Essener Tafel nimmt wieder Ausländer auf
Nach der hitzigen Debatte hoffen die Helfer auf Ruhe. Wie veränderte Regeln einen neuen Eklat verhindern sollen
Essen Eigentlich ist nicht viel los an diesem Mittag in der Zentrale der Essener Tafel. Im großen Ausgaberaum stapeln sich dunkelgrüne Gemüsekisten. Vor dem Eingang hält der Kühlwagen einer Bäckerei, um überzähliges Backwerk zu spenden. Was jedoch der fünfköpfige Vorstand des Trägervereins weiter hinten in diesem Moment beschließt, findet abermals bundesweite Aufmerksamkeit: Auch Kunden ohne deutschen Pass bekommen bei der Essener Tafel wieder Berechtigungsausweise.
Turbulente Wochen liegen hinter den 120 ehrenamtlichen Helfern und vor allem dem Vereinsvorsitzenden Jörg Sartor – einem 61 Jahre alten Ex-Bergmann. Auslöser war die Entscheidung, Lebensmittelspenden vorübergehend nur noch an Bürger mit deutschem Ausweis auszugeben. Begründung: Ein angeblich zu groß gewordener Anteil an Ausländern unter den Kunden von 75 Prozent. Gerade ältere Nutzerinnen sowie alleinerziehende Mütter hätten sich von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt gefühlt, sagte Sartor damals. Auch von „mangelndem Respekt gegenüber Frauen“und fehlender „Anstellkultur“in der Schlange war die Rede. Der Aufnahme-Stopp zeigte Wirkung. „Was die Karten angeht, ist das Verhältnis jetzt andersrum“, sagt Sartor gestern nach der Sitzung. Eigentlich will er der Presse noch gar nicht viel sagen, weil er am Folgetag erst die Mitarbeiter in den elf Außenstellen informieren will. Und dann spricht er doch 20 Minuten lang über die Debatte. Es hat sich vieles aufgestaut.
Schon am 10. Januar hatte der Verein den Aufnahmestopp für Ausländer zum ersten Mal angewandt. Doch erst Ende Februar war die breite Öffentlichkeit durch Medienberichte darauf aufmerksam geworden. Schnell entspann sich eine bundesweite Debatte über Sinn und Unsinn dieser Maßnahme, über die Notwendigkeit von Tafeln in einer eigentlich reichen Gesellschaft, über Armut in Deutschland. Auf dem Höhepunkt kritisierte sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entscheidung und telefonierte mit Essens CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen. Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp stattete der Tafel einen Besuch ab. Die Regelung lehnte auch der FDP-Politiker ab: Bei dem Angebot solle nicht die Herkunft, sondern die Bedürftigkeit entscheidend sein. Gestern lobt Stamp den neuen Kurswechsel: „Ich freue mich, dass die Essener Tafel eine gute Lösung gefunden hat und hoffe, dass die vielen ehrenamtlichen Kräfte jetzt in Ruhe ihre wertvolle Arbeit fortsetzen können.“
Der Anteil der Deutschen ist inzwischen auf etwa 55 Prozent gestiegen, schätzt Vereinsvorsitzender Sartor. Wenn in der kommenden Woche auch wieder Ausländer neu aufgenommen werden, erwartet er einen großen Andrang: „Dann ist die Straße wieder voll.“Falls die Kundenkarten knapp werden sollten, greifen neue Regeln: Alleinerziehende, Familien mit minderjährigen Kindern und Senioren sollen dann – unabhängig von ihrer Nationalität – bevorzugt aufgenommen werden. „Wenn ein Engpass kommt, werden wir uns auf diese Menschengruppen fokussieren“, sagt Sartor. Darauf hatte sich zuvor schon ein Runder Tisch verständigt, der auf Initiative von Essens Sozialdezernenten zusammenkam.
Der Chef hat Redebedarf; das Aufgestaute muss raus