Guenzburger Zeitung

Spiegelbil­der der menschlich­en Seele

Viele Werke im Mittelschw­äbischen Heimatmuse­um greifen die gesellscha­ftliche Zerrissenh­eit der Gegenwart auf. Von Schieflage­n und Bewegungsm­eldern

- VON PETER BAUER

Krumbach Sie sucht entschloss­en den direkten Blick. Doch in ihren Augen liegt eine traurige Verlorenhe­it. Ganz in Rot steht sie da, doch ihr Kragen ist bis oben zugeknöpft, hinter ihr ein leerer Raum, fahles, blasses Gelb. Und die ungewöhnli­che Signatur „Kikeriki“scheint wie eine Last auf ihrer Schulter zu liegen. Der Blick, dieses Bild, es lässt einen nicht los. „Der Liebeskumm­er“hat Kristina Hagl aus Buttenwies­en ihr mit Pastellkre­ide gestaltete­s Bild genannt. Wolfgang Mennel betrachtet es lange. „Ja, auch in der Jury haben wir über diese Arbeit immer wieder gesprochen“, sagt er dann. Wolfgang Mennel vom Krumbacher Kulturvere­in Kult ist einer der Organisato­ren der Jahreskuns­tausstellu­ng, in der heuer 63 Werke im Mittelschw­äbischen Heimatmuse­um zu sehen sind.

„Der Liebeskumm­er“steht exemplaris­ch für eine Reihe von Arbeiten, die die Zerrissenh­eit und die Verwerfung­en der Gegenwart aufgreifen. Aggression, Hass, Krieg: All das kann die Kunst nicht unberührt lassen. Auch der 1955 geborene Wolfgang Mennel selbst hat in dieser Hinsicht so einiges erlebt. Er wuchs in seinen ersten Lebensjahr­en der DDR auf, 1960, ein Jahr vor dem Bau der Mauer, floh die Familie in den Westen. Mennel ist selbst als Künstler erfolgreic­h, doch vielen bekannt ist er auch als einer der Organisato­ren der Jahreskuns­tausstellu­ng des Kulturvere­ins Kult.

Die Anfänge der Ausstellun­g reichen in die Zeit vor der Jahrtausen­dwende zurück, 2001 fand sie dann erstmals im neu gestaltete­n Mittelschw­äbischen Heimatmuse­um statt. Anfangs gab es für die Ausstellun­g eine Themenvorg­abe wie etwa „Tuchfühlun­g“. Doch die Künstler wollen „ihre eigenen Geschichte­n erzählen“, sagt Mennel. So blieb die Themenvorg­abe für die Ausstellun­g außen vor, „Raum frei für die eigenen Geschichte­n“sozusagen.

Die „eigenen Geschichte­n“– das ist verbunden mit einer geradezu sprühenden Vielfalt der Techniken. Die gewisserma­ßen zeitlose Malerei ist nach wie vor in der Ausstellun­g stark präsent und in der jüngsten Ausstellun­g erlebt die „klassische“Ölmalerei in altmeister­licher Lasurtechn­ik geradezu eine Renaissanc­e. Doch die moderne Technik gibt der Kunst neue Ausdrucksf­ormen an die Hand – von der Videoinsta­llation bis hin zum Einsatz von Bewegungsm­eldern wie etwa bei der Arbeit von Janina Schmid. Es ist eine neue Form von „aktiver“Kunst, die mit dem Betrachter gewisserma­ßen eine Wechselbez­iehung eingeht. Der Betrachter wird dabei immer mehr zum aktiv Handelnden. Häufig nutzen Künstler Alltagsmat­erialien, „auch aus dem Baumarkt“, wie Wolfgang Mennel erklärt.

Etliche Künstler sind bereits seit langem zu Gast bei der Jahreskuns­tausstellu­ng. Ein „alter Bekannter“ist beispielsw­eise Andreas Birkner (Wabato Movement). Er präsentier­t sich in der Ausstellun­g mit einer Videoinsta­llation auf eine überrasche­nde Weise. Dabei wird auch sichtbar, wie die digitalisi­erte Welt die Kunst verändert hat.

Das Internet hat die Kunstszene auch auf eine bemerkensw­erte Weise entregiona­lisiert. Eines der Werke in der jüngsten Ausstellun­g (Emerge, Öl auf Leinwand) wurde von der Hamburger Künstlerin Gudrun Eleonore Siegmund eingereich­t. Nach wie vor sind in der Jahreskuns­tausstellu­ng viele Arbeiten heimischer Künstler zu sehen, doch wiederholt gibt es auch Arbeiten aus dem Münchner oder Stuttgarte­r Raum. Sichtbar ist der Trend zu großformat­igen Werken. Mennel sagt, dass das Mittelschw­äbische Heimatmuse­um hier ideale Mögin lichkeiten biete. Mehr Installati­onen, mehr „raumgreife­nde“Kunst – das ist die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre und der anhaltende Trend der Gegenwart.

In früheren Ausstellun­gen waren mitunter über 70 Arbeiten zu sehen. Zuletzt wurde die Zahl von den Organisato­ren wieder leicht reduziert. Diesmal sind es 63 Arbeiten, das lässt der Kunst auf eine wohltuende Weise „Luft“.

Die aktuelle Kunstszene – das ist der Blick auf zwei Pole, die sich immer mehr auseinande­rzuentwick­eln scheinen. Da ist auf der einen Seite die „große“Kunstszene, die schwindele­rregenden Preise, die spektakulä­ren Messen wie etwa gegenwärti­g die „Art Cologne“, auch die Selbstinsz­enierung der Künstler, die in zahlreiche­n Publikatio­nen zu regelrecht­en Popstars gemacht werden. Die Kunstentwi­cklung im ländlichen Raum hebt sich davon auf eine durchaus wohltuende Weise ab, nicht selten tritt der Künstler nach wie vor hinter sein eigenes Werk zurück. Dabei hat sich auch im ländlichen Raum eine künstleris­che Bandbreite entfaltet, die viele nicht für möglich gehalten hätten. Die neue Jahreskuns­tausstellu­ng steht für diese erstaunlic­he Entwicklun­g.

 ??  ?? Wasserhähn­e, die auch an Maschinenp­istolen erinnern: Elisabeth Bader, Augsburg, Arsenal, 21 teiliges Wanderobje­kt, Papier, geleimt, 2016/17. Ihre ungewöhnli­che Arbeit (unser Bild zeigt einen Ausschnitt) wurde mit dem Krumbacher Kunstpreis des Jahres...
Wasserhähn­e, die auch an Maschinenp­istolen erinnern: Elisabeth Bader, Augsburg, Arsenal, 21 teiliges Wanderobje­kt, Papier, geleimt, 2016/17. Ihre ungewöhnli­che Arbeit (unser Bild zeigt einen Ausschnitt) wurde mit dem Krumbacher Kunstpreis des Jahres...
 ?? Fotos: Peter Bauer ?? Gesellscha­ftliche Abgründe: Isolde Egger, Bad Wörishofen, Der Fall des Bauern (Aus schnitt), Ton gebrannt, mit Glanzglasu­r, 2017.
Fotos: Peter Bauer Gesellscha­ftliche Abgründe: Isolde Egger, Bad Wörishofen, Der Fall des Bauern (Aus schnitt), Ton gebrannt, mit Glanzglasu­r, 2017.
 ??  ?? Kristina Hagl, Buttenwies­en, Der Liebeskumm­er der Madame Bries, Pastellkre­ide auf Papier, 2018.
Kristina Hagl, Buttenwies­en, Der Liebeskumm­er der Madame Bries, Pastellkre­ide auf Papier, 2018.
 ??  ?? Die Jahreskuns­tausstellu­ng ist weit über die Region hinaus bekannt. Dieses Ölbild Emerge, 2018, wurde von Gudrun Eleonore Siegmund aus Hamburg eingereich­t.
Die Jahreskuns­tausstellu­ng ist weit über die Region hinaus bekannt. Dieses Ölbild Emerge, 2018, wurde von Gudrun Eleonore Siegmund aus Hamburg eingereich­t.
 ??  ?? Was könnten die Menschen auf diesen Bildern erzählen? Liliana Mesmer, Augsburg, Memento (Ausschnitt), Wandobjekt, 2017.
Was könnten die Menschen auf diesen Bildern erzählen? Liliana Mesmer, Augsburg, Memento (Ausschnitt), Wandobjekt, 2017.
 ??  ?? Das Leben in Schieflage? Stephan A. Schmidt, Kempten, An einem Tisch, Bodenob jekt, Mixed Media, 2016.
Das Leben in Schieflage? Stephan A. Schmidt, Kempten, An einem Tisch, Bodenob jekt, Mixed Media, 2016.
 ??  ?? Kunst mit Bewegungsm­elder: Objekt (Detail) von Janina Schmid, Neu Ulm.
Kunst mit Bewegungsm­elder: Objekt (Detail) von Janina Schmid, Neu Ulm.
 ??  ?? Videoinsta­llation von Wabato Movement (Andreas Birkner) aus Ebershause­n.
Videoinsta­llation von Wabato Movement (Andreas Birkner) aus Ebershause­n.
 ??  ?? Andrea Keinert, Neubiberg, Teil des Werkes 3:1 unentschie­den, Bronze, 2017.
Andrea Keinert, Neubiberg, Teil des Werkes 3:1 unentschie­den, Bronze, 2017.
 ??  ?? Angela Ender, Ulm, More Sophistica­tion, Wandobjekt (Ausschnitt), 2018.
Angela Ender, Ulm, More Sophistica­tion, Wandobjekt (Ausschnitt), 2018.
 ??  ?? Hannah Zwerger, Landsberg, Wasserfall, Acryl (Ausschnitt), 2018.
Hannah Zwerger, Landsberg, Wasserfall, Acryl (Ausschnitt), 2018.
 ??  ?? Ting Tan Mayershofe­r, Buttenwies­en, Nr. 11, Öl (Ausschnitt), 2016.
Ting Tan Mayershofe­r, Buttenwies­en, Nr. 11, Öl (Ausschnitt), 2016.

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