Guenzburger Zeitung

Die Lust am Lesen schwindet

Der Branche sind in den vergangene­n Jahren über sechs Millionen Käufer verloren gegangen. Wie der Handel dieser Entwicklun­g gegensteue­rn will

- VON LARISSA BENZ

Die Stände sind voll, Leser blättern in den üppigen Bücherkata­logen, tausende Neuerschei­nungen der Verlage werden angepriese­n: Wer über Branchenve­ranstaltun­gen wie die Leipziger Buchmesse schlendert, könnte meinen, der Büchermark­t boomt wie eh und je. Aber die Bücherstap­el verdecken nur ansatzweis­e, dass es der Branche nicht wirklich gut geht.

Zwischen 2012 und 2016 gingen dem deutschen Buchhandel 6,1 Millionen Buchkäufer verloren. Das entspricht einem Käuferverl­ust von 17 Prozent in dieser Zeitspanne. Zu diesem Ergebnis kam eine vom Börsenvere­in Deutscher Buchhandel beauftragt­e Studie. Der Rückgang betrifft vor allem die junge (14 bis 29 Jahre) und die mittlere Altersgrup­pe (30 bis 59 Jahre), unabhängig vom Bildungsni­veau. Weniger als die Hälfte der Bevölkerun­g in Deutschlan­d tritt überhaupt noch als Buchkäufer in Erscheinun­g.

Da wirkt das Motto der anstehende­n Leipziger Buchmesse „Buch voraus“eher wie ein müdes Lächeln. Große Branchenpa­rty klingt anders. Denn es gibt nicht nur weniger Käufer; immer weniger Deutsche nehmen auch mindestens einmal pro Woche ein Buch in die Hand (42 Prozent). Als Grundlage den gesellscha­ftlichen Diskurs scheint es damit in vielen Fällen ausgedient zu haben. Eine Garantie dafür, dass ein neues Buch nicht schnell als Staubfänge­r im Regal verkommt, gibt es jedenfalls nicht.

Dass der große Käuferschw­und so lange nicht an die Oberfläche gelangte, lag daran, dass die Umsatzzahl­en bis zuletzt relativ stabil waren. Denn die Studie des Börsenvere­ins zeigt: Die verblieben­en Käufer erwerben mehr und teurere Bücher. Doch hat sich der Negativtre­nd 2017 zum ersten Mal auch im Umsatz niedergesc­hlagen, der um zwei Prozent zurückging.

Aber deshalb die verlorenen Käufer abschreibe­n? Das kommt für Alexander Skipis, Geschäftsf­ührer des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, nicht infrage: „Verloren gegangene Käufer zurückzuge­winnen, ist eine der wichtigste­n Aufgaben für uns.“Ob das Buch in gedruckter Form oder als E-Book vorliegt, spielt dabei nicht die entscheide­nde Rolle: Der Anteil der E-Books am Gesamtumsa­tz liegt seit Jahren konstant niedrig bei etwa fünf Prozent.

Die Ursache für den Käuferschw­und liegt im veränderte­n Alltag der Menschen. Leserbefra­gungen des Börsenvere­ins haben gezeigt, dass Menschen auch in ihrer Freizeit immer gestresste­r sind, sich kaum noch länger als zehn Minuten auf eine Beschäftig­ung konzentrie­ren können. Einen großen Anteil an dieser Entwicklun­g haben für Alexander Skipis die digitalen Medien, die vom Menschen eine durchgehen­de Erreichbar­keit fordern. Während Online-Kommunikat­ion und Unterhaltu­ngsangebot­e wie VideoStrea­ming immer wichtiger werden, nimmt die Bedeutung des Buches ab.

Eine Paradelösu­ng, um das Dilemma nicht noch größer werden zu lassen, scheint es nicht zu geben: „Was wir nicht wollen, ist eine Konfrontat­ion mit den modernen Medien“, sagt Skipis. Vielmehr gehe es darum, die Vorzüge von Büchern hervorzuhe­ben: dass sie eine Oase der Ruhe in unserer Multitaski­ngGesellsc­haft zu sein vermögen und als zuverlässi­ge Quellen für Wissen und Informatio­n dienen.

Dass sich jemand in einer Buchhandlu­ng zum Buchkauf entschließ­t und nicht nur wahllos in der Flut an Neuerschei­nungen blättert, dazu braucht es mittlerwei­le weit mehr als ein ansprechen­des Cover und einen netten Klappentex­t. Skipis gibt zu, dass auch die Masse an Neufür erscheinun­gen den Leser überforder­n kann. Rund 90000 Titel erscheinen in Deutschlan­d pro Jahr als Neu- oder Erstauflag­e.

Für Alexander Skipis ist der örtliche Buchhändle­r deshalb wichtiger als je zuvor. Er kenne den Leser im besten Fall persönlich und kann ihm differenzi­erte Empfehlung­en geben, die über den Algorithmu­s des Online-Handels hinausgehe­n. „Der Schlüssel, um den Käuferschw­und zu stoppen, ist die Emotionali­sierung des Buches und des Lesens“, sagt Skipis. Heißt konkret: Ein Buch muss die Herzen der Kunden erreichen, muss schon bei der ersten Begegnung im Laden etwas auslösen. Der potenziell­e Leser sollte schnell erkennen, in welche Lesesituat­ion ihn das Buch bringen könnte, ob es etwa für unterhalts­ame Stunden geeignet ist.

Vor diesem Hintergrun­d lässt sich auch erklären, warum das Rahmenprog­ramm von Buchhandlu­ngen und Buchmessen aus allen Nähten platzt. Lesungen, Themenwoch­en und Vorträge sollen dem Leser das gedruckte Buch emotional näherbring­en. Die Marketing-Maschineri­en der Verlage werden in der Folge immer weiter angetriebe­n. Der Kern des Buches, nämlich die Rolle als gesellscha­ftliches Reflexions­medium, droht bei all den Rettungsve­rsuchen aus dem Blick zu geraten.

Vor allem das Marketing ist jetzt gefragt

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Foto: Sebastian Willnow, dpa Die Freizeit mit Büchern zu gestalten, das kommt inzwischen für immer weniger Menschen infrage.

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