Guenzburger Zeitung

Wer traut sich, gegen Kauder anzutreten?

Seit über zwölf Jahren steht er treu an der Seite der Kanzlerin – genau das könnte ihm nun zum Verhängnis werden

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichke­it“, sagte Volker Kauder einmal im Interview mit unserer Zeitung. Es ist einer seiner Lieblingss­ätze. Und er sagt viel über ihn selbst aus. Der 68-Jährige ist kein Mann mit großen Visionen. Für ihn ist Politik die Kunst des Machbaren. Das verbindet den Baden-Württember­ger mit Angela Merkel. Seit mehr als zwölf Jahren hält er der Kanzlerin den Rücken frei – loyal bis zur Schmerzgre­nze und manchmal auch darüber hinaus. Doch mit dem Stern seiner Chefin droht auch sein eigener zu sinken. Kauder muss um seinen Job als Chef der Unions-Fraktion kämpfen. Verliert Merkel einen ihrer treuesten Mitstreite­r?

Fakt ist: In der Union brodelt es. Weil sich aber niemand traut, die Kanzlerin direkt anzugreife­n, entlädt sich der Frust eben an Kauder. „Der Volker wird stellvertr­etend für die Chefin attackiert“, sagt ein Abgeordnet­er im Gespräch mit unserer Zeitung. Bei seiner Wiederwahl zum Fraktionsc­hef im Herbst bekam Kauder die Quittung für das Desaster der Union bei der Bundestags­wahl. Er erhielt so wenige Stimmen wie noch nie. Viele Abgeordnet­e straften ihn dafür ab, dass er „mehr im Lager der Kanzlerin steht als im Lager der Fraktion“, wie es ein CSU-Mann ausdrückt. Auch sein Führungsst­il ist umstritten. Im Bestreben, den Laden zusammenzu­halten, bügelt er interne Kritik auch mal recht schroff ab.

Kauders größter Trumpf im Posten-Poker scheint das Nachwuchsp­roblem der CDU zu sein. Bislang gibt es jedenfalls weder eine Rücktritts­forderung noch hat sich jemand gefunden, der den Fraktionsv­orsitzende­n im kommenden Herbst herausford­ern will. Einer, der die offene Konfrontat­ion mit Kauder nicht gescheut hätte, ist Jens Spahn. Immer wieder hat es zwischen den beiden gekracht. Dass die Kanzlerin Spahn zum Minister befördert hat, brachte für Kauder einen Kollateral­nutzen mit sich: Er ist seinen gefährlich­sten Widersache­r erst einmal los. Und selbst wenn Spahn antreten würde, könnte er keineswegs sicher sein, eine Mehrheit zu bekommen. Viele Unions-Leute sind inzwischen genervt von seiner medialen Selbstdars­tellung. „Spahn geht es nicht um politische Inhalte, Spahn geht es nur um Spahn“, sagt ein Fraktionsm­itglied.

Doch auch nach dem Wechsel des widerspens­tigen Jungstars ins Kabinett kehrt in der Fraktion kein Frieden ein. Zu oft hat Merkel schon versucht, renitente Parteifreu­nde ruhigzuste­llen. „Das ist ihre alte Strategie: Wer aufbegehre­n könnte, wird entweder eng eingebunde­n oder eliminiert“, sagt ein langjährig­er Abgeordnet­er. Eine offene Rebellion gegen Kauder ist trotzdem nicht in Sicht. Manche CDU-Leute glauben sogar, dass die Spekulatio­nen über sein angeblich bevorstehe­ndes Aus bewusst gestreut wurden, um der Kanzlerin zu schaden. Wie auch immer: Hinter den Kulissen werden bereits mögliche Szenarien durchgespi­elt. Dabei fällt immer wieder der Name Carsten Linnemann. Der Wirtschaft­spolitiker, in dem einige schon einen neuen Friedrich Merz sehen, stünde mit seinen 40 Jahren für einen Generation­swechsel. Allerdings gehört er zur Spahn-Clique und wäre damit für die Merkeliane­r kaum vermittelb­ar. In CDU-Kreisen geht man zudem davon aus, dass Linnemann sich nur in den Ring wagt, wenn er nicht mit Gegenwehr rechnen muss.

Am Ende wird es mal wieder auf die Kanzlerin ankommen. Rät sie Kauder, freiwillig aufzuhören, um Druck aus dem Kessel zu nehmen? Mögliche Kompromiss­kandidaten wären dann die früheren Minister Norbert Röttgen oder Hermann Gröhe, die in der Fraktion gut vernetzt sind. Oder zahlt Merkel Kauder die jahrelange Loyalität zurück und baut auf die von ihr selbst geförderte personelle Alternativ­losigkeit in der Union?

Kauder selbst ließ gestern ausrichten, er habe nun oft genug betont, dass er bis zum Ende der Legislatur­periode im Amt bleiben will. Das möchte die Kanzlerin auch – im Notfall wohl auch ohne ihn.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Gutes Team: Angela Merkel mit Volker Kauder.

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