Die Stadt sieht bei Älteren nach dem Rechten
Zwei Jahre lang haben Beraterinnen Senioren besucht, um Schwierigkeiten und Einsamkeit vorzubeugen. Jetzt haben Wissenschaftler das Modellprojekt ausgewertet. Wie es an der Donau und in anderen Kommunen weitergeht
Ulm Wie geht es eigentlich den Älteren in der Stadt? Wie leben sie, brauchen sie Unterstützung und wissen sie überhaupt, wo sie in Ulm Hilfe bekommen können? Solchen Fragen sind Mitarbeiterinnen der Stadt zwei Jahre lang nachgegangen. Präsenz heißt das Projekt des baden-württembergischen Sozialministeriums und der überörtlichen Pflegekassen, das seit Mai 2015 in Ulm lief. Die Stadt war Modellkommune, gemeinsam mit der 33 000-Einwohner-Stadt Rheinfelden an der Schweizer Grenze und der kleinen Gemeinde Neuweiler im Schwarzwald. Die drei Orte sollten erproben, wie präventive Hausbesuche ankommen. Inzwischen interessieren sich auch Stuttgart und Hamburg für das Konzept, Offenburg hat es bereits übernommen. Nun wird es in Ulm fortgesetzt.
Präsenz steht für „Prävention für Senioren zu Hause“. In Ulm wurden die Besuche in zwei Vierteln und in zwei Altersgruppen getestet: Bei 75-Jährigen auf dem Eselsberg und bei 80-Jährigen im Quartier Mitte/ Ost. Von Mai 2015 bis Juni 2016 bekam jeder, der dort wohnte und das jeweilige Alter erreichte, Post: Ein Glückwunsch-Schreiben von Oberbürgermeister Gunter Czisch mit einer Terminankündigung für den Besuch einer Beraterin. Wer das nicht wollte, musste absagen. Fast 500 Briefe verschickten die städtischen Altenhilfeplaner, knapp 300 Hausbesuche fanden statt. Eine Quote, die viel höher ausfiel als in den anderen Modellgemeinden. „Der Weg von Ulm ist mit Abstand der erfolgreichste. Nirgends sonst gibt es eine Akzeptanzquote zwischen 50 und 60 Prozent“, berichtete Altenhilfeplaner Claudius Faul im Ausschuss für Bildung und Soziales. Grund sei vermutlich, dass Ulm proaktiv auf die Bürger zuging. In Rheinfelden und Neuweiler mussten die Senioren Termine vereinbaren, in Ulm mussten sie vorgegebene Vorschläge absagen.
Nur eine Altersgruppe reagierte tendenziell ablehnend: Vor allem Männer im Alter von 75 Jahren verwehrten sich gegen Gespräche – wohl, weil sie nicht als Hilfesuchende abgestempelt werden wollten. „Oft ist es das erste Gespräch übers Älterwerden“berichtet Altenhilfeplanerin Sandra Eichenhofer aus Gesprächen der Beraterinnen.
Ums Abstempeln geht es der Stadt explizit nicht – im Gegenteil. Die Beraterinnen sollten Ältere vorsorglich über gesetzliche Ansprüche, Angebote und Einrichtungen in der Stadt aufklären. Außerdem wollen die Planer herausfinden, welchen Bedarf es gibt: Sind die Wohnungen barrierefrei, wie viele Senioren bekommen Unterstützung von Verwandten, wie viele Leben alleine und könnten mit der Zeit vereinsa- men? Dazu bekam jeder ein Informationspaket und Gutscheine. „Die Leute haben oft gesprudelt“, schildert Sandra Eichenhofer eine Erfahrung der städtischen Beraterinnen. „Bei Themen, die intim werden, ist es oft schwieriger, sie den Verwandten zu erzählen“, glaubt sie. Vermutlich deswegen seien viele der Älteren froh gewesen, den Beraterinnen von beginnenden Problemen berichten zu können.
Das Fazit von Eichenhofer und Faul fällt nach einer wissenschaftlichen Auswertung des Projekts durch das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung gut aus. Die Stadt habe viele Erkenntnisse bekommen, wichtige Informationen an die Älteren weitergetragen und den Senioren Wertschätzung vermitteln können. Doch ein paar Punkte blieben unklar: Haben die Beraterinnen auch jene Rentner erreicht, die bereits verarmt oder vereinsamt sind? Wie nachhaltig sind die Besuche? Und was ist überhaupt das richtige Alter?
Bei allen Fragen war für den Ausschuss eines unstrittig: Das Projekt wird um zwei Jahre verlängert, auch wenn die Stadt dann mehr dafür bezahlen muss als bisher, weil die Zuschüsse sinken. Rund 65000 Euro will Ulm 2018 und 2019 dafür ausgeben. Auch danach soll das Projekt nicht aufgegeben, sondern auf zusätzliche Stadtteile ausgeweitet werden – selbst, wenn Ulm dann sämtliche Kosten ohne Zuschüsse selbst tragen muss. Haydar Süslü (SPD) und Hans-Walter Roth (CDU), die beiden Mediziner im Gremium, regten an, künftig Ärzte zur Vermittlung der Senioren einzubeziehen. Diese Idee hatten auch die Altenhilfeplaner. Wie sie umgesetzt werden kann, wird nun geprüft. Kritisch sahen die Räte im Ausschuss nur eines: Mit Neuweiler scheidet eine der Modellkommunen aus. Besser wäre es gewesen, das Projekt auf noch mehr Orte in Deutschland auszuweiten.