Wer traut sich, gegen Kauder anzutreten?
Seit über zwölf Jahren steht er treu an der Seite der Kanzlerin – genau das könnte ihm nun zum Verhängnis werden
Augsburg „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit“, sagte Volker Kauder einmal im Interview mit unserer Zeitung. Es ist einer seiner Lieblingssätze. Und er sagt viel über ihn selbst aus. Der 68-Jährige ist kein Mann mit großen Visionen. Für ihn ist Politik die Kunst des Machbaren. Das verbindet den Baden-Württemberger mit Angela Merkel. Seit mehr als zwölf Jahren hält er der Kanzlerin den Rücken frei – loyal bis zur Schmerzgrenze und manchmal auch darüber hinaus. Doch mit dem Stern seiner Chefin droht auch sein eigener zu sinken. Kauder muss um seinen Job als Chef der Unions-Fraktion kämpfen. Verliert Merkel einen ihrer treuesten Mitstreiter?
Fakt ist: In der Union brodelt es. Weil sich aber niemand traut, die Kanzlerin direkt anzugreifen, entlädt sich der Frust eben an Kauder. „Der Volker wird stellvertretend für die Chefin attackiert“, sagt ein Abgeordneter im Gespräch mit unserer Zeitung. Bei seiner Wiederwahl zum Fraktionschef im Herbst bekam Kauder die Quittung für das Desaster der Union bei der Bundestagswahl. Er erhielt so wenige Stimmen wie noch nie. Viele Abgeordnete straften ihn dafür ab, dass er „mehr im Lager der Kanzlerin steht als im Lager der Fraktion“, wie es ein CSU-Mann ausdrückt. Auch sein Führungsstil ist umstritten. Im Bestreben, den Laden zusammenzuhalten, bügelt er interne Kritik auch mal recht schroff ab.
Kauders größter Trumpf im Posten-Poker scheint das Nachwuchsproblem der CDU zu sein. Bislang gibt es jedenfalls weder eine Rücktrittsforderung noch hat sich jemand gefunden, der den Fraktionsvorsitzenden im kommenden Herbst herausfordern will. Einer, der die offene Konfrontation mit Kauder nicht gescheut hätte, ist Jens Spahn. Immer wieder hat es zwischen den beiden gekracht. Dass die Kanzlerin Spahn zum Minister befördert hat, brachte für Kauder einen Kollateralnutzen mit sich: Er ist seinen gefährlichsten Widersacher erst einmal los. Und selbst wenn Spahn antreten würde, könnte er keineswegs sicher sein, eine Mehrheit zu bekommen. Viele Unions-Leute sind inzwischen genervt von seiner medialen Selbstdarstellung. „Spahn geht es nicht um politische Inhalte, Spahn geht es nur um Spahn“, sagt ein Fraktionsmitglied.
Doch auch nach dem Wechsel des widerspenstigen Jungstars ins Kabinett kehrt in der Fraktion kein Frieden ein. Zu oft hat Merkel schon versucht, renitente Parteifreunde ruhigzustellen. „Das ist ihre alte Strategie: Wer aufbegehren könnte, wird entweder eng eingebunden oder eliminiert“, sagt ein langjähriger Abgeordneter. Eine offene Rebellion gegen Kauder ist trotzdem nicht in Sicht. Manche CDU-Leute glauben sogar, dass die Spekulationen über sein angeblich bevorstehendes Aus bewusst gestreut wurden, um der Kanzlerin zu schaden. Wie auch immer: Hinter den Kulissen werden bereits mögliche Szenarien durchgespielt. Dabei fällt immer wieder der Name Carsten Linnemann. Der Wirtschaftspolitiker, in dem einige schon einen neuen Friedrich Merz sehen, stünde mit seinen 40 Jahren für einen Generationswechsel. Allerdings gehört er zur Spahn-Clique und wäre damit für die Merkelianer kaum vermittelbar. In CDU-Kreisen geht man zudem davon aus, dass Linnemann sich nur in den Ring wagt, wenn er nicht mit Gegenwehr rechnen muss.
Am Ende wird es mal wieder auf die Kanzlerin ankommen. Rät sie Kauder, freiwillig aufzuhören, um Druck aus dem Kessel zu nehmen? Mögliche Kompromisskandidaten wären dann die früheren Minister Norbert Röttgen oder Hermann Gröhe, die in der Fraktion gut vernetzt sind. Oder zahlt Merkel Kauder die jahrelange Loyalität zurück und baut auf die von ihr selbst geförderte personelle Alternativlosigkeit in der Union?
Kauder selbst ließ gestern ausrichten, er habe nun oft genug betont, dass er bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben will. Das möchte die Kanzlerin auch – im Notfall wohl auch ohne ihn.