Robbie Williams! Justin Timberlake! Harry Styles?
Wieder hebt das Mitglied einer Boygroup zur Solokarriere an. Auch München kreischt. Das ist vielleicht das Problem
München Fast fünf Jahre ist es her, dass er als ein Fünftel der erfolgreichsten Boygroup der Gegenwart auf Welttournee zu schablonenhaftem Stimmungs-Pop auf einer hängenden Bühne über ein kreischendes Meer an Mädchen durch die ausverkaufte Olympiahalle schwebte. Und genauso ohrenbetäubend, ebenso voll besetzt, genauso weiblich und jung ist an diesem Dienstagabend die Münchner Arena auch bei der Wiederkehr des Harry Styles. Jetzt aber steht der 24-Jährige als Harry Styles hier, seine vierköpfige Band im Rücken, die eigenständigeren, rockigeren Sound liefert, keine Schwebeshowspektakel mehr, sondern einfach: ein Konzert.
Befreit sich hier also wieder mal einer aus dem zusammengecasteten Jugend-Korsett und wird solo zum Superstar, auf der Bühne erwachsen, er selbst? So wie es Robbie Williams von Take That gelungen ist und Justin Timberlake von N’Sync, auch Beyoncé von Destiny’s Child? Während nämlich die Zukunft der 2010 aus Kandidaten der britischen Talentshow „The X Factor“zusammengestellten Boygroup One Direction fraglich erscheint – mit Zayn Malik ist bereits einer der fünf ausgestiegen und mit seinem R&B-Soloalbum gleich zum einzigen muslimischen Popstar der Welt geworden, die anderen vier pausieren seit drei Jahren offiziell: Dieser Harry Styles hat einen furiosen Solostart hingelegt.
Sein Album in über 55 Ländern auf Platz eins, darunter auch in den USA (was Robbie nie auch nur annähernd gelang), auch von Kritikern gefeiert, weil eben gar nicht nach dem üblichen Popstrickmuster hinproduziert, sondern offenkundig nach eigener Musiklust fabriziert. Die Pathos-Ballade „Sign of the Times“wählte der sogar zum „Song des Jahres 2017“– und ganz nebenbei spielte Harry auch noch eine tragende Rolle in Christopher Nolans oscarnominiertem Kriegsepos „Dunkirk“. Dieses Jahr folgt nun die Tournee mit Stationen in Europa, Australien, Mexiko, Kanada und den USA – mit bislang insgesamt über einer Million verkaufter Karten.
Gerade bei Auftritten wie in München zeigt sich aber das grundsätzliche Problem, vor dem der schicke Brite steht. Besser: die entscheidende Herausforderung. Denn bekreischt wird hier tausendfach (und von der Ordnung einer fast kompletten Bestuhlung der Arena im Taumel kaum gezügelt) noch der Teenie-Star Harry. Mitgesungen werden inbrünstigst One-Direction-Songs – ob er sie nun selbst ein- streut, um das eine Soloalbum auf 90 Minuten Konzertlänge zu strecken (etwa den Top-Hit „What Makes Me Beautiful“), oder ob sie auch nur vor dem Auftritt als Anheizer vom Band kommen („Olivia“). Selbst an das noch in der Popschablone verharrende „Just a Little Bit of Your Heart“, das er mal für Ariana Grande geschrieben hat und nun selber singt, reichen aus Harrys eigenem Repertoire höchstens noch besagtes
Statt Schablonen Pop packt er die E Gitarre aus
„Sign of the Times“vor den Zugaben und das zartfeine „From the Dining Table“heran.
Die Rocknummern, vom Auftakt mit „Only Angels“bis zum röhrenden Schluss mit „Kiwi“, wirken eher wie bloße Unterlagen zum Harry-Bekreischungs-Ritual. Und so dankbar er sich selbstverständlich zeigt, dass ihm die Treue all der jungen Frauen ermöglicht, „meinen Traum zu leben“– so deutlich ist ihm anzumerken, dass er die Form des Popstar-Daseins nach all den Jahren als ausgekochter Bühnenprofi leid ist. Wonach ihm selbst viel mehr der Sinn steht, zeigt womöglich das einzig echte Cover dieses Abends in München: „The Chain“von Fleetwood Mac, über 40 Jahre alt. Die entscheidende Herausforderung für einen künftigen Solostar Harry Styles wird werden: Gelingt es ihm, eine Brücke zwischen seinen bisherigen Fans und seinen eigenen musikalischen Interessen zu bauen? Kann er mit ihnen oder muss er in Abgrenzung von ihnen erwachsen werden? Also letztlich: Gelingt Harry die Emanzipation von One Direction?