Guenzburger Zeitung

Wo ein Pfarrer fehlt, springt er ein

Kurt Ixmeier hat einst als evangelisc­her Geistliche­r in Günzburg seine Karriere begonnen. Warum er mit 79 Jahren am Palmsonnta­g wieder oder noch immer auf der Kanzel steht

- VON HEIKE SCHREIBER

Kurt Ixmeier war evangelisc­her Pfarrer in Günzburg. An Palmsonnta­g steht der 79-Jährige wieder auf der Kanzel.

Günzburg Die Berufsbeze­ichnung auf dem Visitenkär­tchen liest sich überrasche­nd. Pfarrer i. R. steht da, Pfarrer im Ruhestand. Wer Kurt Ixmeier zum ersten Mal sieht, hat nicht unbedingt den Eindruck, einen Geistliche­n vor sich zu haben. Wer ihn sprechen hört, staunt über seinen Witz und seine humorvolle Übersetzun­g der Abkürzung: „Bei mir heißt das ,in Reichweite‘ oder ,in Reserve‘.“Im Gespräch wird schnell klar, dass der 79-Jährige kein gewöhnlich­er Kirchenman­n und ein besonderer Pensionist ist. Obwohl er seit 2003 eigentlich im Ruhestand ist, steht er immer noch regelmäßig auf evangelisc­hen Kanzeln im Landkreis und predigt. Wo ein Pfarrer fehlt oder ausfällt, springt er ein. Am morgigen Palmsonnta­g ist Ixmeier wieder dran, dann hält er in der evangelisc­hen Kirche in Günzburg die Predigt.

Dass der Rentner kein gebürtiger Günzburger ist, ist nicht zu überhören. Sein oberpfälzi­scher Zungenschl­ag verrät ihn, auch wenn er seine Heimat Neumarkt vor Jahrzehnte­n verlassen und hier längst eine neue gefunden hat. Er selbst unterteilt seine Günzburger Zeit gerne in „zwei Leben“, das erste dauerte nur neun Jahre und liegt lange zurück. Sein zweites begann 2003 mit seinem Ruhestand. Doch von vorne. Bei seiner Erklärung, warum und wie er eigentlich Pfarrer geworden ist, zeigt sich wieder Ixmeiers Schalk. „Da kam nicht zack, zack, die Erleuchtun­g von oben, das war eher Zufall“, sagt er. Und erzählt von seinem Vater, einem Schlosser, der gewollt habe, dass der „Bua“eine höhere Schule besucht. Auf einem humanistis­chen Gymnasium ist er gelandet, Latein und Griechisch standen auf dem Stundenpla­n. Mit diesen Sprachen und seiner jahrelange­n Zugehörigk­eit zur evangelisc­hen Jugend könnte er eigentlich auch Pfarrer werden, dachte sich Kurt Ixmeier.

Und so begann er sein Theologies­tudium, wurde Vikar in München und landete schließlic­h im August 1966 in Günzburg, wo die Stelle eines zweiten Pfarrers frei wurde. Ixmeier weiß noch genau, dass kurz zuvor das legendäre Fußball-WM- in Wembley stattgefun­den hatte, bevor er „installier­t“wurde. „Elektrolei­tungen und Pfarrer werden installier­t.“Über diesen Ausdruck muss er selbst lachen. Günzburg, das sei damals Diaspora gewesen, die Protestant­en in der Minderheit. Zu seinen Aufgaben gehörte nicht nur das Predigen, sondern auch das Unterricht­en. Zehn Stunden Religionsl­ehre musste er halten. Weil es so wenige evangelisc­he Schüler gab, hat er sie in seinem VW-Käfer daheim abgeholt, dabei eine Tour über Wasserburg, Bubesheim und Schneckenh­ofen gemacht, den Unterricht gehalten und die Kinder später wieder zurückgeka­rrt. Irgendwann lernte er seine spätere Frau Karin, eine gelernte Erzieherin, kennen, nach der Heirat kamen zwei Töchter auf die Welt. 1975 war die Zeit in Günzburg – fürs Erste – beendet. Ixmeier verschlug es erst nach Regensburg, dann für 17 Jahre nach Alt- und Neuötting. „Das war Diaspora in Reinkultur“, erinnert er sich zurück. In Altötting musste er alle 14 Tage den evangelisc­hen Gottesdien­st halten – im Gemeindesa­al einer katholisch­en Kirche. Dass er einen besonders guten Draht zum Prälat von Altötting hatte, zum höchsten Geistliche­n am Wallfahrts­ort, darauf ist er heute noch ein bisschen stolz. „Zwischen uns gab es ein rotes Telefon, da haben wir Dinge besprochen, die durfFinale te keiner wissen“, sagt er geheimnisv­oll. 1994 wechselte er nach München-Schwabing, 2003 sollte eigentlich sein Ruhestand beginnen.

Seine Frau überredete ihn, wieder nach Günzburg zurückzuke­hren, sein zweites Leben in der Kreisstadt nahm seinen Lauf. Eigentlich wollte Ixmeier so schnell keine Predigt mehr halten, die Radwege in der Region reizten ihn viel mehr. Doch der Vorsatz hielt nur ein Vierteljah­r. Als eine alte Bekannte aus Burgau ihn bat, eine vakante Stelle zu füllen, habe er schlecht Nein sagen können. Seitdem half er überall aus, wo Not am Mann beziehungs­weise Pfarrer war. Er übernahm Taufen, Trauungen, Beerdigung­en, wie bisher auch. Der einzige Unterschie­d war: „Ich musste nicht mehr in der ersten Reihe sitzen.“

Ein „normaler Ruheständl­er“war er aber bei Weitem nicht. Dank seiner Tochter, die in den USA studiert hatte, kam er auf den Geschmack des Reisens und schließlic­h auf eine neue Idee: 2006 fungierte er zum ersten Mal als Reiseleite­r der Günzburger Pfarrei und organisier­te eine Fahrt nach China. Es folgten unzählige Reisen nach Südafrika, Ägypten und Israel. In Betlehem hielt Ixmeier einen Gottesdien­st mit Abendmahl zusammen mit Palästinen­sern ab, „das war beeindruck­end, das sind Bausteine der Ökumene“.

Mit 79 fühlt er sich inzwischen aber doch zu alt für solche Strapazen. Jetzt beschränkt er sich darauf, Seelsorge zu leisten, hauptsächl­ich am Telefon oder auch mal per E-Mail. „Das kann man im Alter noch gut machen“, sagt Ixmeier und grinst verschmitz­t. Alle paar Wochen predigt er noch von der Kanzel, berührt haben ihn besonders zwei Gottesdien­ste: Im August 2016 stand er exakt 50 Jahre nach seiner ersten Predigt in Günzburg wieder an derselben Stelle. Und im vergangene­n Oktober durfte er Teil einer Goldenen Konfirmati­on sein. „Seinen Konfirmand­en“, denen er 1967 den Segen erteilt hatte, legte er 50 Jahre später noch einmal die Hand auf. „Das war denkwürdig.“

Jetzt steigt Kurt Ixmeier wieder auf die Kanzel. Wie eigentlich jedes Jahr an Palmsonnta­g, da darf sein Kollege wie immer eine wohlverdie­nte Pause einlegen. Dem zweifachen Familienva­ter und Großvater macht es Spaß, die Predigt hat er längst geschriebe­n, Jesaja steht im Mittelpunk­t. Wäre da nur nicht das aufdringli­che Klingeln des Weckers am Morgen. „Das Schlimmste ist das frühe Aufstehen am Sonntag, das steckt man nicht mehr so leicht weg.“

Wie lange er eigentlich gedenkt, das alles noch so mitzumache­n? Er gibt zu, dass er sich ursprüngli­ch mal die Grenze von 70 gesetzt hatte. Die hat er aber längst überschrit­ten. Jetzt gilt für ihn ganz einfach: Die Gesundheit muss mitmachen. Und solange die mitspielt, ist noch lange nicht Schluss.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r

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