Wenn das Rätschen die Glocken ersetzt
Ab Gründonnerstagabend lebt der Brauch wieder auf. Überall in der Region sieht er etwas anders aus. Warum das so ist und was dabei alles passieren kann
Landkreis In der katholischen Kirche beginnen nach dem Gloria in der Gründonnerstagsmesse traditionell die Kirchenglocken zu schweigen – ein Zeichen der Stille. Erst in der Osternacht, zur Auferstehung Christi, dürfen sie wieder läuten. „Die Glocken sind nach Rom geflogen“, sagt man. Gerade den Kindern wurde dies oft erzählt, die daraufhin manchmal den Blick auf den Kirchturm wandten, um zu sehen, ob sie tatsächlich weg sind. Aber was machen die Glocken in Rom? Die Antworten sind unterschiedlich: Sie warten auf die Auferstehung, um dann den päpstlichen Segen in die Gemeinde zu bringen, um Kraft zu schöpfen oder schlichtweg um zu beichten, weil sie sich schämen.
Also heißt es: Rätschen, was das Zeug hält – um die Kirchenglocken zu ersetzen und damit die Gläubigen an die Gebetszeiten zu erinnern und zum Gottesdienst zu rufen. Nebeneinanderliegende Holzzungen werden durch Zähne oder Noppen an einem meist mit einer Kurbel gedrehten Rad gespannt und danach wieder entlastet. Je lauter das aufeinanderschlagende Holz dabei scheppert, umso besser. Da gibt es die kleine Handrätsche, die man dreht, solche mit einer kleinen Kurbel – aber auch recht abenteuerliche Konstruktionen. In Freihalden rätschen die Ministranten vor der Heiligen Messe an der Sakristei. In Jettingen ist das ähnlich. Bis etwa 2010 wurde dort sogar vom Kirchturm herunter gerätscht. Die Rätsche soll sich noch dort oben befinden, meint Jettingens Pfarrer Franz Wespel. Er selbst sei ebenfalls Ministrant gewesen und in seinem Heimatort Pleß bei Memmingen habe er natürlich mitgerätscht. Ein etwas älterer Ministrant habe einmal die Kurbel so schnell gedreht, dass das Holz durch die Hitze zu qualmen begonnen habe. Kurzerhand habe dieser eine Gießkanne genommen, um den vermeintlichen Brand zu löschen. Zurück in der Kirche sei nach und nach das Wasser aus der Rätsche heraus- gelaufen und habe dummerweise die Sakristei unter Wasser gesetzt, berichtet Wespel schmunzelnd.
In manchen Orten laufen die Ministranten mit ihren Rätschen durch das ganze Dorf. Auch in Schnuttenbach: Vor der Kirche haben sich Lisa, 10, Matthias, 13, und Johannes Kaiser, 15, sowie Tobias, 13, und Matthias Richter, 16, zusammengefunden und zeigen ihr „Rätschawägale“. Es ist ein Leiterwagen, auf dem eine Kurbelrätsche befestigt ist. Übers Jahr steht es in einem nahegelegenen Stadel. Tobias hat sich extra erkundigt: Mehr als 100 Jahre sei die Rätsche schon alt, nur das „Wägale“sei mal ausgetauscht worden. Heute Abend, wenn die Glocken das letzte Mal geläutet haben, werden sie zu sechst wieder durch den Ort laufen. Am Karfreitag wird dann um 6, um 12 und um 18 Uhr gerätscht, am Karsamstag ein weiteres Mal in der Früh und dann am Mittag. Mehr als eine Stunde seien sie dabei unterwegs, sagt Johannes. Der Weg führt in die Neubausiedlung in Richtung Offingen, anschließend bis an das andere Ende von Schnuttenbach, wo es nach Baumgarten geht. Manche Schnuttenbacher, vor allem neu hergezogene, hätten schon gefragt, warum man in aller Früh denn solchen Lärm machen müsse, erzählt Lisa. „Das ist Brauch. Und irgendjemand muss doch die Kirchenglocken ersetzen“, habe sie geantwortet. Ir- gendjemand hat einmal ein Tempo25-Schild an das „Rätschawägale“montiert. Denn auch das soll schon einmal vorgekommen sein: Alle Ministranten stiegen in das Gefährt, zogen die Deichsel hoch und ab ging es den Berg zur Kirche hinunter. Bleibt nur die Frage, ob die damaligen Ministranten dabei nebenher auch gerätscht haben.
Eine Kötzerin, die jetzt in Schnuttenbach lebt, erinnert sich noch daran, wie es bei ihr früher war: „Der Karren hat nicht stehen bleiben dürfen und musste unterm Laufen an den nächsten Ministranten übergeben werden.“Sie sagt lachend: „Die Kirchenglocken bleiben ja auch nicht stehen.“Genau diesen Moment hätten die „Altgedienten“immer abgewartet, um dann den Karren zu stehlen. Ein ganzer Haufen Ministranten sei immer „mitg’sprunga“und eine Mordsgaudi sei das gewesen. In Kötz wird natürlich auch gerätscht.
Im Winterbacher Ortsteil Rechbergreuthen sieht es anders aus: Das Gerät ist zwar da, nur das Personal, das es bedienen soll, fehlt. Kathi, 20, Marina, 21, und Hermann, 18, waren die letzten Ministranten im Ort. Sie helfen zwar immer wieder einmal aus, Nachfolger haben sie jedoch keine. Gerätscht haben sie vor drei Jahren – mit dem „Rätschakarra“, der jetzt im Keller des Leichenhauses darauf wartet, dass er vielleicht irgendwann einmal wieder durch den Ort geschoben werden darf. Der ist mit knapp 30 Jahren zwar jüngeren Baujahrs, er hatte aber einen Vorgänger, den ein Rechbergreuther in den 20er/30erJahren einmal gebaut hat. Auch bei Kathi, Marina und Hermann war das Rätschen ein festes Ritual zu festen Zeiten: Einer schob den Karren, zwei folgten auf dem Fahrrad, dann wurde durchgewechselt. Nur zu schnell durften sie nicht sein. „Dann scheppert es nicht mehr so schön“, hätten die Leute gesagt. Warum geht man denn eigentlich zum Rätschen? Marina lacht und bringt es auf den Punkt: „Damit die Leut’ wissen, dass Kirch’ isch.“»