SPD will Hartz IV abschaffen
1200 Euro Grundeinkommen für gemeinnützige Jobs? Die Wirtschaft ist empört
Berlin Für die SPD sind die Sozialreformen ihres Kanzlers Gerhard Schröder bis heute eine traumatische Erfahrung. Sosehr die Einführung von Hartz IV dem Land insgesamt genutzt hat, so sehr hat sie die Partei selbst aufgerieben. 16 Jahre danach denken prominente Sozialdemokraten nun wieder über einen Kurswechsel und die Einführung eines sogenannten Grundeinkommens als Gegenleistung für gemeinnützige Tätigkeiten nach. Aus Sicht der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, der stellvertretenden Parteivorsitzenden, kann am Ende eines solchen Prozesses „das Ende von Hartz IV stehen“.
„Das ist eine notwendige Debatte, die wir führen werden“, sagt auch Arbeitsminister Hubertus Heil. Aus der Wirtschaft und der Union hagelt es dagegen Kritik. „Wir wollen keinen staatlich geförderten Niedriglohnsektor schaffen, wie wir das schon einmal bei vielen ABM-Maßnahmen hatten“, warnte der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Der CSUSozialexperte Stephan Stracke warf Heil vor, er sei ein Getriebener seiner eigenen Genossen. Gegenüber unserer Zeitung betonte der Allgäuer Abgeordnete: „Wir wollen die Betroffenen befähigen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen.“Eine Abschaffung von Hartz IV oder ein Grundeinkommen seien im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Stracke: „Wir wollen nicht, dass Langzeitarbeitslose auf dem Abstellgleis landen und jegliche Chance auf einen regulären Job verlieren.“Die Pläne der SPD seien „ein beschäftigungspolitischer Offenbarungseid“.
Nach dem Vorschlag des Regie- renden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, sollen Arbeitslose einen aus Steuern finanzierten Vollzeitjob mit einem Nettoverdienst von 1200 Euro angeboten bekommen, wenn sie Tätigkeiten übernehmen, die Städte und Gemeinden regulär kaum bezahlen könnten. Müller denkt dabei an die Abfuhr von Sperrmüll, das Säubern von Parks, das Bepflanzen von Grünstreifen, Babysitting für Alleinerziehende oder ehrenamtliche Tätigkeiten in der Flüchtlingshilfe. Diese Arbeiten seien für jene geeignet, „für die die immer komplizierter werdende Arbeitswelt keinen geeigneten Arbeitsplatz mehr bereithält“.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und Industriepräsident Dieter Kempf halten eine solche Herangehensweise dagegen für eine „Kapitulation unserer Gesellschaft vor den Herausforderungen der neuen Arbeitswelt“. Ein Grundeinkommen reduziere Arbeitsanreize und verschärfe den Fachkräftemangel, warnen sie in der Wirtschaftswoche. Komplett ersetzen kann ein Grundeinkommen für gemeinnützige Tätigkeiten Hartz IV ohnehin nicht. Im Gespräch sind solche Jobs nur für 150 000 Langzeitarbeitslose.
Grüne und Linkspartei begrüßen die Debatte. „Hartz IV muss weg, weil es weder vor Armut schützt noch berufliche Perspektiven eröffnet“, betonte die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, gegenüber unserer Zeitung. Das Grundeinkommen der SPD ziele jedoch in die falsche Richtung, weil damit noch mehr Menschen für Armutslöhne arbeiten sollten. Deutschland, fordert sie, brauche neue und mehr tariflich bezahlte Arbeitsplätze und eine „ordentliche Arbeitslosenversicherung, mit der die Beschäftigten nicht mehr, wie bisher, enteignet und gezwungen werden können, schlecht bezahlte Arbeit auch unterhalb ihrer Qualifikation anzunehmen.“
Um das Thema Hartz IV geht es auch im Leitartikel.
„Minister Heil ist ein Getriebener seiner eigenen Genossen.“Stefan Stracke, CSU