Guenzburger Zeitung

28 Millionen träumen vom selben Job

Die indische Eisenbahn schreibt zehntausen­de Stellen aus. Jetzt beginnt das Auswahlver­fahren. Doch wie funktionie­rt das bloß bei so vielen Bewerbern?

- VON AGNES TANDLER

Neu Delhi Mit umgerechne­t 225 Euro im Monat ist das Gehalt nicht gerade fürstlich. Dennoch – Indiens Eisenbahn kann sich vor Bewerbern nicht retten. Mehr als 28 Millionen Inder haben sich auf knapp 90000 freie Stellen beim größten Arbeitgebe­r des Landes beworben – das entspricht etwa einem Drittel der deutschen Bevölkerun­g. Die meisten der ausgeschri­ebenen Jobs beinhalten wie bereits berichtet einfache Tätigkeite­n wie Weichenste­ller, Träger oder Maschinist. Doch das Auswahlver­fahren ist so langwierig wie manche Bewerbung um den Platz an einer Eliteunive­rsität.

Am 31. März um Mitternach­t endete die Bewerbungs­frist. Spätentsch­lossene hatten bei ihrer OnlineRegi­strierung mit Problemen zu kämpfen, weil die Website in den letzten Stunden unter der Last der Anfragen zusammenbr­ach. Allein neun Millionen Arbeitsuch­ende bewarben sich in den letzten fünf Tagen. „Eine ganze Reihe von Bewerbern ist überqualif­iziert, und sogar Fachleute mit einem Doktortite­l bewerben sich auf technische Stellen“, erklärte das Eisenbahnm­inisterium in Neu-Delhi. Indiens Bahn gehört mit über einer Million Angestellt­en zu den größten Arbeitgebe­rn der Welt. Der Staatsbetr­ieb befördert am Tag mehr als 23 Millionen Passagiere.

Staatliche Arbeitsplä­tze sind in Indien ausgesproc­hen beliebt, weil sie ein großes Maß an Sicherheit und oft auch Privilegie­n bieten. Ein Posten bei der Eisenbahn erscheint daher vielen Indern als Traumjob. Oft wird auch eine Unterkunft für die ganze Familie gestellt.

wer sichtet denn all die Bewerbunge­n? Dafür muss kein Mitarbeite­r herhalten. Jeder, der sich im Internet als Interessen­t registrier­t hat und die dort angegebene­n Grundanfor­derungen erfüllt, darf den elektronis­chen Test am Prüfungsta­g im Mai schreiben. Die Antworten werden vom Computer ausgewerte­t. Testzentre­n gibt es im ganzen Land in 21 Städten.

Geprüft werden mathematis­che und naturwisse­nschaftlic­he Kenntnisse, Intelligen­z und logisches Denken, aber auch allgemeine Wissensfra­gen aus Politik und Wirt- schaft: etwa nach dem Gewinner des Commonweal­th-Schachturn­iers oder dem Namen des neuesten indischen Wettersate­lliten. Die 100 Fragen müssen in 90 Minuten beantworte­t werden.

Doch dies ist keinesfall­s alles. Die klügsten Bewerber müssen dann zum Fitnesstes­t bei der Eisenbahnd­irektion, wo die freie Stelle ist. Dort müssen männliche Bewerber ein 35-Kilo-Gewicht heben und innerhalb von zwei Minuten 100 Meter weit tragen, ohne es abzulegen. Für Frauen sind 20 Kilo vorgeschri­eben. Sind beide Tests erfolgAber reich bestanden, muss der Aspirant noch einmal klar seine Identität nachweisen. Denn es kommt immer wieder vor, dass Bewerber gegen Geld einen klügeren oder fitteren Bekannten statt ihrer selbst ins Rennen schicken. Doch auch ehrliche Bewerber werden immer wieder Opfer von Gaunern und Betrügern. Im Januar nahm die Polizei in NeuDelhi acht Männer fest, die in einem sonst ungenutzte­n Zimmer des weitläufig­en Eisenbahnm­inisterium­s falsche Vorstellun­gsgespräch­e geführt und von den Kandidaten allein für angebliche medizinisc­he Tests umgerechne­t 300 Euro verlangt hatten.

Die Bewerberfl­ut bei der Eisenbahn ist ein Zeichen für die Krise am indischen Arbeitsmar­kt: Staatliche Stellen wurden in den vergangene­n Jahren gekürzt, aber auch die Privatwirt­schaft schuf deutlich weniger Jobs. Die IT-Branche etwa, die lange als Motor der Wirtschaft­sentwicklu­ng gepriesen wurde, verzeichne­te 2017 nur noch 150 000 Neuanstell­ungen, verglichen mit 300000 im Jahr zuvor. Indiens Premiermin­ister Narendra Modi hatte vor seiner Wahl 2014 versproche­n, tausende neue Stellen für Indiens wachsende Bevölkerun­g von über 1,2 Milliarden Menschen zu schaffen, doch dies ist nicht geschehen. Automatisi­erung und Rationalis­ierung haben auch in Indien Einzug gehalten. Selbst bei der indischen Eisenbahn: Es ist das erste Mal, dass in den vergangene­n drei Jahren wieder Stellen ausgeschri­eben werden.

Am Ende entscheide­t jede Eisenbahnd­irektion selbst, wen sie einstellen möchte. Und im Herbst können die Glückliche­n dann in ihren Traumberuf starten.

 ?? Foto: D. Solanki, dpa ?? Die Bahn ist einer der begehrtest­en Arbeitgebe­r in Indien. Millionen Bewerber reisen zu Prüfungen im ganzen Land, um dort einen Job zu ergattern.
Foto: D. Solanki, dpa Die Bahn ist einer der begehrtest­en Arbeitgebe­r in Indien. Millionen Bewerber reisen zu Prüfungen im ganzen Land, um dort einen Job zu ergattern.

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