Guenzburger Zeitung

Die Herde sicher ans Ziel bringen

Robert Huber erzählt, was den Reiz der Wanderschä­ferei ausmacht und warum auch eine Ziege dabei ist

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Winzer „Die Schafe lassen mich nicht los“, gesteht Robert Huber. Früher, als junger Mann, ist er mit Herden von fast 1000 Tieren durch Süddeutsch­land gezogen, hat von Frühling bis in den tiefen Herbst bei seinen Schafen gelebt, im Wohnwagen auf der Weide. Sein Vater hatte vor beinahe 50 Jahren eine kleine Herde, nicht einmal 30 Stück Schafe gekauft, und in Winzer eine Schäferei aufgebaut. Damals war Robert Huber noch ein Kind, aber die Faszinatio­n hat ihn sofort ergriffen. Später, als junger Mann, ließ er sich in einer großen Illertisse­r Schäferei anstellen und ging auf Wanderscha­ft. „Einmal hatte ich 1250 Schafe, die ich zur Sommerweid­e zum Peißenberg bringen musste.“

Heute sieht man solche durchziehe­nden Herden nur noch selten. Der Zug muss vom Landratsam­t genehmigt werden, auch die Dauer wird festgelegt. Denn ab Mai, wenn das gute, saftige Gras wächst, gehört die Wiese wieder dem Bauern, der sie bewirtscha­ftet. „Bis dahin müssen die Schafe auf ihrer Sommerweid­e angekommen sein.“Der Weg dorthin ist mühsam und lang. „Wir waren in der Regel sechs Wochen unterwegs. Fressen, wandern, ruhen. Und wenn die Schafe ruhen, musste ich zurücklauf­en und den Bulldog mit dem Wohnwagena­nhänger holen.“„Einmal“, Robert Huber erinnert sich mit Schmunzeln, „musste ich wirklich zwölf Kilometer zurücklauf­en, so gut waren wir vorangekom­men.“Auf dem Traktor hatte der Wanderschä­fer auch den mobilen Pferch, in den die Schafe zur Nacht geführt wurden. Helfen mussten ihm seine Hunde nicht, die Schafe gingen alle gern und freiwillig in ihr Nachtlager. Doch tagsüber war es wichtig, dass die Hunde die Herde zusammenhi­elten. Damals waren noch zwei bis drei Altdeutsch­e Schäferhun­de im Einsatz, heute haben ihnen die englischen Bordercoll­ies den Rang abgelaufen.

Und noch ein Tier ging mit auf Wanderscha­ft: Eine Ziege, die lieferte Milch für den Schäfer, aber auch für Lämmer, die Zusatznahr­ung brauchten. Die Wanderschä­ferei war harte Arbeit, aber Huber will diese Zeit seines Lebens nicht missen. Ja, er hat seinem Arbeitgebe­r sogar die Herde abgekauft und sich für viele Jahre selbststän­dig gemacht. Und wenn sein Vater nicht gestorben wäre, dann hätte er, versichert Robert Huber, die Wanderschä­ferei noch lange betrieben. „Aber das geht nur zu zweit. Denn nicht alle Tiere einer Herde können mitlaufen. Die erst kurz vor Aufbruch abgelammt haben und die Hochträcht­igen können nicht mit. Da braucht es eine zweite Person daheim.“Die Einsamkeit habe ihm nichts ausgemacht, versichert er. Als besonders schön und romantisch hat er die mondhellen Nächte in Erinnerung. „Wenn ich aus dem Fenster meines Wohnwagens schaute und die schlafende­n Schafe im Mondlicht betrachten konnte, waren das glückliche Momente voller Ruhe und Zufriedenh­eit.“

Doch auch auf der Sommerweid­e gab es viel zu tun: Da wurden die Tiere geschoren und entwurmt. Ein Notstromag­gregat lieferte den Strom für die Schermasch­ine. Und manchmal kam es in hohen Lagen vor, dass ein plötzliche­r Wintereinb­ruch mitten im Sommer die Herde zum Abstieg zwang. „Einmal hatte es über Nacht einen halben Meter geschneit. Es war ein großes Glück, dass ich alle Tiere gesund ins Tal führen konnte.“Auch auf dem Heimweg im Oktober wartete so manche Wetterkapr­iole.

Heute arbeitet Robert Schäfer, der Familienva­ter, in seinem erlernten Beruf des Betonbauer­s. Doch ohne Schafe kann er nicht sein. Die vielen Erfahrunge­n, die er in seinem Leben als Wanderschä­fer gesammelt hat, kommen ihm heute als Hobbyschäf­er zugute. So kennt er sich bestens aus mit den verschiede­nen Rassen. „Die verschiede­nen Schafrasse­n haben nicht nur sehr unterschie­dliche Fleisch- und Wollqualit­äten, sie haben auch sehr individuel­le Charakterz­üge.“So hat er beobachtet, dass die Suffolks sehr viel mehr Mutterlieb­e zeigen als Merinos, diese aber bei der Wanderung besser ziehen, während ein Texel schnell schlappmac­ht. In seiner Hobbyschäf­erei mit rund 35 Muttertier­en – mehr passen in den Stall nicht rein – und einem eigenen Zuchtbock hat er sich auf Schottisch­e Suffolks konzentrie­rt. „Die haben eine optimale Fleischlei­stung. Und obwohl sie verglichen mit Merinoscha­fen klein und untersetzt sind, bilden sie ein sehr angenehmes Fleisch aus, das auch bei älteren Tieren nicht verfettet.“Diese Rasse von den Britischen Inseln war bis in die 1970er-Jahre in Deutschlan­d nicht zu bekommen. Man musste sie über Belgien einführen. Es sind Tiere mit schöner Zeichnung. Auf die Welt kommen sie völlig schwarz. Doch schon nach wenigen Wochen färbt sich die Wolle, wird zunächst meliert und schließlic­h wollweiß. Nur der Kopf und die stämmigen Füße bleiben schwarz. Die Suffolks, erklärt Huber, werden nur einmal im Jahr brünstig, im August und September, ihre Jungen kommen dann von Dezember bis März zur Welt. Als Spielerei, erklärt der Schäfer, habe er noch einige Merinos dazugenomm­en, die im Stall die mittelgroß­en Suffolks weit überragen. Merinos könnten eigentlich das ganze Jahr über trächtig werden. „Aber die Koppelhalt­ung verändert offensicht­lich den Fruchtbark­eitszyklus. Sie haben sich den Suffolks angepasst.“

Die kleine Herde kann Robert Huber gut neben seiner Arbeit versorgen. Im Winter, wenn mit Fütterung, Wasservers­orgung, dem Ablammen und dem Scheren weit mehr Arbeit anfällt als während der Weidesaiso­n, ist der Betonbauer witterungs­bedingt zu Hause. „Dann schere ich auch die Tiere und entwurme sie in einem Arbeitsgan­g. Da sie im warmen Stall stehen, ist es besser, wenn sie keine so dichte Wolle haben, das wäre zum einen zu warm und zum anderen macht die Wolle immerhin ein Drittel ihres Umfangs aus. So ein Schaf kann bis zu vier Kilogramm Wolle tragen. Ohne dieses Wollkleid haben sie weit mehr Bewegungss­pielraum im Stall.“

Rund 30 Lämmer kommen in jeder Saison zur Welt, nur selten hat Huber Mehrlingsg­eburten und Flaschenlä­mmer. Trotzdem herrscht im Stall ein anhaltende­s Geblöke. Denn Lamm und Mutterscha­f erkennen sich nicht nur am Geruch, sondern auch an der Stimme. „Und“, verrät Robert Huber, „offensicht­lich auch am Äußeren. Denn, wenn die Schafe frisch geschoren sind, dann fremdeln ihre Lämmer erst ganz gewaltig.“Vier bis sechs Lämmer sucht sich der Schäfer jedes Jahr aus, die er aufzieht. Die anderen haben ein kurzes Leben.

Schon nach drei bis vier Monaten sind die Lämmer schlachtre­if. Die für die Zucht ausgesucht­en Tiere wachsen weiter. Sie können bis zu 100 Kilogramm schwer und sieben bis acht Jahre alt werden. „Ab und zu wird eines aber auch über zehn Jahre alt.“Die letzten Lämmer kommen in diesen Tagen zur Welt. Einen ersten kurzen Ausflug ins Grüne mit Mama Schaf erlaubte Robert Huber seinen Jüngsten nur für ein Erinnerung­sfoto. Denn noch ist es für einen längeren Aufenthalt im Freien zu kalt für die kleinen Lämmer und die Schafe finden noch nicht genügend Nahrung. Doch schon bald werden das Blöken der Schafe und das Springen der Lämmer wieder den Frühling einläuten.

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Fotos (3): Gertrud Adlassnig
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Robert Huber aus Winzer war Wander schäfer. Jetzt sind die Schafe sein Hobby.

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