Das andere Gesicht der Arbeit
Wie sich Jobs auch im Landkreis Günzburg durch die Industrie 4.0 verändern werden und was für die Beschäftigten wichtig sein wird
Landkreis Wie wird sich die Industrie, wie wird sich die Arbeit in den nächsten Jahren durch die Digitalisierung entwickeln? Wir haben dazu Peter Saalfrank, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben, Richard Paul, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Donauwörth, und Werner Gloning, Kreisvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), befragt. Das sind ihre Antworten:
Wie weit sind die Firmen im Landkreis Günzburg beim Thema Industrie 4.0? IHK: Nicht weiter oder weniger weit als in anderen Regionen Schwabens. Wie das Thema angepackt wird, hängt von der Führung in den Unternehmen ab, weniger davon, wo die Unternehmen zu Hause sind. Arbeitsagentur: Dies lässt sich pauschal nicht beantworten. Die Thematik ist sowohl in großen als auch kleinen Betrieben noch nicht gleichmäßig angekommen. Zum Beispiel die Firma Xcyde in Leipheim bietet Module, die auf 3D-Konstruktionsprogramme aufgesetzt werden können und es dem Konstruktionsbüro ermöglicht, weltweit auf Maschinen zuzugreifen – und Fehler am anderen Ende der Welt zu erkennen und in Kooperation mit Mitarbeitern vor Ort unter Nutzung von VirtualReality-Brillen zu beheben. Gewerkschaft: Das ist unterschiedlich, zumal Industrie 4.0 ein Digitalisierungsprozess ist und kein statischer Zustand. Ein Prozess, der alle Wirtschafts- und Lebensbereiche erfasst. Nicht nur die Industrie. Der Prozess wird an Dynamik und im Landkreis noch stark zunehmen.
Mit welchen Kosten oder Einsparungen ist durch den Wandel zu rechnen? IHK: Durch Prozessautomatisierungen wird es langfristig zu Effizienzgewinnen kommen. Neu eingeführte Technik erfordert einen erhöhten Qualifizierungsbedarf der Mitarbeiter, was Kosten verursacht. Auch Investitionen in die IT-Sicherheit und Datenschutz sind als Kostenfaktor nicht zu vernachlässigen. Arbeitsagentur: Eine generelle Aussage zu Kosten und Nutzen pauschal zu treffen, ist nicht möglich. Gewerkschaft: Der digitale Wandel führt, unter dem Strich, zum enormen Produktivitätsschub und zu einer stark steigenden Wertschöpfung. Die Frage ist: Wer erntet die „Früchte“dieser Wertschöpfung? Kommen sie der Allgemeinheit oder nur einigen wenigen zugute?
Begreifen die Firmen Industrie 4.0 als Chance, als Pflicht oder als Risiko? IHK: Die Firmen begreifen das Thema als Chance, die Möglichkeiten für neue Arten der Wertschöpfung sind immens. Gemäß unserer letzten Umfrage bewerten 56 Prozent der Unternehmen die Auswirkungen der Digitalisierung als positiv, drei Prozent sehen Negativeffekte. Arbeitsagentur: Wegen der Globalisierung muss sich jede Firma fragen, wie kann ich im Vergleich zu anderen nationalen wie internationalen Unternehmen konkurrenzfähig bleiben und die Produktivität erhalten oder steigern. Der Wettbewerb führt dazu, dass jede Firma Veränderungen der Arbeitswelt aktiv mitgehen muss. Es führt kein Weg vorbei. Auch im Handwerk verändern sich Berufe und Aufgaben stetig. Gewerkschaft: Kommt auf die Firma an. Insgesamt wird der Digitalisierungsprozess für mich im Landkreis noch zu sehr passiv erduldet statt aktiv im Dialog mit Gewerkschaften und Beschäftigten gestaltet.
Wie sehen die Beschäftigten das?
IHK: Die, die mit Neuen Medien aufgewachsen sind, finden die neuen Möglichkeiten toll und sehen viele Chancen. Diejenigen, die den Umgang mit den Neuen Medien erst lernen müssen, brauchen oft Unterstützung. Auch das teuerste System ist wenig wirkungsvoll, wenn es nicht von allen produktiv eingesetzt wird. Entscheidend dabei ist eine effiziente Weiterbildung. Arbeitsagentur: Ein erlernter Beruf ist keine Garantie mehr, dass man ihn ein Leben lang ausübt. Lebenslanges Lernen muss für jeden Beschäftigten selbstverständlich werden. Die berufliche Weiterbildung wird immer wichtiger. Deshalb unterstützt die Arbeitsagentur jeden Arbeitgeber finanziell, der den Mitarbeitern dies ermöglicht. Im Landkreis Günzburg konnten sich dadurch im letzten Jahr 16 Mitarbeiter beruflich weiterbilden oder einen Berufsabschluss nachholen. Wir würden uns wünschen, dass mehr Arbeitgeber die Chance nutzen, um zu „Fachkräftemachern“zu werden. Ein Anruf bei der Agentur kann sich lohnen, rechtzeitig gute Arbeitskräfte zu fördern und im Betrieb auch längerfristig zu behalten. Gewerkschaft: Wenn die Mitbestimmung erheblich ausgeweitet wird und Beschäftigte ihre Interessen einbringen können, werden sie von der Digitalisierung profitieren. Wenn nicht, wird es für sie gravierende negative Folgen bis zum weitgehenden Abbau des Sozialstaates haben.
Welche Konsequenzen wird der digitale Wandel für Menschen in Sachen Interaktion haben, etwa wenn man keine menschlichen Kollegen mehr hat?
IHK: Die Vorstellung, dass man plötzlich keine menschlichen Kollegen hat, entspricht nicht der Idee der Digitalisierung. Menschen sollen durch Roboter in erster Linie in körperlich schweren Tätigkeiten entlastet werden, nicht das menschliche Denk- und Handlungsvermögen ersetzen. Im Gegenteil wird die Interaktion mit Kollegen wichtiger, es bleibt Raum für kreative und ge- Tätigkeiten, die einen Austausch unter Kollegen erfordern. Arbeitsagentur: Ganz ohne zwischenmenschliche Kontakte wird es in der veränderten Arbeitswelt nicht gehen. Jedoch werden sich die Interaktionen auf andere Kanäle verlagern. Wenn man Kinder hat, merkt man diese Verlagerung schon deutlich. Früher besprach man ein Treffen oder telefonierte. Heute werden Dutzende Whats-App-Nachrichten geschrieben, bis man sich trifft. Gewerkschaft: Die Auflösung von herkömmlichen Betriebsstrukturen und rechtlich abgesicherten Arbeitsverhältnissen hätte negative ökonomische und dramatische soziale Folgen. Deshalb müssen herkömmliche (Betriebs-)Strukturen der Digitalisierung zwar angepasst, aber sie dürfen nicht aufgelöst werden. Es gibt verschiedene Szenarien für die Zukunft, die vom massiven Jobverlust über eine Verlagerung der Arbeitsplätze in andere Aufgabenbereiche bis zu einem neuen Wirtschaftswunder reichen. Welches ist das realistischste? IHK: Definitiv Szenario zwei. Jobs verändern sich, alte verschwinden, neue entstehen, der Personalbedarf wird steigen statt sinken. Mitarbeiter einer Smart Factory etwa können schwere Arbeiten an Roboter abgeben, sind aber nicht tatenlos, sondern übernehmen Gestaltungsfunktionen. Gut ausgebildete Fachkräfte sind in einer dynamischen Region wie unserer stets gesucht, speziell im IT-Sektor. Die methodisch besten Studien zum Thema kommen zum Ergebnis, dass es kein Absinken der Gesamtbeschäftigung geben wird. Arbeitsagentur: Das Anforderungsprofil eines Mitarbeiters wird steigen. Laut dem Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung werden mehr Spezialisten und weniger Facharbeiter benötigt. Helfer werden teils entbehrlich. Falls Tätigkeiten nicht automatisiert werden können, sind Helfer nötig. Durch die Digitalisierung entstanden einige neue Jobs. Genauso viele gingen in etwa verloren. Absolut betrachtet wird sich die
Zahl Null ergeben. Eine allgemeine Prognose ist wohl eher schwierig oder
Spekulation. Gewerkschaft: Das hängt davon ab, wie der Digitalisierungsprozess politisch gestaltet, gesteuert und reguliert wird. Es wird macht- und verteilungspolitisch entschieden werden, ob der Digitalisierungsprozess zur weiteren Spaltung der Gesellschaft oder zu mehr sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit führen wird.
Welche Entwicklung erwarten Sie durch die Industrie 4.0? Wird es in absehbarer Zeit menschenleere Fabriken geben, in denen Roboter alles selbst machen und entscheiden und höchstens noch wenige Menschen mit dem Smartphone zu Hause eingreifen? IHK: Solche Gedanken gab es bereits mit dem Aufkommen der ersten Maschinen in der Industrialisierung. Menschenleere Fabriken sind kein denkbares Szenario. Der menschliche Verstand wird gefragt sein, auch wenn die künstliche Intelligenz der Maschinen stetig zunimmt. Arbeitsagentur: Laut Forschungsinstituten ist nicht absehbar, wann die Künstliche Intelligenz (KI) so weit ist, dass sie befähigt ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Es ist eine Spezialisierung erkennbar, etwa der unschlagbare Schachcomputer. Bis wann eine KI ein Allrounder wie ein Mensch wird, ist nicht absehbar. Menschenleere Fabriken wird es wohl am ehesten bei vorgegebenen, wiederkehrenden Standardprozessen geben. Die Automatisierung schreitet voran. Dennoch wird immer eine Person verantwortlich sein und sie steuern müssen. Helfertätigkeiten wird es geben. Möglich wäre, dass weniger komplexe Produkte zu Hause durch 3D-Drucker hergestellt werden. Man zahlt nur für den Bauplan. In einigen Jahren wird es wohl Modelle aus Metall geben. Gewerkschaft: Ja. Es gilt: Wenn digitale Prozesse „unsere“Arbeit überstalterische nehmen (leere Fabrikhallen), muss die übrig bleibende Arbeit gerecht verteilt werden. Massive Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich werden nötig sein. Auch wird wesentlich mehr Arbeitszeit zur Fort- und Weiterqualifizierung genutzt werden müssen.
Welche Beschäftigungsarten in welchen Branchen sehen Sie als gefährdet und in welchen könnten Jobs entstehen? IHK: Schwere körperliche Arbeiten werden durch Automatisierung weniger werden, höherwertige Tätigkeiten werden zunehmen. Stark gefragt werden in Zukunft gut ausgebildete Spezialisten im IT-Sektor sein. Um gute Mitarbeiter zu akquirieren, müssen sich Unternehmen an die Anforderungen dieser Leistungsträger anpassen können. Arbeitsagentur: Es gibt eine Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Von 2013 bis 2016 sind neue Berufe vor allem in Bereichen entstanden, die mit der Anwendung neuer Technologien zu tun haben. Fertigungsberufe, unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe, Berufe in der Unternehmensführung und -organisation sowie Verkehrsund Logistikberufe haben das größte Potenzial, dass ein Teil der Tätigkeiten von Computern und Robotern erledigt werden könnte. Gewerkschaft: Es gibt keine einzige Beschäftigungsart, die nicht betroffen sein wird. Neue Arbeitsplätze können zum Beispiel im Bereich Organisationsentwicklung, Bildung, soziale Dienstleistungen und allgemeine Dienstleistungen entstehen. Wenn Datenautobahnen so wichtig werden wie Straßenautobahnen, wird das eine Chance für den ländlichen Raum und für den Landkreis.
Können alle Beschäftigten so weit weiterqualifiziert werden, dass die Industrie 4.0 zu keinem massiven Arbeitsplatzverlust führen wird?
IHK: Lebenslanges Lernen ist für jeden Arbeitnehmer ein Muss, um attraktiv für den Arbeitsmarkt zu bleiben, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Arbeitgeber haben großes Interesse daran, ihre Mitarbeiter konsequent weiterzubilden. Denn sie sind der Garant für ein erfolgreiches Unternehmen. Arbeitsagentur: Eine pauschale Beantwortung ist nicht möglich. Die Anforderungen an Mitarbeiter und Tätigkeiten werden sich verändern. Wichtig ist, rechtzeitig mit der hoch dynamischen Entwicklung der Arbeitswelt Mitarbeiter zu qualifizieren und offen für Veränderungen zu sein. Dies beinhaltet die räumliche Mobilität der Arbeitnehmer, wenn sich Arbeitsplätze verlagern. Gewerkschaft: Weitgehend ja. Das erfordert erheblich mehr Investition in Bildung und Qualifizierung und die Abkehr von einer Bildungspolitik, die mehr selektiert als fördert.
Was wird mit Menschen geschehen, die durch den Strukturwandel ihren Job verlieren werden und nicht für andere Aufgaben qualifiziert werden können? IHK: Das muss man verhindern. Unternehmen müssen sich mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass Mitarbeiter Arbeitsplätze behalten können. Das setzt ein gutes Personalentwicklungskonzept voraus. Arbeitsagentur: So weit eine weitergehende Qualifizierung nicht in Betracht kommt, werden die Beschäftigungschancen deutlich sinken. Berufliche und regionale Flexibilität wird umso wichtiger sein, um weiter einen Job zu haben.
Gewerkschaft: Wir werden einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt mit tariflicher Bezahlung brauchen. Wenn wir Menschen „zurücklassen“, werden die zum Nährboden für politische Rattenfänger und zum Sprengsatz für die Demokratie.
„Der Bedarf an Personal wird steigen.“Peter Saalfrank, IHK
„Es ist eine demokratische Kontrolle nötig.“Werner Gloning, DGB
Erhöhen sich Gefahren auch mit der Vernetzung durch die Manipulation von Systemen und einem möglichen Abzapfen von Daten?
IHK: Die Gefahr ist real und steigt durch jedes Gerät und jede Maschine, die übers Internet vernetzt sind. Werden Sie sich bewusst, wo Ihr Know-how liegt und sichern sich dieses bestmöglich ab. IT-Sicherheit wird mindestens genauso wichtig sein wie das Internet der Dinge. Arbeitsagentur: Der Datenschutz und die Datensicherheit brauchen deutlich mehr Aufmerksamkeit und werden von vielen Betrieben deutlich unterschätzt. Bereits heute bedrohen Hackerangriffe Firmen, öffentliche Institutionen und Privatpersonen und gefährden die Wirtschaft und das öffentliche Leben. Gewerkschaft: Ja. Deshalb ist eine demokratische politische Rahmensetzung und Kontrolle gefordert.
Wie ist Ihre Prognose: Wie werden die Beschäftigung und die Firmen im Landkreis in 25 Jahren aussehen? IHK: Agil organisiert und enorm eng verflochten in ganz neuen Produktionsnetzwerken, welche wir heute noch nicht erahnen können. Die Lage an der Technologieachse Süd bringt unsere Unternehmen und die Beschäftigten in die erste Liga der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Arbeitsagentur: Eine Prognose über einen solch langen Zeitraum ist mehr als unseriös, der Innovationszyklus bestehender Technologien wird immer schneller, darüber hinaus kann das Auftreten einer neuen Technologie alles jetzt Bestehende über den Haufen werfen. Gewerkschaft: Das ist eine machtund verteilungspolitische Frage, die noch nicht entschieden ist. Es gibt in diesem Zusammenhang aber schon jetzt massive Versuche, Arbeitnehmerrechte auszuhebeln und Einkommen drastisch zu drücken.
Die Fragen stellte Christian Kirstges.