Vier Spieler, ein Trainer und eine Organisatorin
Ohne die sechsköpfige Familie Jahn hätte es den „Günzburger Weg“in dieser Form wohl nicht gegeben. Handball ist hier zentraler Bezugspunkt und prägendes Gesprächsthema – aber längst nicht alles im Leben
Günzburg Wenn Handball läuft, muss Mama Claudia auf die Tagesthemen oder das Heute-Journal verzichten. So ist das bei Familie Jahn. „Wir haben dann fünf Trainer vor dem Fernseher“, betont Familienoberhaupt Rudi. Auch sonst ist der kleine Ball fast immer im Spiel, wenn der 60-Jährige mit seinen vier Kindern diskutiert. Und bei Tisch geht’s ebenfalls fast nur um eines, sobald die Familie zusammenkommt. Stephan, der Mittelmann unter den drei Söhnen, muss grinsen, wenn er an solche Situationen denkt. „Mama versucht dann oft, das Thema zu wechseln. Also, wie’s Wetter morgen wird oder so – Hauptsache, ein Themawechsel.“Sein Vater fügt mit einem liebevollen Blick auf seine Frau feixend hinzu: „Ja, nach einer halben Stunde Taktik und Technik steigt sie aus.“
Claudia Jahn fällt dann oft genug die Rolle zu, die Familie wieder zu erden, indem sie andere Prioritäten setzt. Was nicht leicht ist mit einem Ehemann, der in der großen Zeit des Günzburger Handballs mitgespielt und als verantwortlicher Trainer die Entwicklung der Talentschmiede von der Wiege bis hin zur A-Jugend-Bundesliga entscheidend mitgestaltet hat. Und mit vier Kindern, die alle im besten Sinne HandballVerrückte sind. Da entspinnen sich gerne Dialoge wie dieser:
Claudia Jahn: „Wir unterhalten uns auch über andere Themen.“Rudi Jahn: „Fußball.“Michael Jahn: „Olympische Spiele hatten wir auch gerade.“
Doch sobald beim Besucher der Gedanke keimen könnte, es drehe sich in dieser Familie alles nur um Handball, prescht Claudia Jahn vor. Dann betont sie nachdrücklich, dass alle vier Kinder auch Klavier spielen gelernt haben und viele Jahre als Ministranten aktiv waren.
Die Hauptsache jedoch ist der Sport. Egal, welcher. Entscheidend sei allein, „dass alle Bock haben“, sagt der Vater. „Für mich war immer wichtig, dass die Kinder Sport machen.“Ob das (nicht immer zur hellen Freude der Nachbarschaft im östlichen Stadtgebiet) Straßenfußball war oder Bewegung im Verein, spielte keine Rolle. So war auch nicht wirklich abzusehen, dass alle Kinder irgendwann richtig gute Handballer werden könnten – das Talent dazu lag jedoch zweifelsfrei in ihren Genen. Die Geschichte beginnt ja vor langer Zeit, denn bereits die Eltern von Rudi Jahn liefen sich einst bei diesem Mannschaftssport über den Weg. Er war Feldspieler, sie stand im Tor.
Einen gehörigen Zeitsprung später äußerte der älteste Sohn in der Familie Jahn den Wunsch, das Handballspielen zu erlernen. Was damals keiner wissen konnte: Es war der Startschuss für den inzwischen „Günzburger Weg“genannten, stets hartnäckig verfolgten Aufbau einer Nachwuchsabteilung. A-Ju-
gend-Bundesliga, Männer-Bayernliga, Frauen-Landesliga. Ja, der VfL ist auch heute noch ein ganzes Stück weg von früheren Höhen, doch dafür, dass die komplette Abteilung vor gut einem Jahrzehnt am Boden lag und kurz davor stand, in die Nichtexistenz abzurutschen, ist das eine ganze Menge. Und niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass die Handball-Familie Jahn einen gehörigen Anteil an diesem Aufschwung hatte.
Das gilt natürlich für die sportaffinen Kinder und den begeisterten Trainer-Papa, aber es gilt in ganz besonderem Maß für die Mama. Claudia Jahn erinnert sich heute: „Ich habe angefangen, das Ganze rund um die Kinder zu organisieren, Strukturen reinzubringen.“Als zentral beurteilten Claudia und Rudi Jahn vom Startschuss weg das Thema, die Eltern der umworbenen Kinder mitzunehmen. Denn jeder Sport konkurriert mit allen anderen. Oder, wie Rudi Jahn es formuliert: „Der Wettkampf zwischen den Freizeitbeschäftigungen, zwischen
Sport und Internet oder Computer ist da. Deshalb ist für mich der wichtigste Aspekt von allen, dass die Eltern das Gefühl haben, das ist gut organisiert, da können wir unsere Kinder hingeben.“
Und sie kamen. So viele, dass im Sommer der Garten voller wuselnder Nachwuchshandballer war und dass sich nach Spielen bis zu 18 hungrige Kleinhandballer um den Tisch im Erdgeschoss des Familienanwesens versammelten. Das geht bis heute so, bekräftigt Stephan und berichtet von einer langen Nacht auf der Terrasse, die auf die Bundesliga-Qualifikation der Günzburger A-Jugend folgte. Nicht zuletzt dem Organisationstalent seiner Mutter hätten es die Nachwuchshandballer im VfL zu verdanken, dass sie auch abseits der Hallen einiges mitbekommen haben, berichtet der 18-Jährige weiter. Als Beispiel führt er die Auswärtsfahrten ins Saarland an. „Da durften wir zwei Mal im Vier-Sterne-Hotel übernachten. Das war fürs Teambuilding ein geiles Event.“
Echte Motivationsprobleme bekamen die Jahn-Frischlinge trotz mannigfacher Ablenkungen und aller Sorgen, die das Großwerden begleiten, nie. Lediglich der inzwischen 16-jährige Alexander räumt ein: „Bei mir gab’s mal eine Zeit, wo ich keinen Bock mehr auf Handball hatte. Aber da hat auch keiner was gesagt.“Überhaupt gab es seitens der Eltern „wenig Peitsche“, betont Michael. Er muss es wissen, denn als Erstgeborener hat er, wie Rudi zugibt, „von der Führung seitens der Eltern am meisten abgekriegt. Beim ersten Kind will man immer alles am besten machen.“Und die Eltern haben’s augenscheinlich gut hinbekommen. Nur in einem Punkt versagte das System komplett. Die jungen Leute glucksen vor Freude, wenn sie an die Erziehungsmaßnahmen zurückdenken, die im Hause Jahn für Fehlverhalten ausgesprochen wurden. Michael berichtet mit einem Augenzwinkern Richtung Vater: „Es gab eine Zeit, in der es eine bei den Eltern beliebte Strafe war, dass man nicht ins Handball-
Training durfte. Sie wussten ja, dass wir das am liebsten machten. Das Problem war halt, dass der Trainer nicht seine eigenen Spieler sanktionieren konnte. Das System war also in sich nicht schlüssig.“
Beim Wort Trainer hakt Martina nach. Mit gespieltem Groll bemerkt sie, ihr Vater habe zwar die Hälfte der heutigen Bayernliga-Männermannschaft ausgebildet, „aber mich hast Du nie trainiert“. Ob das für immer so bleibt, lässt Rudi Jahn im Augenblick offen. Er bemerkt auf die konkrete Frage, ob sein Rückzug vom Trainerjob nur ein vorübergehender sei: „Das glaub’ ich nicht.“Andererseits: Ein klares Nein hört sich anders an.
Seine Claudia jedenfalls würde ihm bestimmt auch künftig den Rücken freihalten. So, wie sie es immer getan hat. Denn „ohne meine Frau“, sagt der Zahnarzt, „hätte ich das mit dem Handball gar nicht machen können, da hätte ich meinen Beruf aufgeben müssen. Sie organisiert mich ja auch in der Praxis. Da ist sie extrem gut drin.“