Im Höhenflug
Ein K!ar.Texter hat zwei Jugendliche beim Parkour in Günzburg begleitet. Was sie antreibt, durch die Stadt zu springen
Günzburg Ein bisschen wie Spiderman hockt Kevin auf dem Geländer einer Treppe, die einige Meter in die Tiefe führt. Konzentriert blickt der junge Mann mit Lockenkopf und athletischem Körperbau auf sein ausgemachtes Ziel. Dann springt er mit beiden Beinen ab, um das über zwei Meter entfernte Geländer auf der anderen Seite zu erreichen. Ohne zu straucheln landet er sicher im Stand. Er steigt ab, rennt über die Straße und klettert eine Mauer hoch. Kevin Kusterer deutet an, was er alles draufhat. Seit vier Jahren macht er Parkour. „Man versucht auf effizientestem Wege von A nach B zu kommen“, erklärt der 16-Jährige aus Jettingen. Mauern, Treppen und Abgründe dürfen hierfür kein Hindernis darstellen.
Gelernt hat er es bei Philipp Wilhelm. Der Rettenbacher ist bereits seit acht Jahren in der Szene aktiv und hat sich vieles durch Youtube-Videos angeeignet. Mittlerweile konnte der 19-Jährige einige Mitstreiter finden, sodass sie oft in einer fünf- bis siebenköpfigen Gruppe trainieren können; im Sommer teils bis zu sechs Stunden. Anfängern müssen sie immer klarmachen: Bei Parkour macht man keine Saltos. Derlei Tricks gehören zu Free Running und damit zu einer anderen Disziplin. Das können die Jungs auch. Sie konzentrieren sich aber in erster Linie auf Parkour. Philipp fasst zusammen: „Saltos machen wir nur zum Chillen.“
Um sich mit anderen zu treffen, fahren sie ab und an nach Ulm, Augsburg oder München. Dort gibt es größere Parkour-Gruppen und mehr
Orte zum
Austoben. Die
Szene ist gut vernetzt, weshalb sie Kollegen in Konstanz, Köln und Düsseldorf ebenfalls schon besucht haben. „Im vergangenen Sommer waren wir sogar in Lissabon“, erzählt Kevin. Das sei eine der besten Städte für Parkourliebhaber. In der Regel sind sie aber im Landkreis Günzburg unterwegs. Immer wieder entdecken sie spannende Stellen in Jettingen-Scheppach, Burgau und Rettenbach. Am besten kennen sie sich allerdings in Günzburg aus. Hier zeigen sie, was sie können. Vom eisigen Wind unberührt gleitet Philipp drei Meter durch die Luft; von einer Parkbank auf eine Mauer. Und dann springt Kevin doch noch einen Salto; von der Mauer auf die Parkbank. Anschließend geht es die Treppen hinab. Der eine rutscht auf dem Geländer, während der andere acht Stufen auf einmal nimmt. Obwohl Philipp deutlich länger Parkour praktiziert, befindet sich Kevin inzwischen auf gleichem Niveau. Jeder hat eigene Ideen, wodurch sie sich gegenseitig beeinflussen und verbessern. Auf die Frage nach Vorbildern, antworten sie: „Die haben wir nicht höchstens Inspirationen.“In diesem Sport zählt der Einzelne. Jeder kann sich individuell entfalten und ist für sich selbst verantwortlich. Gruppenzwang findet keiner statt. „Wir machen nur Sachen, die wir uns hundertprozentig zutrauen. Anfänger mahnen wir oft zur Vorsicht“, so Kevin. Diese Einstellung mag der Hauptgrund dafür sein, dass sie sich beide noch nie ernsthaft verletzt haben.
Philipp muss sich nun verabschieden. Doch Kevin demonstriert an weiteren Stellen in der Stadt seine Fähigkeiten. Nachdem er wieder auf Treppengeländern herumgehüpft ist, spricht ihn ein Fußgänger an. Der junge Mann checkt mit der Faust ein, gratuliert und plaudert kurz mit ihm. Als er seiner Wege geht, grinst Kevin und sagt: „Den habe ich noch nie gesehen.“Ein kurioses Hobby bringt nun mal viel Aufmerksamkeit mit sich.