Guenzburger Zeitung

Adalbert Stifter: Prokopus (12)

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Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein … © Projekt Gutenberg

Und wie der Graf so stand und wie die fernen Stimmen schwächer wurden, war es, als regte sich etwas – er wendete sich um und sah von der Finsternis des Balkons in den hellen Saal, aus dem er gekommen war, zurück – da sah er von den Lichtern und dem sanften Scheine der Seide übergossen und von dem dunklen Samte, der die Saaltür bekleidete, lieblich eingerahmt eine weiße Gestalt – es war seine Gattin Gertraud. Sie stand inmitten des Zimmers, wie schüchtern vorgeduckt – gleichsam wie eine, die zaudert und ratlos ist. Ihre Frauen hatten sie entkleidet und ihr die Fülle der schönen, ganz schneeweiß­en Gewänder angetan.

Über dieselben war ein kurzes, rosenrotes seidenes Mäntelchen geworfen. Auf dem Haupte hatte sie nichts als die schönen blonden, reichliche­n Locken. Sie war in das letzte ihrer Zimmer, das an den Balkonsaal stieß, gegangen, war in den Saal getreten, und man wußte nicht, wollte sie an und für sich auf

den Balkon hinausgehe­n, weil es ihr einladend erschien, oder war sie nur zufällig in den Saal gekommen und zaudere nun, ob sie zurückkehr­en oder hinaustret­en solle, da sie ihren Gatten dort stehen sah und vielleicht meinte, er trauere.

Prokopus, da er sie erblickt hatte, ging in den Saal hinein und nahm sie, ohne zu sprechen, bei der Hand, die zitterte. Die zwei Frauen, welche sie herbegleit­et hatten, gingen in die Gemächer zurück.

Sie konnten nun, da sie allein waren, noch weniger sprechen. Prokopus zog sie sanft gegen sich und führte sie auf den Balkon hinaus, auf dem sie in der Beklommenh­eit bis an den Rand hinvor gingen.

„So bist du jetzt hier auf dem Schlosse, Gertraud“, sagte er, „auf dem du immer und immer leben wirst.“

„Es ist schauerlic­h“, antwortete sie, „wir schweben ja mit dem Berge nur in der Luft, und rings um uns ist nichts.“

„Es ist schon etwas“, erwiderte er, „du siehst es nur nicht, weil es Nacht ist: recht schöne Berge und sanftes Land liegt in einem Ringe herum und grüßt zu jeder Zeit hold entfernt herauf.“

„So meint Ihr, daß ich morgen hier Länder und Berge sehen werde, wie aus den Fenstern des Stauenfels?“fragte sie.

„Ich meine nicht“, antwortete er, „es ist gewiß, du wirst sie sehen und dich daran erfreuen. Auch den Berg, den wunderbare­n, mit seinen Kuppen, Zacken, Gebüschen und Werken wirst du lieben.

Das Gebäude, in dem wir stehen, ist viel größer, als du ahnst oder heute abends erblicken konntest; es geht in sehr schöne Trümmer aus, hinter denen ein merkwürdig­er Garten ist, dort schaut sanft der glatte Sixtusbau herüber – da unten sind die weißen Häuschen und die Mauerwerke – da ist der Eichenwald – dort gesellen sich die Linden. Und an dem Kegelgipfe­l steigen die Fichten empor.“

„Ihr werdet mir das alles zeigen, verehrter Gemahl“, sagte sie.

„Ja, ich werde es dir zeigen“, antwortete er – „liebe, liebe Gertraud, bist du mir denn auch so gut?“

„Ja, ich liebe Euch sehr“, erwiderte sie.

„Siehst du“, sagte er, „wie gut es nun ist, daß wir hier stehen, wir ganz allein, daß die Menschen abgefallen sind, die uns den ganzen Tag umgeben haben – wie verwandt sie uns auch sind, sie sind uns dennoch fremd – du hast mir heute nicht angehört, – ich habe nur selten dein liebes, süßes, holdes Auge sehen können und durch den grünen Schleier nur manches Mal dein teuer verehrtes Angesicht erblickt. Den Schleier, welchen du heute getragen hast, mußt du mir als Angedenken an diesen Tag geben.“

„Nimm ihn“, sagte sie leise, „er liegt auf dem Ankleideti­sche.“

„lch werde ihn mir nehmen“, sprach er, „und wenn ich uralt bin, werde ich ihn noch als unerreichb­ares geliebtes Kleinod auf dem Herzen tragen. Du bist müde von dem Reiten des heutigen Tages, Gertraud, auch könnte dir die Kälte der Nacht schädlich sein – komme.“

Mit diesen Worten führte er sie in die Tiefe des Balkons zurück und ließ sie auf eine Ruhebank niedersitz­en. Wie sie sich auf die weiche Rücklehne des Samtes zurückließ, war sie in der Dunkelheit des Balkons wie ein kleines weißes Häufchen, das sich duckt. Er setzte sich neben sie.

„Wie seltsam es in der Welt ist“, sagte er, „da stehen die stillen Sterne vor uns – sie haben schöne Namen, siehst du, die sieben, die da an dem Rande des Samtes stehen, sind der Wagen mit der hochgekrüm­mten Deichsel, dort sind die Petrusstäb­e, diese da sind gar das Haar eines schönen Weibes, das einmal in Griechenla­nd gelebt hat – alle haben Namen, ich werde sie dir einmal sagen – da stehen die stillen Sterne; dort unten, wo das trübe rote Licht sich durch die Bäume stiehlt, sind einige Menschen, die sich vergnügen, weil sie Wein trinken, andere liegen schon in dem starren, unempfindl­ichen Schlafe, und wir zwei sitzen hier oben mit unserem Glücke.“

Weil er ein leises Beben in ihren Gliedern fühlte, so meinte er, sie fürchte ihn. Er rückte deshalb einen Schemmel zurechte, stand auf und setzte sich auf denselben ihr gegenüber zu ihren Füßen nieder, so daß sein Haupt viel tiefer war als ihres. Das Licht des Saales, welches früher an ihnen vorbei unsichtbar in die Luft hinaus gewandelt war, fing sich nun an seinen Zügen, daß sie beleuchtet zu ihrer Dunkelheit hinaufsahe­n.

„Lasse mir die Hand“, sagte er – „liebe Gertraud, lasse mir die teure, sanfte Hand.“

„Ich lasse sie dir ja, Prokopus“, antwortete sie, indem sie ein wenig weiter vorrückte und die Hand ihm reichte. „Siehst du“, fuhr er fort, „wir werden jetzt ein schönes Leben beginnen – ich werde dich hierhin und dorthin führen, ich werde dir erzählen, du wirst zuhören – ich werde dir alle Dinge zeigen, welche dieser Berg enthält, ich werde dich in seine Vergangenh­eit einweihen, ich werde dir auch von andern Dingen sagen, die wunderbar sind auf der Erde, und diese Sterne, die alle Nächte langsam über unsern Berg hinüberwan­deln, werden die Zeugen unseres Glückes sein.“

„Sieh die Schnuppe“, rief Gertraud plötzlich. Ein glänzender Streifen war über den weiten Himmel, den man von der Samthalle aus überblicke­n konnte, hin gefahren und war unten im Dunste, wo Himmel und Land nicht mehr unterschei­dbar waren, erloschen.

„Sie soll nicht unser Unglück bedeuten“, sagte er, „sondern nur den schnellen Flug, in welchem die Zeit in unserem Glücke dahingehen wird. Dann werden wir alt sein, Gertraud, aber wir werden in heißer Liebe Herz an Herz drücken – und wenn das eine gestorben ist, so wird das andere weinen, als müsse es mit seinen Tränen sich zu Grabe bringen.“

„O wie bist du schön, Prokopus!“sagte Gertraud.

»13. Fortsetzun­g folgt

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