Guenzburger Zeitung

Zu Besuch bei Lara Croft

Protagonis­ten wie die berühmte Archäologi­n, Titel-Klassiker wie „Tetris“und PC-Legenden wie der C64: In Berlin lässt sich Game-Geschichte noch einmal hautnah erleben. Warum das Computersp­iele-Museum eine Reise wert ist

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Aus der Sicht von Computersp­ielFans hat Andreas Lange einen Traumberuf. Der 50-Jährige beschäftig­t sich den ganzen Tag mit Games. Nicht etwa auf dem Sofa im Wohnzimmer, sondern als umtriebige­r Direktor eines Museums, das in Deutschlan­d einmalig ist. Als das Computersp­ielemuseum Berlin 1997 seine Tore öffnete, war es sogar das Einzige seiner Art in Europa. In Vitrinen gestellt und mit akribisch recherchie­rten historisch­en Daten versehen, wurde Konsolen, Computern und Spielen eine späte Ehre zuteil: Videogames, bis dato als Kinderkram belächelt, wurden hier erstmals museumsrei­f.

Davon kann man sich im ehemaligen Café Warschau in der KarlMarx-Allee überzeugen. 2011 zog das Museum dorthin um, nachdem der Platz für den immer größer werdenden Fundus an stummen Zeitzeugen der digitalen Revolution in den ursprüngli­chen Räumlichke­iten nicht mehr ausreichte.

Lara Croft als lebensgroß­e Skulptur darf hier nicht fehlen, schließlic­h sorgte erst die sportliche Archäologi­n aus den „Tomb Raider“-Spielen für die digitale Emanzipati­on. Bevor sie 1996 die Hauptrolle in einem Action-Game übernahm, waren weibliche Charaktere allenfalls schmückend­es Beiwerk. Ebenfalls vor Ort: der Piko Dat (1969), der erste Lerncomput­er aus der DDR. Die Mutter aller Spielekons­olen namens Magnavox Odyssey (1972). Der Heimcomput­er Commodore C64 (1982), der wegen seines Designs den Spitznamen „Brotkasten“bekam und dennoch kultisch verehrt wurde.

Mittlerwei­le erzählen über 300 Exponate die bewegte Kulturgesc­hichte der interaktiv­en Unterhaltu­ngsmedien. Apropos Bewegung: Während man in anderen Museen die Ausstellun­gsstücke andachtsvo­ll aus der Ferne betrachten muss, ist hier Anfassen ausdrückli­ch erwünscht. Zwar gibt es auch hier Preziosen, die unantastba­r hinter Glas geschützt bleiben, doch etwa 40 Exponate laden zum Ausprobier­en ein. So kann man etwa das Phänomen Virtual Reality im Computersp­ielemuseum hautnah erleben. Unter Anleitung können moderne VR-Datenbrill­en wie die Oculus Rift aufgesetzt werden, um die totale Immersion zu erleben. So nennt man das komplette Abtauchen in die Spielwelt, abgeschott­et von äußeren Reizen.

Eine Kuriosität, die viel Platz im Raum einnimmt, zeigt, wie die virtuelle Realität aussah, als sie noch in den Kinderschu­hen steckte: Die Virtuality Cyberbase SU2000 war nicht nur zu groß fürs Kinderzimm­er, sie war im Gegensatz zu den heutigen VR-Brillen auch viel zu teuer für den Privathaus­halt. Selbst wer in der Spielhalle für wenige Minuten in die virtuelle Welt reisen wollte, musste Mitte der neunziger Jahre dafür Unsummen berappen. Im Computersp­ielemuseum ist dieser Nostalgie-Trip im Eintrittsp­reis inbegriffe­n.

Nostalgike­r kommen auch in der integriert­en Spielhalle auf ihre Kosten. Ein knallorang­efarbenes Neonschild mit dem Schriftzug „Arcade“lädt ein zu einer Zeitreise in die späten siebziger und frühen achtziger Jahre – und zu einer Partie „PacMan“, „Donkey-Kong“, „Invaders“, „Gauntlet“oder „Tetris“. Allesamt Spiele, bei denen Menschen, die zum Daddeln noch Münzen in riesige Automaten stecken mussten, Gänsehaut bekommen.

Neben Oldtimern aus der Histo- der digitalen Unterhaltu­ng bietet das Museum auch Kunstobjek­te, die dem Spiele-Sujet gewidmet sind. Unter anderem ein hüfthoher Riesen-Joystick, auf dem Besucher die Charaktere von Spieleklas­sikern nur lenken können, wenn sie barfuß auf dem Steuerknüp­pel stehen und vollen Körpereins­atz zeigen.

Nur für Wagemutige geeignet ist das wohl eigentümli­chste Kunstobjek­t des Computersp­ielemuseum­s die Painstatio­n. Die Duellanten spielen an dem Gerät den Klassiker „Pong“. Allerdings mit verschärft­en Regeln: Fehler werden – kein Witz! – mit einem kleinen Stromstoß geahndet. Für deutlich angenehmer­es Herzklopfe­n sorgt der Heimbereic­h. Der Clou: Die Heimvideos­piele und Heimcomput­er, welche das Gaming in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren aus der Spielhalle in die eigenen vier Wände brachten, ruhen hier nicht in Vitrinen, sondern in mit Liebe zum Detail im authentisc­hen Stil der jeweiligen Gaming-Epoche eingericht­eten Wohn- und Jugendzimm­ern.

Gerade jüngere Besucher staunen hier nicht nur über die Verirrunge­n damaliger Wohntrends, sondern auch darüber, dass die ersten Heimvideos­piele nicht als Kinderspie­lzeug konzipiert waren, sondern bereits damals auch ein erwachsene­s Publikum ansprechen sollten.

Dass Videospiel­e nicht nur als Unterhaltu­ngsmedium ernst genommen werden, sondern zunehmend als Kulturgut anerkannt sind, wurde höchste Zeit, findet Kurator Andreas Lange. „Zuerst war das Spiel, dann die Kultur“, so der studierte Religions- und Theaterwis­senschaftl­er. Schließlic­h hat der Homo ludens bereits vor 6000 Jahrie ren gespielt. Damals zwar noch mit „Bildschirm­en“und Figuren aus Stein, doch was den Spieltrieb angeht, hat sich in Sachen Evolution seit damals nur eins geändert: Die Grafik ist besser geworden. Für Andreas Lange steht fest: „Unsere Spiellust ist nicht zu trennen von unserer kulturelle­n Identität, denn die Kultur ist aus unserem Spieltrieb erwachsen.“

Fehler werden mit kleinen Stromschlä­gen geahndet

 ?? Fotos: Michael Eichhammer ?? Die Ikone der digitalen Emanzipati­on: Lara Croft, in der Berliner Schau gleich in zwei Ausführung­en zu sehen, spielte die erste weibliche Hauptrolle in einem Computersp­iel.
Fotos: Michael Eichhammer Die Ikone der digitalen Emanzipati­on: Lara Croft, in der Berliner Schau gleich in zwei Ausführung­en zu sehen, spielte die erste weibliche Hauptrolle in einem Computersp­iel.
 ??  ?? Auf zum fröhlichen Kult Jagen: Auch für eine Partie „Moorhuhn“ist das Berliner Computersp­iele Museum gut.
Auf zum fröhlichen Kult Jagen: Auch für eine Partie „Moorhuhn“ist das Berliner Computersp­iele Museum gut.
 ??  ?? Schaurig schön: Nicht nur die Spiele und Spielgerät­e, sondern auch die Kulissen sind im jeweiligen Stil ihrer Zeit gestaltet.
Schaurig schön: Nicht nur die Spiele und Spielgerät­e, sondern auch die Kulissen sind im jeweiligen Stil ihrer Zeit gestaltet.
 ??  ?? Anspielbar: Virtual Reality Technik der ersten Stunde.
Anspielbar: Virtual Reality Technik der ersten Stunde.
 ??  ?? Ostalgie pur: der Piko Dat, der erste Lerncomput­er der DDR, von 1969.
Ostalgie pur: der Piko Dat, der erste Lerncomput­er der DDR, von 1969.
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Andreas Lange

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