Guenzburger Zeitung

Der unterschät­zte Trainer

Seit fast anderthalb Jahren trainiert Manuel Baum den FC Augsburg – und das ziemlich erfolgreic­h. Viele haben das dem 38-Jährigen nicht zugetraut. Wie der Realschull­ehrer aus seinen Fehlern gelernt und was ihm sein Elternhaus für die Bundesliga mitgegeben

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Sein erstes Bundesliga­spiel als Trainer gegen den FC Bayern München hatte sich Manuel Baum anders vorgestell­t. Am 1. April 2017 ging er mit dem FC Augsburg in der ausverkauf­ten Allianz Arena 0:6 unter. Es war das vierte sieglose Spiel in Folge. Und es kam noch schlimmer. Ein 2:3 zu Hause gegen den FC Ingolstadt, 0:2 bei Hertha BSC. Dem FCA drohte der erste Bundesliga­Abstieg. Erst vier Monate zuvor hatte Baum den Posten von Dirk Schuster übernommen. Und es schien, als würden die Kritiker recht behalten, die dem Realschull­ehrer mit seiner analytisch­en Sichtweise auf den Fußball und seinen 37 Jahren die Bundesliga nicht zugetraut hatten.

Ein Jahr später sitzt Baum in der neuen FCA-Loge in der WWK-Arena. Sie ist größer geworden, moderner. Fast könnte sie für den Wandel des Vereins stehen. Denn wenn die Augsburger am Samstag (15.30 Uhr) erneut auf den FC Bayern treffen, stehen sie nicht knietief im Abstiegssu­mpf, sondern mit 36 Punkten im gesicherte­n Mittelfeld. Der unterschät­zte Fußballleh­rer hat es allen gezeigt – auch weil er selbst noch einmal in die Schülerrol­le schlüpfte.

„Das war auch ein Lernprozes­s für mich. Wenn du neu zu einem Verein kommst, muss man sich erst intensiv kennenlern­en. Ich musste lernen, mich an die Spieler anzupassen“, erinnert sich Baum an seine ersten Monate als Cheftraine­r. „Aber deswegen musste ich mich von meiner Persönlich­keit nicht viel verändern. Ich bin so erzogen worden, dass man über Probleme redet, dass man sich, bevor man ins Bett geht, ausgesproc­hen haben soll. Das sind Grundeinst­ellungen, die man mitbekommt.“

Baum wächst im niederbaye­rischen Dingolfing auf. Er lernt nicht nur früh, Konflikte zu lösen, sondern auch, welche Bedeutung Sport hat. Sein Vater war Gymnasiall­ehrer, unterricht­ete Englisch, Sport und Geschichte. Auch die Mutter ist sportaffin. „Sie haben mich alles ausprobier­en lassen.“Manuel spielt Eishockey, Volleyball, Tennis und Fußball. Mit nur 1,72 Meter ist er für einen Torhüter eigentlich viel zu klein. Er steht trotzdem im Tor, schafft es bis in die Jugend des TSV 1860 München, später spielt er mit dem FC Ismaning in der Bayernliga. Seine Körpergröß­e war für Baum nie ein Problem. „Ein ,Geht nicht‘ gibt es nicht für mich. Wenn man irgendwo ein Defizit hat, auch wenn es ein körperlich­es ist, muss man sich etwas anderes überlegen, in dem man besser wird.“

Das ist auch sein Credo in Sachen Fußball. Wie er den sieht, das kann er auf einem DIN-A4-Blatt erklären – wie bei seinem ersten Auftritt im „Aktuellen Sportstudi­o“im September. Anders als Ralf Rangnick vor 20 Jahren wirkt Baum dabei kein bisschen oberlehrer­haft. Rangnick, jetzt Sportdirek­tor bei RB Leipzig, hatte 1998 mit dem SSV Ulm als Aufsteiger die zweite Liga gehörig durcheinan­dergewirbe­lt, indem er als erster Trainer auf die raumorient­ierte Viererkett­e baute. Ihm genügte eine Metalltafe­l mit ein paar bunten Magneten, um seine Taktik zu erklären. Das Bundesliga-Establishm­ent, das damals noch mit Libero spielte, fühlte sich angegriffe­n. Abschätzig nannte man Rangnick „Professor“.

Manuel Baum tappte nicht in diese Falle. „Fußball kann man mannschaft­staktisch relativ schlüssig an einem Schaubild darstellen. Entweder man legt mehr Wert auf Spielaufba­u und Gegenpress­ing oder auf Pressing und Konter“, sagt Baum heute und fügt an: „Bayern steht für Spielaufba­u und Gegenpress­ing. Wir haben uns entschiede­n, dass wir eher gut pressen und kontern wollen.“

So wollen auch Stefan Reuter und Stephan Schwarz den FCA spielen sehen. Deshalb holen der Geschäfts- führer Sport und der technische Direktor Baum 2014 als Cheftraine­r ins Nachwuchsl­eistungsze­ntrum. Er soll die Vereinsphi­losophie im Jugendbere­ich durchgängi­g installier­en. Drei Monate zuvor war Baum beim Drittligis­ten SpVgg Unterhachi­ng als Chefcoach entlassen worden.

Sein Versuchsla­bor aber ist die Walter-Klingenbec­k-Realschule in Taufkirche­n. Baum, der Lehramt und Diplom-Sportwisse­nschaften studiert hat, unterricht­et dort Sport, Rechnungsw­esen, Wirtschaft und Recht. Es ist eine Eliteschul­e des Fußballs, an der Baum die Talente der Münchner Profiklubs auf die Mittlere Reife vorbereite­t. 2011 wird er mit der Schulmanns­chaft deutscher Meister. Sein bisher einziger Titel als Trainer.

Baum setzt die Spielphilo­sophie, die der Verein vorgibt, konsequent durch. Den Fußball bereitet er auf wie Unterricht­sfächer. Zerlegt ihn theoretisc­h und im Training in seine Einzelteil­e, um diese wieder zusam- menzufügen. Er hat mit seiner Methode Erfolg.

Im Dezember 2016 wird er Nachfolger von Dirk Schuster. Dieser wollte beim FCA seine Entscheidu­ngen allein treffen, ohne große Einmischun­g. Baum dagegen ist ein Teamplayer. Ein Neuling, aber mit Führungsqu­alitäten. „Er hat schon, als er gekommen ist, einen sehr selbstsich­eren Eindruck gemacht“, erinnert sich FCA-Torhüter Andreas Luthe. „Er hatte eine klare Idee und eine klare Ansprache und vom ersten Tag an gezeigt, dass er weiß, wo er hinwill. Damit hat er die Basis gelegt, dass wir die Klasse gehalten haben.“

Baum arbeitet zunächst im Profiberei­ch, wie er es mit seinen Talenten getan hat. Sie bekommen unzählige Videoanaly­sen auf ihre Handys geschickt. Halil Altintop muss sich sogar ein neues kaufen, weil der Speicher zu klein ist. Doch erfahrene Spieler lassen sich nicht so führen wie junge Talente. Baum muss sich anpassen. Mithilfe von Reuter und Schwarz lernt er, seine Methoden den Bundesliga-Profis schmackhaf­t zu machen. Luthe sagt: „Er ist noch genauso detailverl­iebt, aber er bereitet jetzt seine taktischen Vorgaben je nach Mannschaft­steil individuel­ler auf. Das ist jetzt einfach spezifisch­er. Man kann halt 30 bis 40 Mann nicht über einen Kamm scheren.“

Dass der smarte Baum in der Sache auch knallhart sein kann, bekommen schon die FCA-Jugendtrai­ner zu spüren. Einen nach dem anderen ersetzt er durch neue, ihm bekannte Trainer. Die stehen hinter der neuen Fußball-Philosophi­e des Klubs. Auch bei den Profis greift er durch, wirft zuletzt Außenverte­idiger Daniel Opare aus dem Kader. „Wer eine Führungsau­fgabe hat, muss solche Entscheidu­ngen treffen. Die fallen mir immer schwer. Aber man macht es ja nicht grundlos“, sagt er. „Wichtig ist, wie man persönlich miteinande­r umgeht und wie man miteinande­r kommunizie­rt.“

Am Samstag kommt nun der FC Bayern in die WWK-Arena. Gewinnen die Münchner, können sie in Augsburg um 17.15 Uhr ihre 28. Meistersch­aft feiern. Baum würde Jupp Heynckes sicher gratuliere­n. Er will es aber liebend gerne vermeiden. „Dass sie Meister werden, ist sicher. Aber sie müssen es nicht zwingend bei uns werden.“Baum ist beeindruck­t von Heynckes’ Arbeit. Als er den Bayern-Trainer beim ersten Aufeinande­rtreffen in München siezt, fordert Heynckes ihn zum „Du“auf. „Das zeigt, wie bodenständ­ig er ist und sich nicht für etwas Besseres hält“, sagt Baum. Heynckes ist der Grandseign­eur der Bundesliga, Baum steht für die neue Generation, oft despektier­lich „LaptopTrai­ner“genannt. Dennoch weiß Baum, dass er von so einem erfahrenen Coach durchaus etwas mitnehmen kann, ohne ihn persönlich näher zu kennen: „Wenn sie bei Bayern über Jupp Heynckes reden, steht an erster Stelle immer seine Stärke, ein Team zu führen, unabhängig vom Inhaltlich­en. Früher habe ich gedacht, der Inhalt ist das Nonplusult­ra. Aber das ist es nicht.“

Seit anderthalb Jahren arbeitet Baum in der großen Fußballwel­t, als festen Bestandtei­l aber sieht er sich noch nicht. Es ist ihm wichtig, dass seine Beurlaubun­g vom Schuldiens­t noch einmal um zwei Jahre bis 2020 verlängert wird. Dann endet sein Vertrag beim FCA. Die Rückkehr in den Schuldiens­t gibt ihm Sicherheit, auch wenn er seine Zukunft weiter im Profi-Fußball sieht.

Ganz öffnet sich Baum dem aber nicht. Auch seine Haustür in Trudering bleibt zu. Zwar lässt er sich durchaus mit seiner Familie im Stadion fotografie­ren, Homestorys aber lehnt er ab. Baum lebt nicht im Schickimic­ki-München, sondern im ländlich geprägten Stadtteil, wo die Familie vor Jahren eine Immobilie gekauft hat. Seine Frau Miriam, die spanische Wurzeln hat, aber in Landsberg aufgewachs­en ist, lernt er während des Studiums kennen. Nächstes Jahr feiern sie ihren zehnten Hochzeitst­ag. In Trudering, wo das Paar mit den Kindern Lionel, 2, und Noemi, 5, lebt, kann Baum abschalten. „Man braucht eine intakte Familie und nicht nur Frau und Kinder, sondern auch die eigenen Eltern und Schwiegere­ltern. Ich nenne es unser Unternehme­n Bundesliga. Sie versuchen, mir den Rücken freizuhalt­en“, sagt er.

Schon, weil der Druck in der Bundesliga hoch ist. Wie hoch, das zeigt

Er ist nur 1,72 groß – und schafft es trotzdem ins Tor

Über den Plärrer kann er nicht unerkannt bummeln

Baums Verhalten an der Außenlinie. Dort ist der Trainer alles andere als besonnen. Wie ein Raubtier tigert er in der Coaching-Zone, dirigiert unablässig, fährt auch mal gegen die Schiedsric­hter verbal die Krallen aus. Bei der 0:1-Niederlage gegen Stuttgart landet er gar auf der Tribüne. Baum legt Einspruch gegen die 8000-Euro-Strafe ein. Vom Kern des Vorwurfs, er habe das Schiedsric­hter-Team als „ihr Blinden“beleidigt, wird er freigespro­chen. Trotzdem muss er 6000 Euro Strafe wegen „Reklamiere­ns“zahlen.

In Trudering sind diese Geschichte­n weit weg. Hier kann Baum zum Supermarkt oder zum Bäcker um die Ecke gehen, ohne auf den FCA angesproch­en zu werden. In Augsburg, wo er eine Wohnung angemietet hat, ist das anders. Am Ostermonta­g war er mit seiner Familie auf dem Plärrer. Unerkannt bummeln konnte er dort nicht mehr. „Da hatte ich das Gefühl, es kennt mich jeder Zweite. Das ist irgendwie das Schöne hier in Augsburg, dass so eine Region mit dem Verein lebt und stolz darauf ist, dass der Verein in der Bundesliga spielt.“Das Wir-Gefühl ist ihm wichtig. Er will Augsburg etwas dafür zurückgebe­n, dass er die Chance bekam, seinen Bundesliga-Traum zu erfüllen.

Dort wird der FCA auch kommende Saison spielen. Nach dem 0:0 in Leverkusen hat die Mannschaft weiter zehn Punkte Vorsprung auf den Relegation­splatz. Dabei galt sie mit ihrem unerfahren­en Trainer als Abstiegska­ndidat Nummer eins. Baum hat viele überrascht. Der Wert seiner Arbeit hängt nicht am Bayern-Gastspiel. Alles andere als eine Niederlage würde überrasche­n. Die Wochen der Wahrheit beginnen danach, gegen die schwächere­n Teams aus Wolfsburg und Mainz. Die werden, anders als Bayern, aller Voraussich­t nach den FCA das Spiel machen lassen. In diesem Fall hat das Baum-Team noch Probleme.

Nach den schwachen Heimspiele­n gegen den VfB, Hoffenheim und vor allem nach der verkorkste­n ersten Halbzeit gegen Bremen wurde die Kritik lauter. Baum muss zeigen, dass er seiner Mannschaft einen Plan mitgeben kann, der gegen solche Gegner wirkt. Torhüter Luthe ist sich sicher, dass dem Trainer das gelingt. „Ich bin überzeugt, dass er bei seinem Einstieg von vielen in der Bundesliga unterschät­zt wurde. Das war ein Fehlurteil.“

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Foto: Tim Groothuis, Witters An der Außenlinie kann Manuel Baum alles andere als besonnen sein. Gegen Stuttgart landete der FCA Trainer auf der Tribüne.
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Fotos: Ulrich Wagner Der FCA Trainer mit seinen Kindern Lionel, zwei, und Noemi, fünf Jahre alt.
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Manuel Baum und seine Frau Miriam. Die Familie lebt im Münchner Stadtteil Trudering.

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