Computer Pionier wird 106
Wilfried de Beauclair ist nicht nur der älteste Ulmer, sondern auch der wohl älteste Miterfinder der automatisierten Rechentechnik in ganz Deutschland
Ulm „Rechnen mit Maschinen“heißt ein Standardwerk, das Wilfried de Beauclair vor über 40 Jahren schrieb. Nun feierte der Computerpionier der ersten Generation seinen 106. Geburtstag. Wer sich mit dem ältesten Ulmer Bürger unterhalten will, muss laut und deutlich seine Fragen formulieren. Und bekommt klare und präzise Antworten. Als seinen Freund bezeichnet etwa de Beauclair Konrad Zuse, den Erfinder des ersten vollautomatischen, programmgesteuerten und frei programmierbaren Computers. Lange Jahre arbeitete de Beauclair mit dem nur zwei Jahre älteren, 1995 gestorbenen Zuse zusammen.
Als einer der ersten Ingenieure beschäftigte sich de Beauclair am Institut für Praktische Mathematik (IPM) mit der Lochstreifenprogrammierung, einer der ersten Datenspeicher der Computergeschichte. So kam 1942 der Kontakt mit dem Computerpionier Zuse zustande, für dessen Computer das IPM die Stanzgeräte lieferte. „Ohne besondere Absicht“habe de Beauclair nach eigenem Bekunden an der ersten Rechenmaschine mitgearbeitet. „Mir war nur klar, dass Mathematik aus mehr als Addition und Subtraktion besteht.“Auch wenn de Beauclair in Sachen Binärcode, der Grundlage aller Computer, Grundlagenarbeit leistete, staunt er heute über die Entwicklungen, für die er mithalf, den Weg zu ebnen: „Ich komm’ heut’ mit der modernen Technik nicht mehr mit“, sagt de Beauclair, der im Rollstuhl sitzt.
Aber er nutzt sie gerne: Auf seinem nagelneuen Flachbildfernseher schaue er mit Begeisterung Dokumentationen über Natur und fremde Völker an. Ein Geheimnis, wie man so alt werden kann, habe er nichtpreiszugeben. „Ich habe nie Sport getrieben“, sagt er und nippt an einem Glas Sekt-Orange. Obwohl das auch nicht ganz richtig sei. Denn in den 1940er-Jahren habe er viel auf dem Altrhein bei Darmstadt gepaddelt. Bevor der Rechenkünstler 2004 nach Blaustein-Herrlingen zog, lebte er lange Jahre in Hessen. Aufgewachsen ist der 1912 geborene de Beauclair allerdings in der Schweiz auf dem Monte Verità bei Ascona. Im Jahr 1920 zogen die Söhne mit ihrer Mutter zurück nach Darmstadt, wo die Eltern ursprünglich herstammten. Auch wenn zwei Partnerinnen des Jubilars bereits starben, ist er an seinem Geburtstag nicht alleine im Clarissenhof: Er hat vier Enkelkinder, die alle in Ulm geboren wurden und ihn zum Essen ausführen.
Ulms Oberbürgermeister Czisch bezeichnete den Computerpionier, bei seinem Geburtstagsbesuch im Söflinger Seniorenheim Clarissenhof, als Jungbürger. Schließlich wohnt der 106-Jährige erst seit acht Monaten in Ulm, vorher war er bei seiner Tochter in Herrlingen untergebracht. Am Revers trägt der Computerpionier ein funkelndes Schmuckstück: den Prochorov-Orden der International Informatization Academy aus Moskau, der ihm 2002 im Deutschen Museum in München verliehen wurde.
Seine Kontakte nach Russland ergaben sich automatisch. Die „Rechentechnik“war früher ein kleiner, elitärer Kreis. „Ich hatte mit allen zu tun“, sagt de Beauclair, der zudem vom renommierten Moskauer Institut für Radiotechnik, Elektronik und Automatisierung den Titel eines Professors ehrenhalber verliehen bekam.
„Er hatte immer eine positive Grundstimmung“, sagt seine Tochter Beate de Beauclair über ihren Vater. Trotz einiger Schicksalsschläge, wie einer schweren Tuberkulose-Erkrankung in den Nachkriegsjahren, habe er niemals den Mut verloren. „Ich komme Sie jetzt jedes Jahr besuchen“, sagt Stadtoberhaupt Czisch und erzählt von seinem ersten Computer: ein Schneider-Modell. „Heute kann jedes Telefon mehr“, sagt Czisch und de Beauclair lacht.
Sport hat er eigentlich nie getrieben