Wo sind Deutschlands Schach-Helden?
Die Deutschen sind FußballWeltmeister, Reise- und Exportweltmeister. Dort aber, wo es wirklich wichtig ist, sind sie nichts. Seit 97 Jahren stellt Deutschland keinen Schachweltmeister mehr – und keinen juckt es. Niemand, der für Frühbildung an Dame und König auf die Straße geht, der sich für ein zehnjähriges Schachgymnasium ans Kultusministerium kettet.
Dabei weiß jeder, wie wichtig eine ordentliche Schachausbildung für das Leben ist. Auf der Größe eines Pizzakartons spielt sich hier ab, was unser Dasein bestimmt. Macht und Größe, Opfergeist und Hingabe, Intelligenz und Vorausschau, brutaler Krieg und strategisches Meucheln. Glück, Verzweiflung und Bedrängnis.
Wird letztere zu groß, da soll sich keiner täuschen, opfern auch Genies als Erstes die Kleinen. Man kennt das aus dem richtigen Leben. Vor dem großmächtigen Turm muss meist das Bäuerlein dran glauben. Es ist eine Lebensschule auf 64 Feldern. Dort aber, wo Weltmeister gekürt werden, ist sie den Deutschen nun beinahe schon ein Jahrhundert verschlossen geblieben.
Das Land der Dichter und Denker tritt im HSV-Format an, wenn Geistesgrößen spielen. Letzter deutscher Schachweltmeister war Emanuel Lasker. Im Hauptberuf Philosoph und Autor von Schach verwandten Traktaten wie „Das Begreifen der Welt“und „Die Philosophie des Unvollendbaren“. Einen Lasker bräuchte Deutschland wieder, auch wenn es für den Augenblick zu spät ist. In Berlin sind gerade acht der weltbesten Schachspieler versammelt – und kein Deutscher mit am Brett.
Unter den Top 100 rangiert der beste deutsche Spieler auf Platz 63. Liviu-Dieter Nisipeanu, ein gebürtiger Rumäne. Die Deutschen bleiben lieber Amateure, als ihre grauen Zellen auf Weltniveau zu trainieren. Inzwischen stagnieren die Mitgliederzahlen (90 000) und sterben Vereine, weil die Menschen lieben im Internet spielen, als sich leibhaftig mit Ihresgleichen zu messen. Als Nächstes wird es auch mit dem
Land bergab gehen.
Steht im neuen Regierungsprogramm eigentlich irgendein Satz über die Förderung des deutschen Schachwesens?