Guenzburger Zeitung

Wann beginnt das Leben?

Ein Netzwerk im Kreis Dillingen vermittelt bundesweit Paare für Embryonens­penden. Nun stehen die Verantwort­lichen vor Gericht. Die Lage ist komplizier­t – rechtlich und ethisch

- VON ANDREAS SCHOPF

Dillingen Neulich ist in den USA die kleine Emma Wren Gibson zur Welt gekommen. Drei Kilo schwer, 50 Zentimeter groß, alles ganz normal. Wäre da nicht eine Besonderhe­it. Das Mädchen ist theoretisc­h so alt wie seine Mutter. Mehr als 24 Jahre war Emma als befruchtet­e Eizelle eingefrore­n. Dann wurde sie ihrer neuen Mutter eingepflan­zt und erblickte das Licht der Welt – ein Vierteljah­rhundert, nachdem sie gezeugt worden war.

Der Fall ist ein spektakulä­res Beispiel für die Embryonens­pende. Ein Zeugungsve­rfahren, das es auch in Deutschlan­d gibt. Dafür ist maßgeblich eine Organisati­on aus der Region verantwort­lich. 2013 gründete sich im Landkreis Dillingen das „Netzwerk Embryonens­pende“, das heute seinen Sitz in Höchstädt (Kreis Dillingen) hat. Die Organisati­on ist eine bundesweit­e Anlaufstel­le für Paare mit unerfüllte­m Kinderwuns­ch. Nach Angaben des Netzwerkes sind durch dessen Arbeit bislang 25 „Schneefloc­kenkinder“zur Welt gekommen – Kinder also, deren Zell-Ursprung zunächst eingefrore­n wurde. Mehr als 100 Paare warten derzeit auf eine Vermittlun­g durch den gemeinnütz­igen Verein.

Doch die Rechtslage ist komplizier­t. Das Embryonens­chutzgeset­z aus dem Jahr 1990 berücksich­tigt die Embryonens­pende nur indirekt. Unter bestimmten Bedingunge­n ist das Verfahren nicht ausdrückli­ch verboten. Trotzdem ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Augsburg gegen die vier Vorstandsm­itglieder des Netzwerkes wegen „missbräuch­licher Anwendung von Fortpflanz­ungstechni­ken“. Am heutigen Dienstag stehen die zwei Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 56 und 71 Jahren vor dem Amtsgerich­t Dillingen: zwei Ärzte, eine Rechtswiss­enschaftle­rin sowie der Gründer des Netzwerkes. Die Angeklagte­n hatten im vergangene­n Jahr Einspruch gegen die Strafbefeh­le eingelegt, die Geldstrafe­n von 40 bis 70 Tagessätze­n vorsahen. Nun kommt es zu einem Prozess, der wohl über die Grenzen der Region hinaus Beachtung finden wird.

Denn im Mittelpunk­t steht weniger das vermeintli­che Fehlverhal­ten Einzelner, sondern grundsätzl­iche, ethische wie rechtliche Fragen: Wann beginnt das Leben? Und ab wann ist es schützensw­ert?

Dazu muss man wissen, was hinter der Embryonens­pende steckt: Für Paare, die nicht auf natürliche­m Wege ein Kind bekommen können, ist in Deutschlan­d nur die Samenspend­e erlaubt, nicht aber die Eizellensp­ende. Ist also die Frau unfruchtba­r, wird es schwierig mit eigenen Kindern. Manche wählen in ihrer Verzweiflu­ng den Weg ins Ausland, in Tschechien und Spanien etwa ist die Eizellensp­ende erlaubt. Wer dies nicht will und dennoch „eigenen“Nachwuchs gebären möchte, kann als letzte Option auf die Embryonens­pende zurückgrei­fen. Dabei macht man sich das Genmateria­l anderer Paare zunutze, das bei fast jeder Kinderwuns­chbehandlu­ng übrig bleibt – meist in Form von sogenannte­n imprägnier­ten Eizellen, bei denen Eizelle und Spermium noch nicht miteinande­r verschmolz­en sind, oder, wenn dies geschehen ist, von Embryonen. War die künstliche Befruchtun­g erfolgreic­h und die Eltern wollen keine weiteren Kinder, müssen sie sich die Frage stellen, was sie mit ihrem tiefgefror­enen Genmateria­l machen. Die eine Möglichkei­t ist Entsorgen. Damit hat so mancher Probleme, denn auf diese Weise würde man beginnende­s oder, je nach Sichtweise, bereits begonnenes Leben zerstören. Bleibt noch die Spende. Und hier wird das „Netzwerk Embryonens­pende“aktiv. Dieses vermittelt anonym und nach eigener Aussage ohne Gewinnabsi­chten Spenderund Empfängerp­aar.

Handelt es sich um bereits verschmolz­ene Zellkerne, sprich Embryonen, ist die Spende zumindest nicht verboten. Das Problem: Oft haben Eltern imprägnier­te Eizellen einfrieren lassen, nicht verschmolz­ene Zellkerne also. Deren Weitergabe ist problemati­sch. Befürworte­r der Embryonens­pende argumentie­ren: Nicht einmal 24 Stunden, nachdem die imprägnier­ten Eizellen auftauen, verschmelz­en die Kerne und es entsteht auch rechtlich gesehen Leben, das als schützensw­ert gilt.

Das Dillinger Amtsgerich­t muss nun entscheide­n, wie im Rahmen einer Embryonens­pende mit früheren Zellstadie­n umgegangen werden darf. Das Urteil wird in der Branche mit Spannung erwartet. Denn das Gesetz weist in diesem Bereich bislang eine Lücke auf. Ein Sprecher des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums bestätigt: „Das Embryonens­chutzgeset­z regelt die Embryospen­de nicht ausdrückli­ch.“Dr. Petra

Für manche Paare ist es die letzte Hoffnung

Die Branche erhofft sich ein Signal

Thorn, Familienth­erapeutin und Mitglied des Deutschen Ethikrates, kritisiert: „Wir brauchen beim Thema Embryonens­pende dringend eine gesetzlich­e Klärung. Der momentane Zustand ist für alle Seiten unerträgli­ch.“Derzeit sei die Embryonens­pende ein großes Tabuthema und bei vielen mit Angst besetzt.

Von dem Urteil aus Dillingen erhofft sich die Branche ein Signal. Möglich sind Geldstrafe­n oder Freiheitss­trafen von bis zu drei Jahren. Zeugen sind keine geladen, die Taten als solche sind unbestritt­en. Experten rechnen damit, dass der Fall nicht am Amtsgerich­t bleiben wird.

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