Mit und nicht über den Sterbenden sprechen
In einem Seminar kann gelernt werden, wie man Sterbende begleitet. Warum reden schon vorher so wichtig ist
Krumbach/Ziemetshausen Ein paar Kerzen und ein Kreuz am Wegesrand, die Todesanzeigen in der Zeitung, trauernde Menschen auf dem Weg zum Friedhof, die Beerdigung eines Bekannten oder Verwandten. Der Tod begegnet uns fast täglich in irgendeiner Form. Doch wir schieben ihn gerne weg, wenden uns lieber dem Leben zu; wir müssen ihn zwar akzeptieren, kümmern uns aber nicht gerne darum. Ein Kurs an der Volkshochschule will das nun ändern, will uns dazu bringen, uns mit dem Ende unserer Nächsten und mit dem eigenen Ende zu beschäftigen. „Letzte Hilfe“heißt das Seminar, das in Krumbach und Ziemetshausen angeboten wird und bei dem es um das Umsorgen von schwer erkrankten Menschen am Lebensende geht.
Antonie Forstner aus Ziemetshausen und Anne Seitzer aus Krumbach sind die Kursleiterinnen, beide sind Palliative-Care-Fachkräfte. Mit den letzten Lebensabschnitten haben beide beruflich zu tun: Anne Seitzer ist bei der Sozialstation Krumbach, Antonie Forstner macht freiberuflich Schulungen und Supervisionen in diesem Bereich. Kennengelernt haben sich die Frauen bei der Ausbildung zur Hospizhelferin. 17 Jahre ist das her. Dass sie gemeinsam an dem Seminar teilgenommen haben, das die Voraussetzung für den Kurs darstellt, war Zu- fall. Die Idee, Laien in der Begleitung Sterbender zu schulen, keimte jedoch längst in beiden. So wurde die „Letzte Hilfe“beiden gleichzeitig zur Herzensangelegenheit und ist für beide Ehrensache.
„Es geht um die Möglichkeiten, den letzten Weg zu gestalten“, erläutert Anne Seitzer. „Das Sterben soll menschlich sein.“Zu oft schon habe sie von den Angehören gehört: „Ja, wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre vieles anders gelaufen.“Deshalb wollen sie aufklären. Dabei ist den Frauen zunächst eines wichtig: Es geht um eine Begleitung beim Sterben und nicht um aktive Sterbehilfe.
Wann aber beginnt es eigentlich, das Sterben? Das könne man nicht eindeutig sagen, sind sich die Frauen einig. Das könne schon die Diagnose Krebs sein, mit der das Sterben beginnt. Und dann könne es schnell gehen oder auch Jahre dauern. Das sei völlig unterschiedlich. Sterbende alte Menschen würden sich immer mehr zurückziehen, kein Interesse mehr haben, weniger sprechen, weniger essen und weniger trinken, erläutert Forstner. Seitzer ergänzt: „So, wie ein kleines Kind sich öffnet, geht der alte Mensch wieder zurück. Am Anfang wächst alles, am Ende reduziert es sich.“Seitzer selbst hat in ihrem Berufsleben den Bogen vom Beginn zum Ende gespannt: Ursprünglich gelernt hat sie nämlich den Beruf der Kinderkrankenschwester.
Zwischen Anfang und Ende stehe jedoch in jedem Fall ein Leben mit vielfältigen Erfahrungen. Und das wollen die Palliative-Care-Fachkräfte gewürdigt wissen. „Würde und Respekt bis zum Ende“, ist ihre Devise. Der sterbende Mensch dürfe keinesfalls wie ein Kleinkind behandelt werden, sind sie sich einig. Sie ermuntern die Angehörigen, mit dem Sterbenden zu sprechen und nicht über ihn. Denn: Der Sterbende höre, auch wenn er nicht mehr reagiere. Die Fähigkeit zu hören, erlange der Mensch schon sehr früh im Mutterleib. Und das Hörvermögen bleibe im Sterbeprozess auch lange erhalten. „Man kann dem Sterbenden noch alles sagen“, betonen sie.
Was für die Palliative-CareFachkräfte außerdem wichtig ist: Jedes Sterben ist anders und „wir sind die, die begleiten und beraten, wir geben nichts vor, das macht der Sterbende“, erklärt Anne Seitzer. Antonie Forstner ergänzt: „Der Patient ist der König, der hat die Krone auf und bestimmt.“Damit das deutlich wird, hat sie einen kleinen König dabei. Ein Geschenk von Schülern, weil sie das Bild gerne auch bei Schulungen benutzt.
Als Palliative-Care-Fachkräfte betreuen die beiden Frauen nicht nur den Sterbenden, sondern auch immer dessen Umfeld, wenn dies gewünscht ist. Die Angehörigen möchten oft helfen, doch was gibt es zu tun? Ein trockener Mund will gepflegt werden, Anwesenheit und Nicht-Alleinlassen für den Sterbenden bieten ihm Trost. Manchen hilft gemeinsames Beten, anderen Musik. Gut, wenn man schon vorher einige Themen besprochen hat. Soll der Sterbende am Lebensende ernährt werden, auch, wenn er keinen Appetit mehr hat? Wie sieht es mit der Flüssigkeitszufuhr aus? Möchte der Sterbende der Natur ihren Lauf lassen oder auf jedwede Art am Leben erhalten werden? Wie viele Schmerzen will der Sterbende ertragen oder möchte er baldmöglichst Schmerzmittel? Über Sterben und Tod reden, sagen Anne Seitzer und Antonie Forstner, das sei äußerst wichtig. Das gelte übrigens auch für den Fall einer Patientenverfügung, die jeder haben sollte, der seinen Willen durchsetzen wolle. Die Patientenverfügung regelt, was passieren soll, wenn der Patient nicht mehr reden oder sich anders äußern kann. Sie kann jederzeit geändert werden. Auch hier gelte es jedoch, mit den Angehörigen zu reden. Denn, wer einfach seine Kinder in die Entscheidungspflicht nehme, ist sich oft nicht klar darüber, dass diese dann entscheiden müssen, ob Mutter oder Vater noch künstlich ernährt oder beatmet werden sollen, was in jedem Falle schwierig sei.
In ihren Kursen an der Volkshochschule wollen Anne Seitzer und Antonie Forstner Erstinformationen geben. Geklärt werden kann hier auch, wo Betroffene weitere Unterstützung erhalten können. Die Abende planen sie jedoch nicht als einen klassischen Vortrag. Im Gegenteil: Jeder Teilnehmer solle seine persönlichen Erfahrungen einbringen können. Jeder solle übers Sterben reden können. Das gilt schon hier.