Guenzburger Zeitung

Blaupause auf den Bahamas

700 Inseln und tausende Inselchen verbindet vor allem eines: ein Meer, das in allen Blautönen leuchtet. Das sieht nicht nur vom Weltraum toll aus

- / Von Stefanie Wirsching

Es gibt wenige Menschen, die von sich behaupten können, die ganze Welt gesehen zu haben. Einer davon ist Scott Kelly. Fast ein Jahr lang verbrachte der amerikanis­che Astronaut in der internatio­nalen Raumstatio­n. Er sendete unglaublic­he Fotos von schillernd­en Wüsten, bei Nacht glimmenden Städten, von bunt dahin getupften Feldern … Scott Kelly, wie er die Welt sah – als etwas einmalig Schönes. Es gibt auch Bilder, auf denen man glaubt, ein türkisfarb­enes Seidentuch zu erkennen, in Wellen gelegt, und andere, die aussehen, als habe ein Künstler sich wie im Rausch aus dem ganzen Alphabet von Blautönen bedient, von A wie Admiralsbl­au bis Z wie Zirkonblau. Auch diese Fotos verschickt­e er als Tweet, und weil seine jüngste Tochter genau das von ihm wissen wollte, schrieb er dazu: Der schönste Platz auf der Erde vom Weltraum aus gesehen…

Schön, schöner… die Bahamas also. 700 Inseln und mehr als zweitausen­d Inselchen im Atlantik. So ein Satz ist ein Geschenk und auf den Bahamas haben sie es dankend angenommen, gleich einen Werbefilm daraus gemacht. Mit der Schönheit ist es aber so: Von der Ferne mag manches leuchten, in der Nähe aber muss sie halten, was sie verspricht. Daher eine Erkundung und ein paar Gespräche über den vielleicht schönsten Platz der Erde …

Beginnen wir diese Geschichte also auch von oben, und zwar auf der Plattform des Leuchtturm­s auf Elbow Cay, einer der wenigen weltweit, die noch von Hand und mit Kerosin betrieben werden. RotWeiß geringelt steht er auf der kleinen, 13 Kilometer langen Insel, die zum Abaco-Archipel zählt, und wer sich die Mühe macht, die 101 schmalen Stufen hinaufzust­eigen, der bleibt nicht nur deswegen etwas länger oben, um wieder Luft zu holen, sondern auch, um sich einmal ordentlich an der ganzen Kompositio­n sattzusehe­n: am Meer, hier türkis, dort lapislazul­i, in der Ferne tiefblau, an pastellfar­benen Holzhäusch­en, vor deren Stegen sich weiße Boote wiegen, an der langgliedr­igen Eleganz der Palmen, die mit ihren Kronen alle anderen Bäume überragen … und am schon unverschäm­t satten Grün des Rasens rund um den Leuchtturm. Kent LeBoutilli­er, 57, ehrenamtli­che Mitarbeite­rin der Lighthouse Society, hat uns hinaufgefü­hrt. Man ist schon so hingerisse­n von all dem hier, dass man im Reisetageb­uch auch zu Kent brav weiter notiert: hellblaues Hemd, strahlend weiße Hose. Nennt man das farbtrunke­n?

Die Abacos zählen zu den Out Islands, auch Family Islands genannt. Die Kreuzfahrt­schiffe fahren an ihnen bestenfall­s vorbei auf ihrem Weg nach Nassau, der Hauptstadt auf New Providence, die meisten der sechs Millionen Touristen daher auch. Weil schön ja nicht gleich schön ist, werben die Tourismusm­anager hier gerne mit „Diversity“… eine Insel für jeden Geschmack: klein oder groß, einsam oder belebt, rustikal oder schick. Auf der einen kann man einen rosa Strand bewundern und trifft vielleicht Harrison Ford beim Joggen, auf der anderen trifft man so gut wie niemanden, auch das ein Luxus! Wer aber auf den Abacos landet, zählt meist zu denen, die den Unterschie­d zwischen Luv und Lee kennen – ein Segelrevie­r. Auf Elbow Cay gibt es daher auch mehr Boote als Autos. Direkt am Hafen kann man sich aber ein Golf-Kart leihen, gemütlich durch den Ort Hope Town tuckern, gelebte Entschleun­igung, und immer mal vorm nächsten schmucken Holzhaus einen kleinen Zwischenst­opp einlegen.

Zum Beispiel am Lebensmitt­elladen von Vernon Malone oder an der kleinen weißen Kirche beim Laienpredi­ger Vernon Malone, beim Restaurant der Tochter von Vernon Malone, am Weinladen des Sohnes von Vernon Malone, oder beim Museum, das Vernon Malone eingericht­et hat… Hope Town und Malone, das ist sozusagen eins. Seine Ururururur­ururgroßmu­tter kam 1784 mit drei ihrer Kinder aus South Carolina nach Elbow Cay. Als treue Royalistin suchte sie nach der amerikanis­chen Unabhängig­keit eine neue Heimat auf britischem Boden. Die Insel war unbesiedel­t. Die Malones machten das Beste draus. Aber: „Noch als ich ein Kind war, da war hier nichts“, sagt Vernon Malone, geboren 1937. Nicht mal Elektrizit­ät. Einmal pro Woche kam das Postschiff und brachte Briefe und alles andere, was man zum Leben braucht. „Dafür saßen wir abends gemeinsam auf der Veranda und haben Gitarre gespielt, eine gute Zeit.“Strom, Telefon, WLAN… gibt es heute natürlich, aber die Lebensmit- tel kommen nach wie vor per Schiff. Schönheit produziert manchmal eben nichts außer Schönheit. Das gilt für die ganzen Bahamas. Nahezu alle Konsumgüte­r müssen importiert werden, von der Flasche Cola bis zum Liter Benzin. Sehr oft reicht ein Verdienst nicht zum Leben… Jeffrey, einer der zwei Leuchtturm­wärter, erfahren wir, ist tagsüber noch Küchenchef in einem Hotel in Hope Town. Die schönen Holzhäuser im Übrigen gehören zu zwei Drittel Nicht-Bahamaern, meist Amerikaner­n. Für die Angestellt­en seien die viel zu teuer, sagt Vernon Malone, aber dafür würden die Ferienhaus­besitzer etwas Wertvolles mitbringen: Arbeit! „Sie sind Brot und Butter für die Insel.“

So wie die Abacos, so leben fast die ganzen Bahamaer fast nur vom Tourismus. Was sich bereits an solchen Zahlen zeigt: Das Hotel Atlantis mit seinem Wasserpark und dem Riesenaqua­rium, gelegen auf Paradise Island vor Nassau, beschäftig­t etwa 7500 Angestellt­e und ist damit der zweitgrößt­e Arbeitgebe­r des Landes. Nun schließt das Baha Mar auf, ein neu gebauter Luxuskompl­ex mit dem größten Spielkasin­o der Karibik – kostenfrei für Spieler die Drinks und der Blick aufs Meer. Wenn das im vergangene­n Jahr eröffnete Resort einmal im vollen Betrieb mit dann 2300 Zimmern ist, könnten hier laut den Berechnung­en des britischen Beratungsu­nternehmen­s Oxford Economics etwa zwölf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s der Bahamas erwirtscha­ftet werden.

Die Schönheit, die sich hier selbst aus dem Weltall so verschwend­erisch präsentier­t, sie hat also ihren Preis. Für die rund 390000 Bahamaer, die noch immer die letzten Nachwirkun­gen der Finanzkris­e von 2008 spüren, aber auch für die Touristen. Und weil es das KaribikFee­ling anderswo durchaus günstiger gibt, kann man sich auf die Schönheit allein auch nicht mehr verlassen. „Wir verkaufen hier Sonne, Sonne und noch mal Sonne“, sagt Chester Robards, Journalist beim The Nassau Guardian, bei einem Abendessen im Nobelhotel Sandals Royal Bahamian in Nassau: „Aber Sonne haben sie auch auf Kuba. Und da ist der Tourismus schon wieder um mehr als 16 Prozent gestiegen. Das muss uns zu denken geben.“Die Gäste wollen umworben werden – mit besonders Schönem und schönem Besonderen. Tauchen mit Haien zum Beispiel. Schwimmen mit Schweinen. Wohnen wie James Bond im Film „Casino Royale“, Urlaub machen wie Hollywoods­tar Cameron Diaz… Was Robards aber empfiehlt: Fahrt auf die Family Islands, verbringt den Tag am Strand oder mit dem Boot auf dem Meer. „Es ist nirgends schöner auf der Welt und nirgends gibt es entspannte­re Menschen.“

Und damit noch einmal zurück zu den Abacos. Wir folgen dem Rat von Robards, nehmen ein Boot, rasen übers Wasser, überlegen uns neue Namen fürs blaue Alphabet, füttern tatsächlic­h schwimmend­e Schweine und dann schwimmend­e Rochen, was in Bezug auf das Füttern die größere Sensation ist. Die Bootsführe­rin macht es vor, geht im kristallkl­aren Wasser auf die Knie, und streckt den Leckerbiss­en auf der flachen Hand aus: Der Rochen gleitet darüber hinweg, saugt und schlupp, weg ist der Happen. Um uns im Kreis schwimmen kleine Haie, die wie Miniaturen des großen Weißen aussehen. Ob man die auch ...? Oh, wie muss die Skipperin da lachen. Und dann? Landen wir auf Green Turtle Cay, schlendern durchs verschlafe­ne New Plymouth, beobachten die Wasserschi­ldkröten bäuchlings liegend vom Steg aus, essen zum Mittag Conch. Das Fleisch der Meeresschn­ecke gibt es in allen Variatione­n: als Burger, als Bällchen. Am besten aber schmeckt Conch roh als Salat, mit Zitronensa­ft, Tomaten und Zwiebeln. Am Abend sitzen wir am weißen Strand von Treasure Cay, zu lang, um bis zum Ende zu joggen, und sehen zu, wie das Meer wie mit einem großen Happs das letzte Licht verschluck­t. Notieren das so im Reisetageb­uch. Scott Kelly, den sie nach seiner Rückkehr aus dem All auf die Bahamas eingeladen haben, hat während seines Besuchs natürlich auch etwas geschriebe­n. Einen Tweet, tausendfac­h gelesen, noch ein Geschenk. „I knew it! The waters in the #Bahamas are as beautiful on Earth as they are from space!“Aus der Nähe so schön wie aus der Ferne… Einem Mann, der die ganze Welt gesehen hat, will man nicht widersprec­hen.

Schön besonders: die schwimmend­en Schweine

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 ?? Fotos: fotolia, Stefanie Wirsching (4) ?? Kent LeBoutilli­er (links oben) führt Besucher auf den Leuchtturm, Vernon Malone (rechts unten) zurück in die Geschichte des Örtchens Hope Town. Und der Steg auf Green Turtle Bay führt ins Blau, Bahamian Blau!
Fotos: fotolia, Stefanie Wirsching (4) Kent LeBoutilli­er (links oben) führt Besucher auf den Leuchtturm, Vernon Malone (rechts unten) zurück in die Geschichte des Örtchens Hope Town. Und der Steg auf Green Turtle Bay führt ins Blau, Bahamian Blau!
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