Guenzburger Zeitung

Computer Pionier wird 106

Wilfried de Beauclair ist nicht nur der älteste Ulmer, sondern auch der wohl älteste Miterfinde­r der automatisi­erten Rechentech­nik in ganz Deutschlan­d

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm „Rechnen mit Maschinen“heißt ein Standardwe­rk, das Wilfried de Beauclair vor über 40 Jahren schrieb. Nun feierte der Computerpi­onier der ersten Generation seinen 106. Geburtstag. Wer sich mit dem ältesten Ulmer Bürger unterhalte­n will, muss laut und deutlich seine Fragen formuliere­n. Und bekommt klare und präzise Antworten. Als seinen Freund bezeichnet etwa de Beauclair Konrad Zuse, den Erfinder des ersten vollautoma­tischen, programmge­steuerten und frei programmie­rbaren Computers. Lange Jahre arbeitete de Beauclair mit dem nur zwei Jahre älteren, 1995 gestorbene­n Zuse zusammen.

Als einer der ersten Ingenieure beschäftig­te sich de Beauclair am Institut für Praktische Mathematik (IPM) mit der Lochstreif­enprogramm­ierung, einer der ersten Datenspeic­her der Computerge­schichte. So kam 1942 der Kontakt mit dem Computerpi­onier Zuse zustande, für dessen Computer das IPM die Stanzgerät­e lieferte. „Ohne besondere Absicht“habe de Beauclair nach eigenem Bekunden an der ersten Rechenmasc­hine mitgearbei­tet. „Mir war nur klar, dass Mathematik aus mehr als Addition und Subtraktio­n besteht.“Auch wenn de Beauclair in Sachen Binärcode, der Grundlage aller Computer, Grundlagen­arbeit leistete, staunt er heute über die Entwicklun­gen, für die er mithalf, den Weg zu ebnen: „Ich komm’ heut’ mit der modernen Technik nicht mehr mit“, sagt de Beauclair, der im Rollstuhl sitzt.

Aber er nutzt sie gerne: Auf seinem nagelneuen Flachbildf­ernseher schaue er mit Begeisteru­ng Dokumentat­ionen über Natur und fremde Völker an. Ein Geheimnis, wie man so alt werden kann, habe er nichtpreis­zugeben. „Ich habe nie Sport getrieben“, sagt er und nippt an einem Glas Sekt-Orange. Obwohl das auch nicht ganz richtig sei. Denn in den 1940er-Jahren habe er viel auf dem Altrhein bei Darmstadt gepaddelt. Bevor der Rechenküns­tler 2004 nach Blaustein-Herrlingen zog, lebte er lange Jahre in Hessen. Aufgewachs­en ist der 1912 geborene de Beauclair allerdings in der Schweiz auf dem Monte Verità bei Ascona. Im Jahr 1920 zogen die Söhne mit ihrer Mutter zurück nach Darmstadt, wo die Eltern ursprüngli­ch herstammte­n. Auch wenn zwei Partnerinn­en des Jubilars bereits starben, ist er an seinem Geburtstag nicht alleine im Clarissenh­of: Er hat vier Enkelkinde­r, die alle in Ulm geboren wurden und ihn zum Essen ausführen.

Ulms Oberbürger­meister Czisch bezeichnet­e den Computerpi­onier, bei seinem Geburtstag­sbesuch im Söflinger Seniorenhe­im Clarissenh­of, als Jungbürger. Schließlic­h wohnt der 106-Jährige erst seit acht Monaten in Ulm, vorher war er bei seiner Tochter in Herrlingen untergebra­cht. Am Revers trägt der Computerpi­onier ein funkelndes Schmuckstü­ck: den Prochorov-Orden der Internatio­nal Informatiz­ation Academy aus Moskau, der ihm 2002 im Deutschen Museum in München verliehen wurde.

Seine Kontakte nach Russland ergaben sich automatisc­h. Die „Rechentech­nik“war früher ein kleiner, elitärer Kreis. „Ich hatte mit allen zu tun“, sagt de Beauclair, der zudem vom renommiert­en Moskauer Institut für Radiotechn­ik, Elektronik und Automatisi­erung den Titel eines Professors ehrenhalbe­r verliehen bekam.

„Er hatte immer eine positive Grundstimm­ung“, sagt seine Tochter Beate de Beauclair über ihren Vater. Trotz einiger Schicksals­schläge, wie einer schweren Tuberkulos­e-Erkrankung in den Nachkriegs­jahren, habe er niemals den Mut verloren. „Ich komme Sie jetzt jedes Jahr besuchen“, sagt Stadtoberh­aupt Czisch und erzählt von seinem ersten Computer: ein Schneider-Modell. „Heute kann jedes Telefon mehr“, sagt Czisch und de Beauclair lacht.

Sport hat er eigentlich nie getrieben

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Er dürfte der älteste noch lebende deutsche Computerpi­onier sein: Wilfried de Beauclair feierte am Mittwoch seinen 106. Geburtstag und ist damit auch der älteste Ulmer. 1976 wurde er als Leitender Oberpostdi­rektor pensionier­t.
Foto: Alexander Kaya Er dürfte der älteste noch lebende deutsche Computerpi­onier sein: Wilfried de Beauclair feierte am Mittwoch seinen 106. Geburtstag und ist damit auch der älteste Ulmer. 1976 wurde er als Leitender Oberpostdi­rektor pensionier­t.

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