Spiegelbilder der menschlichen Seele
Viele Werke im Mittelschwäbischen Heimatmuseum greifen die gesellschaftliche Zerrissenheit der Gegenwart auf. Von Schieflagen und Bewegungsmeldern
Krumbach Sie sucht entschlossen den direkten Blick. Doch in ihren Augen liegt eine traurige Verlorenheit. Ganz in Rot steht sie da, doch ihr Kragen ist bis oben zugeknöpft, hinter ihr ein leerer Raum, fahles, blasses Gelb. Und die ungewöhnliche Signatur „Kikeriki“scheint wie eine Last auf ihrer Schulter zu liegen. Der Blick, dieses Bild, es lässt einen nicht los. „Der Liebeskummer“hat Kristina Hagl aus Buttenwiesen ihr mit Pastellkreide gestaltetes Bild genannt. Wolfgang Mennel betrachtet es lange. „Ja, auch in der Jury haben wir über diese Arbeit immer wieder gesprochen“, sagt er dann. Wolfgang Mennel vom Krumbacher Kulturverein Kult ist einer der Organisatoren der Jahreskunstausstellung, in der heuer 63 Werke im Mittelschwäbischen Heimatmuseum zu sehen sind.
„Der Liebeskummer“steht exemplarisch für eine Reihe von Arbeiten, die die Zerrissenheit und die Verwerfungen der Gegenwart aufgreifen. Aggression, Hass, Krieg: All das kann die Kunst nicht unberührt lassen. Auch der 1955 geborene Wolfgang Mennel selbst hat in dieser Hinsicht so einiges erlebt. Er wuchs in seinen ersten Lebensjahren der DDR auf, 1960, ein Jahr vor dem Bau der Mauer, floh die Familie in den Westen. Mennel ist selbst als Künstler erfolgreich, doch vielen bekannt ist er auch als einer der Organisatoren der Jahreskunstausstellung des Kulturvereins Kult.
Die Anfänge der Ausstellung reichen in die Zeit vor der Jahrtausendwende zurück, 2001 fand sie dann erstmals im neu gestalteten Mittelschwäbischen Heimatmuseum statt. Anfangs gab es für die Ausstellung eine Themenvorgabe wie etwa „Tuchfühlung“. Doch die Künstler wollen „ihre eigenen Geschichten erzählen“, sagt Mennel. So blieb die Themenvorgabe für die Ausstellung außen vor, „Raum frei für die eigenen Geschichten“sozusagen.
Die „eigenen Geschichten“– das ist verbunden mit einer geradezu sprühenden Vielfalt der Techniken. Die gewissermaßen zeitlose Malerei ist nach wie vor in der Ausstellung stark präsent und in der jüngsten Ausstellung erlebt die „klassische“Ölmalerei in altmeisterlicher Lasurtechnik geradezu eine Renaissance. Doch die moderne Technik gibt der Kunst neue Ausdrucksformen an die Hand – von der Videoinstallation bis hin zum Einsatz von Bewegungsmeldern wie etwa bei der Arbeit von Janina Schmid. Es ist eine neue Form von „aktiver“Kunst, die mit dem Betrachter gewissermaßen eine Wechselbeziehung eingeht. Der Betrachter wird dabei immer mehr zum aktiv Handelnden. Häufig nutzen Künstler Alltagsmaterialien, „auch aus dem Baumarkt“, wie Wolfgang Mennel erklärt.
Etliche Künstler sind bereits seit langem zu Gast bei der Jahreskunstausstellung. Ein „alter Bekannter“ist beispielsweise Andreas Birkner (Wabato Movement). Er präsentiert sich in der Ausstellung mit einer Videoinstallation auf eine überraschende Weise. Dabei wird auch sichtbar, wie die digitalisierte Welt die Kunst verändert hat.
Das Internet hat die Kunstszene auch auf eine bemerkenswerte Weise entregionalisiert. Eines der Werke in der jüngsten Ausstellung (Emerge, Öl auf Leinwand) wurde von der Hamburger Künstlerin Gudrun Eleonore Siegmund eingereicht. Nach wie vor sind in der Jahreskunstausstellung viele Arbeiten heimischer Künstler zu sehen, doch wiederholt gibt es auch Arbeiten aus dem Münchner oder Stuttgarter Raum. Sichtbar ist der Trend zu großformatigen Werken. Mennel sagt, dass das Mittelschwäbische Heimatmuseum hier ideale Mögin lichkeiten biete. Mehr Installationen, mehr „raumgreifende“Kunst – das ist die Entwicklung der vergangenen Jahre und der anhaltende Trend der Gegenwart.
In früheren Ausstellungen waren mitunter über 70 Arbeiten zu sehen. Zuletzt wurde die Zahl von den Organisatoren wieder leicht reduziert. Diesmal sind es 63 Arbeiten, das lässt der Kunst auf eine wohltuende Weise „Luft“.
Die aktuelle Kunstszene – das ist der Blick auf zwei Pole, die sich immer mehr auseinanderzuentwickeln scheinen. Da ist auf der einen Seite die „große“Kunstszene, die schwindelerregenden Preise, die spektakulären Messen wie etwa gegenwärtig die „Art Cologne“, auch die Selbstinszenierung der Künstler, die in zahlreichen Publikationen zu regelrechten Popstars gemacht werden. Die Kunstentwicklung im ländlichen Raum hebt sich davon auf eine durchaus wohltuende Weise ab, nicht selten tritt der Künstler nach wie vor hinter sein eigenes Werk zurück. Dabei hat sich auch im ländlichen Raum eine künstlerische Bandbreite entfaltet, die viele nicht für möglich gehalten hätten. Die neue Jahreskunstausstellung steht für diese erstaunliche Entwicklung.