Mehr als clever
Bei den Schmiders aus Langenhaslach sind alle drei Kinder hochbegabt. Mit welchen Problemen die Familie zu kämpfen hatte und warum es Kinder mit einem hohen Intelligenzquotienten an der Grundschule Wasserburg leichter haben
Langenhaslach Als ihr ältester Sohn in der Grundschule allen anderen Kindern immer einen Tick voraus war, hat sich Silvera Schmider noch nicht viel dabei gedacht. Die heute 42-Jährige aus Langenhaslach hielt ihren Buben für einen, der halt schneller kapierte und lernte, der „einfach clever“war. Erst im Gymnasium, als sich ihr Sohn im Unterricht langweilte, sich unterfordert fühlte, ließ sie ihn testen – er war hochbegabt. Vor allem in Mathematik sprengte er jeglichen Rahmen. Doch es blieb nicht bei einem Kind mit hohem Intelligenzquotienten (IQ). Auch Kind Nummer zwei und drei erwiesen sich als kleine Genies. Alle haben schon eine Klasse übersprungen. „Uns hat es gleich dreimal erwischt“, sagt Silvera Schmider und spricht von Segen und Fluch zugleich. Höhen und Tiefen hat die Familie in den vergangenen Jahren durchlebt. Und weil die Schmiders wissen, wie es sich anfühlt, von anderen schief angeschaut, als „nicht normal“oder als überehrgeizig betrachtet zu werden, haben sie jetzt einen Stammtisch für „Gleichgesinnte“ins Leben gerufen. Heute Abend können sich die Eltern hochbegabter Kinder aus den Kreisen Günzburg und Neu-Ulm bei einem Treffen austauschen.
Die Namen ihrer Kinder möchten Silvera und ihr Mann Thomas Schmider lieber nicht in der Zeitung lesen. Zu viel haben sie in den vergangenen Jahren mitgemacht, die Kinder wollen sie so weit wie möglich schützen. Der Weg, sich als Eltern dreier Hochbegabter zu „outen“, sei kein leichter gewesen, das erfordere durchaus Mut. „Wir wollten solange warten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, bis unsere Kinder aus dem Gröbsten heraus sind“, sagt Silvera Schmider. Aber sie wollte das Thema unbedingt auf den Tisch bringen – um anderen Betroffenen Mut zu machen, Erfahrungen mit ihnen austauschen zu können, nach Lösungen zu suchen. Diese Möglichkeit hatte es bisher nicht gegeben, zwischen Stuttgart und Augsburg war, was das Thema Hochbegabung angeht, ein schwarzes Loch auf der Landkarte.
Eigentlich sollte man meinen, dass Hochbegabung etwas Tolles ist und auch in der Gesellschaft so gesehen wird. Doch das ist nicht immer der Fall. Schulamtsdirektor Josef Seibold weiß aus Erfahrung, dass hochbegabte Kinder entweder als Streber, Besserwisser oder Störenfriede abgetan werden. „Ihre Eltern müssen sie gut stützen. Sie sind nicht zu beneiden. Das ist oft ein schmerzvoller Weg.“Das können die Schmiders durchaus bestätigen. Als erst der Sohn, dann auch noch die Tochter eine Klasse übersprang, kochte in dem Ortsteil der Gemeinde Neuburg an der Kammel schnell die Gerüchteküche hoch. Die Familie sei anders, „nicht normal“. „Die Eltern müssen ihre Kinder ganz
triezen, haben wir zu hören bekommen“, weiß die 42-Jährige noch zu gut. Dabei sei das gar nicht nötig gewesen. Der älteste Sohn, inzwischen 14 Jahre alt, verlangte von sich aus nach „Futter“, also nach Lernstoff, klemmte sich hinter den Computer und saugte alles auf, was er fand. „Wir haben ihn lediglich unterstützt“, erzählt Vater Thomas Schmider. Auch emotional, denn das Überspringen einer Klasse verlange vom Kind ganz schön viel Mut und Reife. Schulamtsdirektor Seibold sagt, dass die emotional-physischen Fähigkeiten oft nicht mit den kognitiven mithalten. Schließlich ist es nicht einfach, sich plötzlich unter fremden Schülern wiederzufinden, die längst ihren Freundeskreis haben und noch dazu alle älter sind. Der Sohn hat sich daran gewöhnt, immer der Jüngste zu sein. Jetzt nach den Osterferien startet er gar ein Frühstudium Informatik. Einmal in der Woche besucht er statt der Schule die Uni Augsburg.
Wissensdurst und gute Noten
sind in der Familie nichts Ungewöhnliches. Thomas Schmider, 51, gelernter Diplom-Heilpädagoge, hat selbst ein Einser-Studium hingelegt, seine Frau Silvera, Familienkrankenschwester für die Landkreise Günzburg und Neu-Ulm und therapeutische Seelsorgerin, hat problemlos sieben Instrumente erlernt.
Kein Wunder also, wenn auch die inzwischen elfjährige Tochter hochbegabt ist. Wobei die Eltern es von ihr zunächst gar nicht vermutet hatten. Sie habe zwar früh einen gewaltigen Wortschatz gehabt, den sie aber nicht artikulieren konnte. Sie habe so undeutlich gesprochen, dass nur die eigene Mutter sie verstand. Weil sie offenbar schneller dachte als die Zunge nachkam, musste ihr ein Logopäde nachhelfen. Um sicherzugehen, dass sie im Unterricht nicht überfordert ist, machten die Eltern einen IQ-Test. Und der überraschte dann doch alle: Die Tochter verfügte über einen ungewöhnlich hohen Intelligenzquotienschön
ten. Und bekam zum Glück große Unterstützung von ihrer damaligen Lehrerin. „Es lief super, wie man es sich von einem Pädagogen nur wünschen kann“, erzählt die Mutter. Die Folge: Im Halbjahr der dritten Klasse wechselte die Kleine in die vierte. Jetzt ist sie in der siebten, von den Schulnoten her sei sie keine Überfliegerin. Silvera Schmider erzählt, dass die Tochter zwar alles sehr schnell auffasst, aber auch schnell wieder abschaltet, weil es ihr zu langsam vorwärtsgeht. „Dann passt sie nicht auf, fällt in Tiefschlaf und verpasst viel.“Sie selbst setzt die Tochter deshalb nicht unter Druck, „Schulnoten beeindrucken uns nicht, das sind nur Momentaufnahmen.“
Die Unterstützung, die die ersten zwei Kinder in der Schule bekamen, fehlte den Schmiders dann beim dritten Kind. Die Eltern ahnten es schon: „Wenn zwei hochbegabt sind, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass auch der Dritte betroffen oder besser beschenkt ist“. Genauso war es. Mit sechs Jahren IQ-Test – hochbegabt. Und dann begann die „Leidenszeit“, wie es Silvera Schmider ausdrückt. Dem Jüngsten gefiel es in der Schule überhaupt nicht. „Nach den Herbstferien wollte er nicht mehr“, erinnert sie sich. Die Lehrerin habe ihr mitgeteilt, dass ihr Sohn zu langsam sei, für alles viel länger brauche als die anderen. Die Mutter weiß, dass sich der Sohnemann gerne an Details aufhängt, alles hinterfragt. Vor allem sei er sehr sensibel und habe sich schließlich für dumm gehalten. Ein Gefühl, das viele hochbegabte Schüler entwickeln. Den Jüngsten der Schmiders überkam es besonders in der vierten Klasse. Mit der neuen Mathelehrerin kam er nicht zurecht, die Noten gingen nach unten, der Bub war oft krank. „Wir konnten nichts tun, nur versuchen, Brücken zu bauen zwischen Kind und Lehrer“, sagt die therapeutische Seelsorgerin. „Aber das Verständnis hat leider manchmal gefehlt.“
Auf einmal nicht mehr alleine gefühlt
Verständnis haben die Schmiders bei einem Treffen der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) in Augsburg erfahren. Dort sind sie erstmals auf andere Eltern von Hochbegabten gestoßen und haben sich auf einmal nicht mehr allein gefühlt. „Das war herrlich“, sagt das Ehepaar unisono. Und weil es einen solchen Stammtisch in der Region nicht gab, haben die zwei jetzt ihren eigenen ins Leben gerufen. Sie legen Wert darauf, dass es keine Selbsthilfegruppe ist, „wo man sich bemitleidet und seine Wunden leckt“. Es gehe hier auch nicht um „Lehrerbashing“, also das Beschimpfen von Pädagogen. Gemeinsam mit Fachleuten und Schulpsychologen sollen Lösungen gefunden werden. „Die Gesellschaft muss schauen, dass sie nicht nur die Schwachen fördert. Sie muss auch Räume schaffen, in denen Begabte ihre Stärken ausleben können.“
Genau damit sprechen sie Markus Mayer aus der Seele. Er nimmt regelmäßig an dem Elternstammtisch teil und kann dort mit seinen Pfunden wuchern: Er ist Rektor der Grund- und Mittelschule Wasserburg, die seit September neben der Realschule in Ichenhausen eine von 300 Modellschulen für Hochbegabtenförderung in ganz Deutschland ist. Sie punktete bei der Bewerbung als flexible Grundschule, die auch Kombiklassen bietet. „Wir können die Kinder individuell fördern und sie auch ganz einfach springen lassen“, sagt Mayer. Hier gibt es Kooperationen mit Firmen und Vereinen und spezielle Angebote über den Unterricht hinaus. Im Bereich Physik und Technik vermitteln ehemalige Handwerksmeister praktisches Wissen. Mayer: „Hochbegabung wird ein immer stärkeres Thema. Wir sind schon gut aufgestellt, aber wir sehen noch einige Ansatzpunkte.“