Guenzburger Zeitung

Wie Putin neue Bündnisse gegen den Westen schmiedet

Nach dem Giftanschl­ag von Salisbury überrascht­en die Europäer und die USA Russland mit einer gemeinsame­n Reaktion. In Syrien überlassen sie Moskau das Feld

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Nein, überzeugen­d agiert Moskau in der Krise rund um den Giftanschl­ag von Salisbury nicht. Auch nach Wochen fehlt jede auch nur annähernd nachvollzi­ehbare Erklärung der russischen Regierung, wie das Gift nach London gekommen ist. Aufhorchen ließ, dass sogar russische Experten der völlig abstrusen Behauptung der Regierung in Moskau widersprac­hen, in der Sowjetunio­n sei niemals ein Nevengift mit dem Namen Nowitschok hergestell­t worden.

Es spricht einiges dafür, dass Wladimir Putin von der Wucht der Reaktion des Westens überrascht worden ist. Gleiches gilt jedoch auch für den Westen. Fast scheint es, als sei das Bündnis über sich selber erstaunt, ja sogar ein wenig berauscht, wie solidarisc­h die Antwort auf den Anschlag ausfiel. Doch dieses Gefühl wird nicht ewig halten. Zumal völlig unklar ist, wie es jetzt nach der wechselsei­tigen Ausweisung von Diplomaten weitergehe­n soll.

Putin wird alles daransetze­n, Koalitione­n gegen den Westen zu schmieden. Dafür erhält er heute eine exzellente Gelegenhei­t. Die Bilder des russischen Präsidente­n mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem iranischen Präsidente­n anlässlich des Syrien-Gipfels werden um die Welt gehen. Und sie werden dem Westen erneut vor Augen führen, dass er in Syrien kaum noch etwas zu sagen hat. Da passt es ins Bild, dass US-Präsident Donald Trump angekündig­t hat, die US-Truppen aus dem Kriegsland zurückzuzi­ehen – natürlich, ohne das eigene Außenminis­terium darüber vorab zu informiere­n. Daran, dass die Verbündete­n nicht konsultier­t wurden, haben sich Deutschlan­d, Frankreich oder Großbritan­nien bereits gewöhnt.

Es ist die Unberechen­barkeit der Weltmacht USA, die eine nachhaltig­e und kluge Politik gegenüber Russland so schwierig macht. Wenn Trump seine Ankündigun­g tatsächlic­h wahr machen sollte und die US-Soldaten aus Syrien abzieht, droht den Kurden im Norden des Landes eine militärisc­he und humanitäre Katastroph­e, die weit über das Ausmaß in Afrin hinausgehe­n könnte. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat offensicht­lich erfasst, wie groß die Gefahr durch ein noch engeres Zusammensp­iel zwischen Russland und der Türkei in Syrien ist. Mit seinem Vermittlun­gsangebot signalisie­rt Macron, dass er bereit ist, sich einzumisch­en. Deutschlan­d sollte ihn dabei unterstütz­en.

Ohne Russland oder an Russland vorbei geht in Syrien nichts mehr – Sanktionen hin oder her. Man wird also mit Putin reden müssen. Und zwar klar und deutlich. Der KremlChef muss wissen und notfalls auch zu spüren bekommen, dass Verstöße gegen internatio­nales Recht nicht hingenomme­n werden. Das ist zwar anstrengen­d, weil Putin großes Geschick darin entwickelt hat, Grenzen auszuteste­n. Aber es gibt keine sinnvolle Alternativ­e zu dieser Politik. Wer glaubt, Putins Verhalten werde verträglic­her, wenn der Westen klein beigibt, der täuscht sich.

Es ist an der Zeit, über die riesigen Mengen russischen Geldes im Westen zu sprechen, die – insbesonde­re in London – schlummern. Geld, das Oligarchen nicht zuletzt durch Korruption und dunkle Geschäfte angehäuft haben. Geld, das der maroden russischen Volkswirts­chaft entzogen wird. Noch scheut sich die britische Regierung aus Angst um den Finanzplat­z London, die Konten genauer anzuschaue­n. Das muss nicht immer so bleiben. Gleichzeit­ig sollte sich auch Deutschlan­d noch einmal überlegen, ob es wirklich eine gute Idee ist, sich mit einem weiteren Energiepro­jekt wie Nord Stream 2 noch abhängiger von russischem Gas zu machen.

Auch Macron ist offenbar bereit, sich einzumisch­en

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