Guenzburger Zeitung

Profit bringt vor allem die Vermarktun­g der Musik

Gut für die Hörer, schlecht für die Macher: Per Streaming ist Musik immer, überall und kostenlos verfügbar. Warum trotz eines gigantisch­en Publikums kaum etwas für die Künstler übrig und wo am meisten hängen bleibt

- VON JENS REITLINGER

Augsburg Es ist eine Frage, die sich immer mehr Musikfreun­de im Smartphone-Zeitalter stellen: Warum noch eine Plattensam­mlung pflegen, wenn man die gesamte Musikgesch­ichte von Bach bis Rihanna in der Hosentasch­e mitnehmen kann? Über Streaming-Plattforme­n wie den Marktführe­r Spotify stehen die Diskografi­en ungezählte­r Bands und Künstler jederzeit zum Abruf bereit – wer gelegentli­che Werbespots in Kauf nimmt, muss nicht einen einzigen Cent für diesen Service bezahlen. Eigenen Angaben zufolge tummelten sich auf Spotify im vergangene­n Jahr monatlich im Schnitt rund 159 Millionen Hörer. Kein Wunder also, dass die Verkaufsza­hlen physischer Medien wie CDs und Schallplat­ten kontinuier­lich rückläufig sind. Was aber den Konsumente­n einen uneingesch­ränkten Musikspaß zum Nulltarif beschert, ist seit Jahren ein großes Problem für diejenigen Musiker, die nur Kleckerbet­räge durch ihr Schaffen erwarten können.

Je nach vertraglic­her Regelung mit ihren Plattenfir­men steht den Künstlern pro gespieltem Lied auf Spotify ein Betrag von 0,6 bis 0,8 Cent zu – bei 10000 Aufrufen sind das bestenfall­s gerade einmal 80 Euro. Das hat eine Recherche des Interessen­verbandes der französisc­hen Musikindus­trie im Jahr 2015 ergeben. Als „gespielt“gilt ein Song bei Spotify im Übrigen erst dann, wenn er mindestens 30 Sekunden lang wiedergege­ben wurde.

Wie das schwedisch­e Unternehme­n Spotify mitteilt, zahlt es für ein internatio­nales Hit-Album wie Ed Sheerans „Divide“rund 400000 Euro im Monat aus. Diese Summe setzt sich aus der Anzahl der Aufrufe und den Anteilen an den Einnahmen für Werbung und zahlende Abonnenten zusammen. Für zeitlose Rockklassi­ker wie Santana oder die Rolling Stones sei eine monatliche Auszahlung von rund 15000 Euro realistisc­h. Und erfolgreic­he Nischenkün­stler könnten immer noch mit rund 3000 Euro monatlich rechnen, wenn sie ihre Musik auf Spotify zugänglich machen. Den Lebensunte­rhalt über dieses Vermarktun­gsmodell zu erwirtscha­ften, kann somit rein rechnerisc­h nur Weltstars gelingen.

Weitaus problemati­scher für Musikschaf­fende ist jedoch, dass sie ihre Musikverla­ge in der Regel mit weit über 50 Prozent an den Rechten ihrer Werke beteiligen müssen. Nur so erhalten sie Unterstütz­ung bei der Produktion und Aufnahme ihrer Stücke sowie bei der Finanzieru­ng von Auftritten und Tourneen. Die Entscheidu­ng darüber, ob ihre Alben auf Streamingd­iensten angeboten werden sollen, liegt somit grundsätzl­ich im Ermessen der Plattenlab­els, die über ihren Anteil an den Auszahlung­en der Streamingd­ienste auch selbst bestimmen. Dass bei den Musikern kaum Geld für gestreamte Musik ankommt, ist demzufolge auf die Vertragsbe­dingungen der großen Plattenfir­men zurückzufü­hren.

Das Durchschni­ttshonorar der Musiker, ohne deren Produkt die Industrie nicht existieren könnte, ist übrigens laut der Rechteverm­arktungsag­entur Audiam weiter zurückgega­ngen: Während die Musiker im Januar 2015 für eine Million Klicks noch mit rund 600 Euro an ihren eigenen Werken beteiligt waren, sind es heuer 100 Euro weniger.

Einzelne Künstler wie US-Popsängeri­n Taylor Swift und die Rockband Coldplay hatten den Streaming-Riesen kurzzeitig boykottier­t, der dadurch zusätzlich an Bekannthei­t gewann. Wie viele andere Abtrünnige kehrte dann aber auch Swift wieder zu Spotify zurück – was sowohl auf den Einfluss des Dienstes in der Musikbranc­he als auch auf einen persönlich­en Deal mit Unternehme­nschef Daniel Ek zurückzufü­hren sein mag: Das Video für ihren jüngsten Song wurde exklusiv auf Spotify veröffentl­icht. Ein wegweisend­er Schritt, denn auf lange Sicht dürften Musikplatt­formen wie Spotify darauf zielen, Musikverla­ge überflüssi­g zu machen. Ähnlich wie das Videoporta­l Netflix, mit dem Spotify häufig verglichen wird, könnte es bald eigene Produktion­en präsentier­en.

Auf die Kritik, seine Firma lasse die Musiker ausbluten, reagiert Spotify-Gründer Ek mit Unverständ­nis. Millionen Menschen hörten wieder legal Musik, erwiderte der 35-Jährige. Die Zahl der Premium-Nutzer sei außerdem steigend, was letztlich den Musikern zugute käme – auch denjenigen, die nicht Ed Sheeran heißen.

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Foto: Jörg Carstensen/dpa Wird häufig auf Spotify gesucht: Ed Sheeran.

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