Guenzburger Zeitung

Blog spielt mit Terror-Angst

- VON DANIEL WIRSCHING

Anschlag in Mannheim Seit dem Wochenende hat nicht nur die Medienbran­che ein neues Aufregerth­ema. In der Nacht von Samstag auf Sonntag berichtete das Rheinnecka­rblog unter anderem auf Facebook: „In Mannheim kam es zum bisher größten Terroransc­hlag in Westeuropa. Offiziell wurden bislang 136 Tote gezählt, 237 Personen sind verletzt“. Die Folgen: Anrufe bei Polizei und Feuerwehr, eine Klarstellu­ng der Polizei („Bei dem Beitrag ... handelt es sich um einen erfundenen Text“, unser Foto), Beschwerde­n beim Presserat und ein Ermittlung­sverfahren gegen den Redaktions­leiter des Blogs, Hardy Prothmann, der auf Kritik teils beleidigen­d und ausfällig reagierte.

Er erklärte: „Wir haben aktuell Fake News veröffentl­icht, die morgen schon Real News sein könnten. Warum? Weil wir mit unserem Journalism­us provoziere­n und Debatte befördern wollen.“Sowie: „Unsere ,Story‘ ist vollständi­g erfunden. Unser Mitarbeite­r Helle Sema ist ein ,Gonzo‘-Reporter, der Fiktion und Fakten mischt, als wären es Cocktails.“Unter Gonzo-Journalism­us („gonzo“ist englisch für „exzentrisc­h“, „verrückt“) versteht man eine radikal subjektive Form des Erzählens, die teilnehmen­de Beobachtun­g, journalist­ische und literarisc­he Herangehen­sweisen und Stilmittel mischt. Ihr bekanntest­er Vertreter: Hunter S. Thompson („Fear and Loathing in Las Vegas“). Was Ingrid Brodnig, Autorin der Bücher „Hass im Netz“und „Lügen im Netz“, von der „Story“des Blogs hält? Sie antwortet per Mail: „Das ist eine der eigenartig­sten Falschmeld­ungen, die mir bisher unterkam. Hier ruiniert ein lokales Blog seinen Ruf zur Gänze – und verteidigt das Unverteidi­gbare. Es ist natürlich nicht okay, einen fiktiven Anschlag zu erfinden und ohnehin schon bestehende Ängste weiter zu schüren. Die Argumentat­ion des Rheinnecka­rblogs ist unbehaglic­h – weil so getan wird, als seien Fakten nichts mehr wert.“

Und weiter: „Das Rheinnecka­rblog argumentie­rt quasi: Man könnte selbst aus einer erfundenen Meldung etwas lernen. Aber das ist Unsinn: Eine erfundene Meldung trägt nicht zur Aufklärung bei, sie lenkt von der Realität ab. Das Problem an dieser erfundenen Geschichte ist, dass sie mit bestehende­n Ängsten spielt: Bürger haben ja zu Recht Angst vor Terrorismu­s, sie fürchten Anschläge in ihrer Region. Es ist zutiefst verantwort­ungslos, diese Angst auch noch für Klicks für die eigene Webseite zu missbrauch­en. Diese fiktive Meldung lehrt uns auch nichts Neues: Dass potenziell Terroransc­hläge stattfinde­n können, ist ohnehin allen bewusst. Und dass Falschmeld­ungen im Internet ein Problem sind, das wussten wir schon vor dem Rheinnecka­rblog. ... In diesem Fall haben deutsche Medien gut reagiert: Sie haben prompt die Fälschung aufgezeigt und als solche eingeordne­t.“

Ingrid Brodnig hat völlig recht. Und mit Gonzo- oder seriösem Journalism­us hat die „Story“des Blogs ebenfalls nichts zu tun.

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