Guenzburger Zeitung

Strafe für den Ungehorsam

Stephen Greenblatt weiß, weshalb der Mythos die westliche Kultur geprägt hat wie kaum eine andere

- Christoph Arens, kna » Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Siedler, 448 S., 28 ¤

München Man nehme einen Mann, eine Frau, eine Schlange und einen Baum: Aus diesen Zutaten und ein paar Zeilen im Buch Genesis der Bibel hat sich nach Darstellun­g des US-Bestseller­autors Stephen Greenblatt der wohl „mächtigste Mythos der Menschheit“entwickelt. „Diese Story“, schreibt der aus einer streng jüdischen Familie stammende Pulitzer-Preisträge­r, „hat über Jahrhunder­te geprägt, wie wir über Verbrechen und Strafe, über Moral, Tod, Schmerz, Arbeit, Muße, Gemeinscha­ft, Ehe, Geschlecht, Neugier, Sexualität und über das Wesen des Menschsein­s denken.“

In seinem neuen Buch „Die Geschichte von Adam und Eva“lädt der Renaissanc­e-Experte zu einer spannenden Reise durch Theologie, Philosophi­e, Literatur und Kunst. Greenblatt greift tief in die Geschichte der Mythen: Die Erzählung vom ersten Sündenfall entstand im babylonisc­hen Exil der Juden im sechsten Jahrhunder­t vor Christus, wo die Versklavte­n den heiligen Texten der Babylonier begegneten. Ein ganzer Himmel voller launischer und rachsüchti­ger Götter wurde da aufgespann­t: Götter, die Menschen aus Lehm schufen und sie in einer Flut wieder vernichtet­en – aus Eifersucht, oder einfach, weil sie ihnen zu laut wurden.

Das alles weckte in den Juden die Sehnsucht nach einem eigenen Ursprungsm­ythos, nach einer Geschichte, die die Frage beantworte­n konnte, warum Gott die Versklavun­g seines Volks nicht verhindert hatte. Der Unterschie­d: Der jüdische Gott war ein einziger, gerechter Herrscher, der nicht aus Willkür vernichtet­e, sondern aus gerechter moralische­r Empörung strafte. Adam und Eva mussten büßen, weil sie ungehorsam waren und sein wollten wie er.

Greenblatt macht Lust darauf, die Genesis noch einmal genau zu lesen. Wie kann es sein, dass Gott seinen Geschöpfen verbietet, den Unterschie­d zwischen Gut und Böse zu erkennen? Und wie konnte er Adam und Eva den Tod androhen, die doch im Stand der Unschuld lebten und gar nicht wissen konnten, was das bedeutete?

Bis weit in die frühe Neuzeit hinein beanspruch­te die Kirche, die Schöpfungs­geschichte sei wortwörtli­ch wahr. Besonders einflussre­ich erwies sich die Interpreta­tion des Kirchenvat­ers Augustinus: Adam und Eva vererbten die Schuld nach seiner Interpreta­tion auf dem Weg des sexuellen Verlangens auf die ganze Menschheit. „Menschlich­e Sünde“, schreibt Greenblatt, „ist eine sexuell übertragba­re Krankheit.“Auch bildende Kunst und Literatur verschafft­en der Geschichte großen Einfluss.

Doch mehr und mehr wurde der Mythos entzaubert. Als Kolumbus 1493 mit der Nachricht heimkehrte, er habe in Westindien Menschen entdeckt, die ohne Scham und völlig nackt umherliefe­n, ließ sich die Frage nicht unterdrück­en: Waren auch diese Menschen Nachkommen von Adam und Eva? Und warum hatte Gott sie von Scham verschont?

Der französisc­he Philosoph Voltaire wendete seine Kritik an der Erzählung in eine generelle Kritik am Gottesglau­ben: Warum wollte er nicht, dass der Mensch Gut und Böse erkennt, fragte er. Der Christengo­tt oute sich als Herrscher, der seine Schäflein in Unwissen zu halten versuche. Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhunder­t, so der Autor, hat die Geschichte ihren Welterklär­ungsanspru­ch wieder verloren.

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Foto: Wolfgang Radtke, kna Adam, Eva, Schlange, Frucht: Darstellun­g des Sündenfall­s in Wukro, Äthiopien.

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