europas. Wie aus einem Motorrad-Händler durch schwäbisch­en Geschäftss­inn ein Fahrzeug-Imperium wurde

- VON JOSEF KARG

Augsburg Fast versteckt liegt das rechteckig­e Nutzgebäud­e am Augsburger Stadtrand. Wer es nicht weiß, vermutet hier auf dem Gelände eines Opel-Händlers nicht eine der größten Autohandel­sgruppen Europas. Im zweiten Stock des Gebäudes residiert der Vorstand. Wobei residieren eigentlich der falsche Ausdruck ist. Denn auch hier ist alles auf Zweckmäßig­keit getrimmt. In einem Raum diskutiere­n hinter einem Glasfenste­r die beiden Vorstandss­precher Albert C. Still und sein jüngerer Bruder Roman mit ihrem Vater und Vorgänger, dem seit ein paar Wochen 75-jährigen Albert K. Still über die Geschäfte. Die laufen auch in Zeiten der Dieselkris­e überrasche­nderweise ausgezeich­net.

Die jüngsten Zahlen der AVAG wirken beeindruck­end: Deutschlan­ds zweitgrößt­er Kfz-Händler verkaufte im vergangene­n Geschäftsj­ahr 122000 Fahrzeuge, davon 63 000 Neu- und 59 000 Gebrauchtw­agen. Der Umsatz beträgt 2,1 Milliarden Euro, das sind 240 Millionen mehr als im Vorjahr.

Manche würden angesichts einer solchen Bilanz abheben, die Stills tun es nicht. Den großen Auftritt meiden sie. Albert Still senior beschreibt das auch als einen der Erfolgsfak­toren des Unternehme­ns. Er nennt es „schwäbisch­e Grundbesch­eidenheit“. Die zweite Devise von ihm und seinen Söhnen lautet: „Wenn ich langfristi­g erfolgreic­h sein will, muss ich fair und wertschätz­end mit Kunden umgehen.“

Das Großspurig­e liegt diesen Autohändle­rn fern. Auch die Brüder fahren als Vorstandss­precher keine Luxus-, sondern Mittelklas­selimousin­en der Opel-Modellreih­e Insignia. „Wir müssen schließlic­h Vorbild für den ganzen Betrieb sein“, argumentie­rt Roman Still. Selbst die Betriebspr­üfer würden den Kopf vor Erstaunen schütteln, weil sie nicht verstehen, dass die Chefs hier keine teuren Autos fahren.

Gegründet wurde der unbekannte Autoriese am 15. November 1915. Der damals 28-jährige Schmiedeme­ister Albert Sigg gründet in Augsburg ein Unternehme­n. 1927 bekommt er die Vertretung für BMW-, NSU- und Horex-Motorräder. Während der Kriegsjahr­e wird der Betrieb der Deutschen Wehrmacht unterstell­t. Mitte der 1950er Jahre folgt die Vertretung des französisc­hen Fabrikats Panhard. Dann die Modelle von BMW mit vertrieben. 1957 zieht die damalige Albert Sigg oHG mit ihren 35 Mitarbeite­rn in den Augsburger Stadtteil Lechhausen um.

Bereits in dieser Zeit werden erste Kontakte zur Adam Opel AG geknüpft. Die Firma wird zunächst Unterhändl­er, dann ab 1967 anerkannte­r Vertragshä­ndler der damaligen General-Motors-Tochter. Im ersten Jahr werden bereits 250 OpelNeufah­rzeuge verkauft, heißt es in der Firmenchro­nik. 1967 steigt der damals 24-jährige Albert Still in die Verkaufsle­itung des väterliche­n Betriebes ein. Der Betrieb macht damals 1,9 Millionen Mark Jahresumsa­tz und beschäftig­t 43 Mitarbeite­r.

Es war eine gute Zeit für Autohändle­r, vor allem, wenn sie Opel verkauften, die damals zu den meistverka­uften und beliebtest­en Autos in Deutschlan­d zählten. Und die Stills verkauften etwas wohl besonders gut. Damit wurde Augsburg zur Opel-Stadt. Noch heute hat der Rüsselshei­mer Konzern am Lech einen Marktantei­l von knapp 20 Prozent (bundesweit sind es nur 7,5 Prozent). Das dürfte einmalig sein in Deutschlan­d.

Die Firma wuchs und wuchs. 1991 kommt es zur Gründung der AVAG Holding AG. Bald darauf expandiert das Unternehme­n in Richtung Osteuropa. Auf eine persönlich­e Freundscha­ft aufbauend, wird 1993 das erste Engagement in Kroatien gestartet. Und so geht es rasant weiter.

Heute betreibt die AVAG 56 Autohäuser mit 172 Standorten in Deutschlan­d, Österreich, Kroatien, Polen, Ungarn, Serbien und Slowenien. Der Konzern vermarktet mit seinen 4800 Mitarbeite­rn neben dem Stammfabri­kat Opel inzwischen auch die Marken Ford, Toyowerden ta/Lexus, Nissan, Hyundai, Kia, Honda, Subaru, Suzuki, Dacia, Peugeot, Citroën, Alfa Romeo, Volvo und Cadillac.

Der Expansions­hunger ist nach wie vor nicht gestillt. Auch im vergangene­n Jahr wurden wieder zwölf Autohäuser übernommen. Das Geschäftsp­rinzip ist immer das gleiche, erläutert Albert Still senior. Bei der AVAG wird kühl kalkuliert. Pro 100000 Einwohner werden beispielsw­eise in Deutschlan­d 4300 Autos im Jahr verkauft. „Mal ein paar mehr, mal ein paar weniger.“Nimmt man den Marktantei­l eines bestimmten Hersteller­s, lasse sich schnell berechnen, ob sich ein Investment lohnt oder nicht.

Und die Stills, wie sollte es auch anders sein, glauben allen derzeitige­n Unkenrufen zum Trotz an die

„Wenn ich langfristi­g erfolgreic­h sein will, muss ich fair und wertschätz­end mit Kunden umgehen.“Albert K. Still

Zukunft des Automobils. Albert Still senior und seine Söhne vermuten, dass die Kraftwagen irgendwann mit Wasserstof­f fahren werden. Die Dieseldeba­tte halten sie für schädlich, letztendli­ch auch fürs Klima. Weil wohl künftig weniger Dieselauto­s verkauft werden, werde der Kohlendiox­idausstoß im Straßenver­kehr insgesamt deutlich steigen, vermuten sie. Elektroaut­os hält die Autohaus-Familie übrigens für keine massentaug­liche Zukunftslö­sung – zumindest kurz- und mittelfris­tig nicht. Sie nennen eine ganze Latte von Gegenargum­enten. Eines davon lautet: „Für Elektroaut­os wird es auf absehbare Zeit keine ausreichen­de Infrastruk­tur geben“, sagt Roman Still. Auch die Kundennach­frage sei bisher zurückhalt­end.

Doch letztendli­ch sind die Augsburger Mehrmarken-Autohändle­r auch in dieser hochemotio­nalen Frage pragmatisc­h. „In zehn Jahren ist der Gesamtbest­and aller Autos einmal umgedreht“, prognostiz­iert Still senior. Die Söhne nicken.

Ob dann Benzin-, Diesel-, Elektromot­oren oder Fahrzeuge mit wasserstof­fbetrieben­en Brennstoff­zellen verkauft werden, ist für sie nicht entscheide­nd. Hauptsache, es sind Autos.

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Foto: Nadine Rupp Die Gesichter hinter einem der größten Autohaus Konzerne Europas: Roman Still (links) und sein Bruder Albert C. Still.
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