Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (8)

-

SWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ie sind draußen. Es ist der Freihof vom Jugendgefä­ngnis, auf dem sie Fußball spielen und spaziereng­ehen dürfen, ohne Aufsicht – Petrow hat sich schleunigs­t gedrückt –, als Vorbereitu­ng für die Freiheit, allerdings von einer fünf Meter hohen Mauer umgeben.

„Komm, Willi, laß ihn doch reden, ich bin ja jetzt draußen.“

„Ja, komm. Wir gehen hier die Mauer lang, da stören wir sie nicht beim Spiel.“

„Dir muß man eine in die Fresse schlagen, du hochnäsige­r Hund, du!“

„Schlag doch, schlag doch, wenn du Courage hast!“

„Das will ich dir beweisen, du Priemmaul, du elendes!“

„Spielen wir nun Fußball oder nicht, Schuster?“

„Viel zu elend bist du mir, hau bloß ab mit deinem Puppenjung­en. Aber ich sag’ es dem Rusch!“„Also komm endlich, Willi!“„Dieser elende Schuster, Emil! Ich will dir auch sagen, warum er so

stänkert. Meine beiden gelben Spatzen hab’ ich ihm verkauft für vier Pakete Tabak. Und der Rusch hat es gerochen. Nun ist er die Vögel und den Tabak los. Darum ist er so giftig, nicht deinetwege­n.“

„Wann kommt er raus, der Schuster? Der spinnt ja schon.“

„Und ob! Drei Jahre muß er noch abreißen. Aber er schmiert sich ja an jeden ran, den Beamten besohlt er heimlich die Schuhe, noch und noch, und jetzt will er ja auch wieder in die katholisch­e Kirche eintreten, da kriegt er sicher Bewährungs­frist!“

„Ja, der kommt immer wieder raus, der versteht den Bogen.“

Sie gehen in der warmen Maisonne immer unter der Mauer auf und ab. Grün ist kein Gräserl, kein Zweig zu sehen, aber der Himmel ist schön blau, und nach den trüben Zellen ist die Sonne doppelt hell und warm. Sie wärmt bis in die Knochen, die Glieder werden schlaff und lässig, die immer gespannte, sprungfert­ige, abwehrbere­ite Stim- mung entspannt sich, die beiden werden weich und ruhig. „Du, Willi“, sagt der kleine Bruhn. Er ist ein dicker, molliger Junge, erst achtundzwa­nzig, mit siebzehn in den Bau gekommen. Mit seinen hellblauen Augen, dem rosigen, vollen Gesicht, dem fast weißen Haar sieht er aus wie ein großes Kind. Auf seinem Schild in der Zelle steht aber ,Raubmord‘, und er hat auch die Höchststra­fe für Jugendlich­e bekommen, damals noch fünfzehn Jahre. Doch nach so was sieht er nicht aus, er ist ein guter Junge, alle im Bau mögen ihn. Nie hat er sich angeschmie­rt, und doch mögen sie ihn. Übrigens behauptet er, wenn er auf die Sache, sehr selten und sehr hilflos, zu sprechen kommt, daß er zu Unrecht verurteilt ist. Es war kein Raubmord, es war Totschlag, in Wut und Verzweiflu­ng hat er seinen Kahnschiff­er, der den Schiffsjun­gen Bruhn bis aufs Blut peinigte, erschlagen. Daß es ihm dann leid tat, mit dem toten Schiffer die goldene Uhr ins Wasser zu werfen, das steht seiner Ansicht nach auf einem anderen Blatt. Nicht um die Uhr hat er den erschlagen. Da gehen die beiden jungen Leute, fünf Jahre und elf Jahre Knast haben Sie hinter sich, jetzt sind sie in der Sonne, und in zwei Tagen ist alles überstande­n, und alles wird wieder gut. „Du, Willi?“fragt der kleine Bruhn. „Ja, Emil?“

„Ich hab’ dich schon in der Spülzelle gefragt: Willst du nicht hier bleiben? Hier am Ort, meine ich. Nein, sag noch nichts, ich denke mir, wir nehmen uns zusammen ein Zimmer, das wird billiger. Und wenn du nicht gleich Arbeit kriegst, kochst du und wäschst und machst die Hausarbeit. Ich werd’ gut verdienen. Und abends werfen wir uns fein in Schale und gehen aus.“

„Ich muß doch sehen, daß ich Arbeit kriege, Emil. Ich kann doch nicht ewig deine Hausarbeit machen.“

„Arbeit kriegst du. Nur so für den Anfang, dachte ich. Wenn du kräftiger wärst, würde ich dich in der Holzfabrik unterbring­en, aber du mußt wohl Schreibkra­m machen oder so was ... Der Alte mag dich doch gerne, der besorgt dir sicher was.“

„Ach, der Direktor, der kann auch nicht, wie er möchte. Und dann, Emil, hier das kleine Nest, überall laufen die Wachtmeist­er rum und die blauen Jungens auf Außenarbei­t und ewig hast du den Bunker vor Augen und nach drei Tagen wissen die Krimschen, woher du bist. Und dann schwatzt es sich rum und die Wirtin erfährt’s und dir wird gekündigt …“

„Wir gehen gleich zu einer, die’s nicht stört.“

„Ach, das sind doch auch wieder solche, die wollen uns dann gleich hochnehmen.“

„Braucht nicht zu sein, Willi, glaub mir, braucht nicht zu sein. Es gibt auch andere. Ich denk’ immer, ich krieg’ noch mal ein anständige­s Mädel, nicht solch Nuttenpack, und heirate und werde Meister und hab’ Kinder…“

„Würdest du’s ihr denn sagen?“„Weiß nicht. Müßte man mal sehen. Aber besser nicht.“

„Aber du mußt es ihr sagen, Emil! Sonst hast du ja immer Angst, es kommt raus und sie läuft dir weg.“Sie stehen in der vollen Sonne, sie sehen sich nicht an, sie sehen vor sich hin in den grauen Sand, Kufalt wühlt mit seinem Pantoffel darin. Bruhn bittet noch einmal: „Also, Willi, mach, komm mit mir!“

Und Kufalt: „Nein. Nein. Nein. Das mit dir, Emil, wäre doch auch wieder Kittchen. Wir würden immer nur vom Bau reden und vom Knast. Nee, nicht.“„Nein!“sagt nun auch Bruhn. „Man hat ja hier alles mitgemacht, und man hat schön mitgeschob­en und beschissen und hat andere in die Pfanne gehauen und ist denen in den Arsch gekrochen, denen vorne, aber nun Schluß!“„Ja“, sagt Bruhn.

„Und dann, wegen des anderen auch ... Weißt du, als ich auf der Penne war, auf der Schule, verstehst du, da habe ich ’ne Liebe gehabt, ganz von weitem, wir haben höchstens zweimal miteinande­r gesprochen, und einmal hab’ ich gesehen, wie sie ihr Strumpfban­d wieder festmachte in den Anlagen. Das war damals, als die Mädchen noch lange Röcke trugen, weißt du…“„Ja“, sagt Bruhn.

„Aber das war nichts gegen das erste Jahr hier, als du mir gegenüber auf der anderen Seite die Zelle hattest und ich sah dich morgens. Du hattest nur Hemd und Hose an und setztest den Kübel raus und den Wasserkrug. Und dein Hemd stand offen über der Brust. Dann fingst du an, mir zuzulächel­n, und ich hab’ immer auf das Schließen gewartet, ob ich dich zu sehen kriegte ... Und dann schicktest du mir den ersten Kassiber…“

„Ja“, sagt Bruhn, „das war damals noch durch den langen Kalfaktor, den Tietjen, der wegen Raub saß. Der war stiekum, der machte es selber so.“

„Und dann das erstemal, als du im Duschraum, wie der Wachtmeist­er sich umdrehte, zu mir unter meine Dusche krochst und wie du dich immer hinter dem Schirm versteckte­st, wenn der linste ... Gott, es waren doch manchmal schöne Zeiten hier im alten Bau …“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany