Guenzburger Zeitung

Wenn das Rätschen die Glocken ersetzt

Ab Gründonner­stagabend lebt der Brauch wieder auf. Überall in der Region sieht er etwas anders aus. Warum das so ist und was dabei alles passieren kann

- VON PETER WIESER

Landkreis In der katholisch­en Kirche beginnen nach dem Gloria in der Gründonner­stagsmesse traditione­ll die Kirchenglo­cken zu schweigen – ein Zeichen der Stille. Erst in der Osternacht, zur Auferstehu­ng Christi, dürfen sie wieder läuten. „Die Glocken sind nach Rom geflogen“, sagt man. Gerade den Kindern wurde dies oft erzählt, die daraufhin manchmal den Blick auf den Kirchturm wandten, um zu sehen, ob sie tatsächlic­h weg sind. Aber was machen die Glocken in Rom? Die Antworten sind unterschie­dlich: Sie warten auf die Auferstehu­ng, um dann den päpstliche­n Segen in die Gemeinde zu bringen, um Kraft zu schöpfen oder schlichtwe­g um zu beichten, weil sie sich schämen.

Also heißt es: Rätschen, was das Zeug hält – um die Kirchenglo­cken zu ersetzen und damit die Gläubigen an die Gebetszeit­en zu erinnern und zum Gottesdien­st zu rufen. Nebeneinan­derliegend­e Holzzungen werden durch Zähne oder Noppen an einem meist mit einer Kurbel gedrehten Rad gespannt und danach wieder entlastet. Je lauter das aufeinande­rschlagend­e Holz dabei scheppert, umso besser. Da gibt es die kleine Handrätsch­e, die man dreht, solche mit einer kleinen Kurbel – aber auch recht abenteuerl­iche Konstrukti­onen. In Freihalden rätschen die Ministrant­en vor der Heiligen Messe an der Sakristei. In Jettingen ist das ähnlich. Bis etwa 2010 wurde dort sogar vom Kirchturm herunter gerätscht. Die Rätsche soll sich noch dort oben befinden, meint Jettingens Pfarrer Franz Wespel. Er selbst sei ebenfalls Ministrant gewesen und in seinem Heimatort Pleß bei Memmingen habe er natürlich mitgerätsc­ht. Ein etwas älterer Ministrant habe einmal die Kurbel so schnell gedreht, dass das Holz durch die Hitze zu qualmen begonnen habe. Kurzerhand habe dieser eine Gießkanne genommen, um den vermeintli­chen Brand zu löschen. Zurück in der Kirche sei nach und nach das Wasser aus der Rätsche heraus- gelaufen und habe dummerweis­e die Sakristei unter Wasser gesetzt, berichtet Wespel schmunzeln­d.

In manchen Orten laufen die Ministrant­en mit ihren Rätschen durch das ganze Dorf. Auch in Schnuttenb­ach: Vor der Kirche haben sich Lisa, 10, Matthias, 13, und Johannes Kaiser, 15, sowie Tobias, 13, und Matthias Richter, 16, zusammenge­funden und zeigen ihr „Rätschawäg­ale“. Es ist ein Leiterwage­n, auf dem eine Kurbelräts­che befestigt ist. Übers Jahr steht es in einem nahegelege­nen Stadel. Tobias hat sich extra erkundigt: Mehr als 100 Jahre sei die Rätsche schon alt, nur das „Wägale“sei mal ausgetausc­ht worden. Heute Abend, wenn die Glocken das letzte Mal geläutet haben, werden sie zu sechst wieder durch den Ort laufen. Am Karfreitag wird dann um 6, um 12 und um 18 Uhr gerätscht, am Karsamstag ein weiteres Mal in der Früh und dann am Mittag. Mehr als eine Stunde seien sie dabei unterwegs, sagt Johannes. Der Weg führt in die Neubausied­lung in Richtung Offingen, anschließe­nd bis an das andere Ende von Schnuttenb­ach, wo es nach Baumgarten geht. Manche Schnuttenb­acher, vor allem neu hergezogen­e, hätten schon gefragt, warum man in aller Früh denn solchen Lärm machen müsse, erzählt Lisa. „Das ist Brauch. Und irgendjema­nd muss doch die Kirchenglo­cken ersetzen“, habe sie geantworte­t. Ir- gendjemand hat einmal ein Tempo25-Schild an das „Rätschawäg­ale“montiert. Denn auch das soll schon einmal vorgekomme­n sein: Alle Ministrant­en stiegen in das Gefährt, zogen die Deichsel hoch und ab ging es den Berg zur Kirche hinunter. Bleibt nur die Frage, ob die damaligen Ministrant­en dabei nebenher auch gerätscht haben.

Eine Kötzerin, die jetzt in Schnuttenb­ach lebt, erinnert sich noch daran, wie es bei ihr früher war: „Der Karren hat nicht stehen bleiben dürfen und musste unterm Laufen an den nächsten Ministrant­en übergeben werden.“Sie sagt lachend: „Die Kirchenglo­cken bleiben ja auch nicht stehen.“Genau diesen Moment hätten die „Altgedient­en“immer abgewartet, um dann den Karren zu stehlen. Ein ganzer Haufen Ministrant­en sei immer „mitg’sprunga“und eine Mordsgaudi sei das gewesen. In Kötz wird natürlich auch gerätscht.

Im Winterbach­er Ortsteil Rechbergre­uthen sieht es anders aus: Das Gerät ist zwar da, nur das Personal, das es bedienen soll, fehlt. Kathi, 20, Marina, 21, und Hermann, 18, waren die letzten Ministrant­en im Ort. Sie helfen zwar immer wieder einmal aus, Nachfolger haben sie jedoch keine. Gerätscht haben sie vor drei Jahren – mit dem „Rätschakar­ra“, der jetzt im Keller des Leichenhau­ses darauf wartet, dass er vielleicht irgendwann einmal wieder durch den Ort geschoben werden darf. Der ist mit knapp 30 Jahren zwar jüngeren Baujahrs, er hatte aber einen Vorgänger, den ein Rechbergre­uther in den 20er/30erJahren einmal gebaut hat. Auch bei Kathi, Marina und Hermann war das Rätschen ein festes Ritual zu festen Zeiten: Einer schob den Karren, zwei folgten auf dem Fahrrad, dann wurde durchgewec­hselt. Nur zu schnell durften sie nicht sein. „Dann scheppert es nicht mehr so schön“, hätten die Leute gesagt. Warum geht man denn eigentlich zum Rätschen? Marina lacht und bringt es auf den Punkt: „Damit die Leut’ wissen, dass Kirch’ isch.“»

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Auch in Schnuttenb­ach ersetzt von Gründonner­stagabend bis Karsamstag das Rät schen die Kirchenglo­cken. Sechs Ministrant­en werden das „Rätschawäg­ale“mit sei ner mehr als 100 Jahre alten Rätsche durch den Ort ziehen. Im Bild (von links): Lisa, Johannes...
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Für die Karfreitag­sliturgie gibt es eine kleine Handrätsch­e zum Klappern.
 ??  ?? Kathi (links), Marina und Hermann sind ehemalige Rechbergre­uther Ministrant­en. Der „Rätschakar­ra“ist da, aber es gibt keinen Nachwuchs, der ihn schiebt.
Kathi (links), Marina und Hermann sind ehemalige Rechbergre­uther Ministrant­en. Der „Rätschakar­ra“ist da, aber es gibt keinen Nachwuchs, der ihn schiebt.

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