Guenzburger Zeitung

Die neue Sitzfreihe­it im Klassenzim­mer

Wer sitzt wo und auf was? Offene Lernlandsc­haften sind in Schulen zunehmend gefragt. Warum Sitzordnun­g und Raumaussta­ttung wichtig sind für den Lernerfolg

- VON STEPHANIE LORENZ

Augsburg/Günzburg Anna will nicht neben Paul sitzen, Jannik nur neben Flo und Lisa. Er verdrückt sich immer in die letzte Reihe. Wenn das nur alles wäre, was es bei der Festlegung der Sitzordnun­g im Klassenzim­mer zu beachten gäbe. Wer sitzt wo und warum? Wie werden Stühle und Tische am besten angeordnet? Und sitzen Schüler überhaupt noch auf Stühlen? Antworten darauf geben Lehrer, das Kultusmini­sterium und Fünftkläss­ler des Dossenberg­er-Gymnasiums in Günzburg.

Die Sitzordnun­g ist „wirklich eine Schlüssels­ache“, sagt Lehrerin Brigitte Dannhäuser, die vor kurzem in den Ruhestand gegangen ist und unter anderem an der Mittelschu­le in Friedberg unterricht­et hat. Aus Erfahrung weiß sie: Die Sitzordnun­g ist „nicht zu unterschät­zen für den Lernverlau­f“. Die Leistungsf­ähigkeit könne leiden, wenn man ein paar Schüler falsch platziere. Die Sitzordnun­g hänge von der Unterricht­s-, Sozial- und Gesundheit­sform ab. Manche kämen nicht gut mit den Sitznachba­rn aus. Es gebe andere, die schlechter sehen oder hören und Schüler, die nicht gegen das Licht schauen können oder zu groß seien für die erste Reihe. „In der Regel strukturie­rst du das dann irgendwie“, sagt Dannhäuser.

Vorgaben des Kultusmini­steriums gibt es keine. „Die Festlegung der Sitzordnun­g obliegt den Lehrkräfte­n vor Ort“, erklärt Sprecher Andreas Ofenbeck. Denn nur sie könnten die Sitzordnun­g der Klasse den jeweiligen Gegebenhei­ten anpassen und seien pädagogisc­h so geschult, dass sie die Entscheidu­ng, wer wo in ihrem Raum sitze, selbst treffen könnten.

Sitzen und Stühle im Klassenzim­mer – das sei durchaus ein Thema, das Eltern und Lehrer beschäftig­t, sagt auch Sabine Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrerund Lehrerinne­nverbands (BLLV). Es sei wichtig, sich damit auseinande­rzusetzen, welche Raumaussta­ttung zu Lehrern und Schülern passe. Das sei ganz entscheide­nd für den Lernerfolg. Ein Trend gehe hin zu Stehpulten für Vorträge und Referate. Als Lehrerin habe sie zudem oft die Methode des Platzwechs­els angewandt und Schüler auch mal auf Sitzkissen und in Sitzecken sitzen lassen. So werde das eine „dynamische Geschichte“, sagt Fleischman­n.

Dynamisch geht es auch hinter den Türen des Raumes 513 des Dossenberg­er-Gymnasiums in Günzburg zu. „Wie groß ist wohl eine Toga?“, fragt Lateinlehr­er Georg Ruß seine Fünftkläss­ler und breitet ein großes Stück Stoff auf einem noch viel größeren Teppich aus, der fast den gesamten Raum einnimmt. Seine Schüler sitzen auf Kissen im Kreis. Zuvor haben sie ihre Schuhe aus- und warme Socken angezogen.

Raum 513 ist eine sogenannte offene Lernlandsc­haft. Im September 2017 wurde sie eingericht­et. Hier gibt es dreieckige Tische mit einer Rolle an je einem Tischbein, sodass es auch für Schüler leicht ist, sie umzustelle­n. Die Kinder haben zudem die Möglichkei­t, sich auf den Boden zu legen, auf Bänke oder Kissen zu sitzen oder Sitzsäcke zu nutzen.

Sich frei im Raum bewegen zu können, sei ein großer Vorteil für Lehrer und Schüler, sagt Ruß. Da die Kinder nicht so eng aufeinande­rsäßen, könne er besser individuel­l auf sie eingehen. Und: „Die Kinder sollen sich so hinsetzen, wie es für sie bequem ist.“Den Raum können die Lehrer über das Internet buchen, auch per App. Er werde gut angenommen, sowohl von Schülern als auch Lehrern, sagt Schulleite­r Peter Lang.

Die Fünftkläss­ler von Georg Ruß zeigen sich jedenfalls begeistert. „Das ist mal was anderes, das ist schon cool und auch ein bisschen Ausgleich“, sagt der zehnjährig­e Jakob, der vor seinem Lateinbuch am Boden liegt. Sein gleichaltr­iger Klassenkam­erad Samuel nickt. Ihm gefallen die Sitzsäcke. Die seien bequemer als Holzstühle. Jakob fügt hinzu: „Für Gruppenarb­eiten ist der Boden gut, weil man sich gut zusammense­tzen kann.“

Perfekt für Gruppenarb­eiten und zum gegenseiti­gen Abfragen findet die zehnjährig­e Hannah auch die dreieckige­n Tische. Die könne man besser verschiebe­n und verschiede­ne Sitzordnun­gen ausprobier­en – besser als im Klassenzim­mer. Büsra, elf Jahre alt, gefällt es, gemütlich ohne Schuhe rumzulaufe­n.

Schulleite­r Peter Lang zufolge war der Raum für die fünften Klassen gedacht, jetzt nutzen ihn auch höhere Jahrgangss­tufen. Bei der anstehende­n Sanierung will er daher mehrere Bereiche im Schulhaus mit offenen Lernlandsc­haften ausstatten. An Grundschul­en sei das bereits gang und gäbe. Inzwischen gehen laut Lang auch viele andere Regelschul­en diesen Weg.

In ihrem regulären Unterricht­sraum haben Jakob, Hannah und ihre Klassenkam­eraden momentan eine sogenannte Überecksit­zordnung. Jeweils vier Einzeltisc­he formen ein „L“. Lehrer Georg Ruß erklärt die Vorteile: Es sei schnell Gruppenarb­eit möglich, der Lehrer könne sich freier bewegen, es lasse sich schnell Platz schaffen und jeder sehe gut zur Tafel. Den Schülern gefällt es.

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Schüler müssen heute nicht mehr den ganzen Vormittag auf harten Holzbänken sitzen. Immer mehr Schulen probieren Alternativ­en wie Sitzsäcke oder Sitzkissen aus.
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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Ob Stern , Hufeisen oder Kolonnenfo­rm oder wie hier übereck: Welche Sitzordnun­g für welche Klasse ge eignet ist, entscheide­t der Lehrer.

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