Wehren, aber wie?
Eine Kriminalbeamtin erklärt in Leipheim, wo Frauen besonders gefährdet sind – und wann Hilfe zu holen mehr bringt als Zivilcourage
Leipheim Selbstbehauptung und Zivilcourage geht alle an. Trotzdem interessierten sich gerade einmal ein Dutzend Frauen und ein couragierter Mann für den Themenabend zu genau diesem in vielen Diskussionen so brisanten Thema. Eingeladen hatte die Frauen der Ortsverband Günzburg, als Referentin war Dagmar Bethke, Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer beim Polizeipräsidium Schwaben Süd/West in den Waldvogel nach Leipheim gekommen.
Überraschendes gab es gleich zu Beginn zu hören. Bethke sagte: „Frauen sind zu Hause mehr gefährdet als im öffentlichen Raum, sowohl was Gewalt als auch sexuelle Übergriffe betrifft.“Trotzdem bleibt dieses „mulmige Gefühl“, wie es zwei Damen aus dem Publikum nennen, vor allem nachts, im Park oder in Tiefgaragen. Die Kriminalbeamtin hakt nach: „Wie viel ist da von den Medien gemacht? Wer hat selbst schon einmal Derartiges erlebt? Wer kennt jemanden?“Allgemeines Kopfschütteln in dem zugegebenermaßen kleinen Kreis.
Trotzdem empfiehlt Bethke sich für alle Fälle Gedanke zu machen, welche Möglichkeiten an konkreten Orten des eigenen Alltags Mann oder Frau denn hätte, wenn es zu einem Übergriff käme. Fluchtwege seien ganz nüchtern durchzudenken. Eine tolle Sicherheit gebe ein Handy. Telefonierend die dunkle Straße entlang zu gehen, vielleicht auch zu erzählen, dass einem gerade jemand folge, sei eine Möglichkeit.
Zu bedenken sei, dass nicht jedes laute und gesellige Tun auf der Straße automatisch bedrohlich sei. „In anderen Kulturen ist das normal“, so Bethke. Kommt es zum Übergriff, sei Verteidigung immer sinnvoll, es bringe den Täter schlichtweg aus dem Konzept. Allein der Gedanke dieses „Ich kann und will mich wehren!“verändere die Wirkung, die eine Person auf andere mache. Ein gezielter Tritt gegen Schienbein oder auf Mittelfuß, ein heftiger Schlag mit den Händen auf die Ohren könnte einem die eine Sekunde Zeit verschaffen, um wegzurennen.
Wer auf Pfefferspray oder Gas setzt, sollte sich vorher überlegen, wo es hin gesprüht werden muss und welche Windrichtung herrscht. „Pfeffer auf die Schleimhaut, Gas auf die Kleidung.“Von Waffen und Messern hält Bethke eher weniger, da sie schnell gegen das Opfer verwendet werden können. Wirkungsvoll könne ein Schrillalarm-Stick am Schlüsselbund sein, der nach Abziehen der Schutzkappe mit 125 Dezibel losbrüllt.
Zur klassischen Mann-Frau-Beziehungskiste sagt die Fachfrau ganz klar: „Die Frau muss ihr Nein mit Tonfall, Körperhaltung, Gestik bekräftigen.“Bethke appelliert an die Frauen, immer ganz klar zu sagen, was man will oder nicht will. Im Bereich der Zivilcourage geht es darum, eigene Werte und Normen zu verteidigen und sich in Gefahr zu begeben. Das geht deutlich über die gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung hinaus. Zivilcourage erfordert Aufmerksamkeit für seine Mitmenschen und die Umwelt, das Eingreifen, auch wenn vielleicht alle anderen zuschauen, das Übernehmen von Verantwortung, aber auch das Abchecken von Handlungsalternativen und das Überwinden von sozialen Hemmschwellen, wie die, sich zu Blamieren. „Das alles passiert in sekundenschnelle in unserem Kopf.“
Ja, und dann können Zivilcourage und Dummheit nah beieinanderliegen, wenn ein schlechter Schwimmer in den See springt, um einen anderen zu retten. Auch bei alkoholisierten Gruppen, die Gewalt um der Gewalt willen provozieren, sei es ungeschickt, sich dazwischen zu stellen. „Ein Anruf bei der Polizei ist da sinnvoller.“Ein letzter Tipp für alle: „Wir müssen lernen, den Bäuchen zu vertrauen!“Unser Bauchgefühl liegt nämlich grundsätzlich richtig. Leider wurde es uns im Zuge unserer Erziehung oft abtrainiert.
Passend zum Thema Zivilcourage stellte dann Margit Werdich-Munk, Vorsitzende der Günzburger Frauen Union, noch die Frage, wie mit den Meldungen in den sozialen Medien, dass jemand Kinder vor der Schule beobachte, umzugehen sei. „Zuerst auf Wahrheitsgehalt prüfen. Und im konkreten Fall unverzüglich Fahrzeugtyp, Kennzeichen, Personenbeschreibung bei der Polizei melden“, antwortete Kriminalbeamtin Bethke. Und den Kindern nicht Misstrauen gegenüber allen Erwachsenen anerziehen.
Wie die Frauen werden sie nämlich am häufigsten in der Familie zum Opfer.
Ein gezielter Tritt oder ein heftiger Schlag