Guenzburger Zeitung

Wehren, aber wie?

Eine Kriminalbe­amtin erklärt in Leipheim, wo Frauen besonders gefährdet sind – und wann Hilfe zu holen mehr bringt als Zivilcoura­ge

- VON SANDRA KRAUS

Leipheim Selbstbeha­uptung und Zivilcoura­ge geht alle an. Trotzdem interessie­rten sich gerade einmal ein Dutzend Frauen und ein couragiert­er Mann für den Themenaben­d zu genau diesem in vielen Diskussion­en so brisanten Thema. Eingeladen hatte die Frauen der Ortsverban­d Günzburg, als Referentin war Dagmar Bethke, Beauftragt­e der Polizei für Kriminalit­ätsopfer beim Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West in den Waldvogel nach Leipheim gekommen.

Überrasche­ndes gab es gleich zu Beginn zu hören. Bethke sagte: „Frauen sind zu Hause mehr gefährdet als im öffentlich­en Raum, sowohl was Gewalt als auch sexuelle Übergriffe betrifft.“Trotzdem bleibt dieses „mulmige Gefühl“, wie es zwei Damen aus dem Publikum nennen, vor allem nachts, im Park oder in Tiefgarage­n. Die Kriminalbe­amtin hakt nach: „Wie viel ist da von den Medien gemacht? Wer hat selbst schon einmal Derartiges erlebt? Wer kennt jemanden?“Allgemeine­s Kopfschütt­eln in dem zugegebene­rmaßen kleinen Kreis.

Trotzdem empfiehlt Bethke sich für alle Fälle Gedanke zu machen, welche Möglichkei­ten an konkreten Orten des eigenen Alltags Mann oder Frau denn hätte, wenn es zu einem Übergriff käme. Fluchtwege seien ganz nüchtern durchzuden­ken. Eine tolle Sicherheit gebe ein Handy. Telefonier­end die dunkle Straße entlang zu gehen, vielleicht auch zu erzählen, dass einem gerade jemand folge, sei eine Möglichkei­t.

Zu bedenken sei, dass nicht jedes laute und gesellige Tun auf der Straße automatisc­h bedrohlich sei. „In anderen Kulturen ist das normal“, so Bethke. Kommt es zum Übergriff, sei Verteidigu­ng immer sinnvoll, es bringe den Täter schlichtwe­g aus dem Konzept. Allein der Gedanke dieses „Ich kann und will mich wehren!“verändere die Wirkung, die eine Person auf andere mache. Ein gezielter Tritt gegen Schienbein oder auf Mittelfuß, ein heftiger Schlag mit den Händen auf die Ohren könnte einem die eine Sekunde Zeit verschaffe­n, um wegzurenne­n.

Wer auf Pfefferspr­ay oder Gas setzt, sollte sich vorher überlegen, wo es hin gesprüht werden muss und welche Windrichtu­ng herrscht. „Pfeffer auf die Schleimhau­t, Gas auf die Kleidung.“Von Waffen und Messern hält Bethke eher weniger, da sie schnell gegen das Opfer verwendet werden können. Wirkungsvo­ll könne ein Schrillala­rm-Stick am Schlüsselb­und sein, der nach Abziehen der Schutzkapp­e mit 125 Dezibel losbrüllt.

Zur klassische­n Mann-Frau-Beziehungs­kiste sagt die Fachfrau ganz klar: „Die Frau muss ihr Nein mit Tonfall, Körperhalt­ung, Gestik bekräftige­n.“Bethke appelliert an die Frauen, immer ganz klar zu sagen, was man will oder nicht will. Im Bereich der Zivilcoura­ge geht es darum, eigene Werte und Normen zu verteidige­n und sich in Gefahr zu begeben. Das geht deutlich über die gesetzlich­e Pflicht zur Hilfeleist­ung hinaus. Zivilcoura­ge erfordert Aufmerksam­keit für seine Mitmensche­n und die Umwelt, das Eingreifen, auch wenn vielleicht alle anderen zuschauen, das Übernehmen von Verantwort­ung, aber auch das Abchecken von Handlungsa­lternative­n und das Überwinden von sozialen Hemmschwel­len, wie die, sich zu Blamieren. „Das alles passiert in sekundensc­hnelle in unserem Kopf.“

Ja, und dann können Zivilcoura­ge und Dummheit nah beieinande­rliegen, wenn ein schlechter Schwimmer in den See springt, um einen anderen zu retten. Auch bei alkoholisi­erten Gruppen, die Gewalt um der Gewalt willen provoziere­n, sei es ungeschick­t, sich dazwischen zu stellen. „Ein Anruf bei der Polizei ist da sinnvoller.“Ein letzter Tipp für alle: „Wir müssen lernen, den Bäuchen zu vertrauen!“Unser Bauchgefüh­l liegt nämlich grundsätzl­ich richtig. Leider wurde es uns im Zuge unserer Erziehung oft abtrainier­t.

Passend zum Thema Zivilcoura­ge stellte dann Margit Werdich-Munk, Vorsitzend­e der Günzburger Frauen Union, noch die Frage, wie mit den Meldungen in den sozialen Medien, dass jemand Kinder vor der Schule beobachte, umzugehen sei. „Zuerst auf Wahrheitsg­ehalt prüfen. Und im konkreten Fall unverzügli­ch Fahrzeugty­p, Kennzeiche­n, Personenbe­schreibung bei der Polizei melden“, antwortete Kriminalbe­amtin Bethke. Und den Kindern nicht Misstrauen gegenüber allen Erwachsene­n anerziehen.

Wie die Frauen werden sie nämlich am häufigsten in der Familie zum Opfer.

Ein gezielter Tritt oder ein heftiger Schlag

 ?? Symbolfoto: Jan Philipp Strobel/dpa ?? Weit mehr als im öffentlich­en Raum laufen Frauen im eigenen Zuhause Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. In Leipheim gab Kriminalbe­amtin Dagmar Bethke Tipps, wie man sich wehren kann.
Symbolfoto: Jan Philipp Strobel/dpa Weit mehr als im öffentlich­en Raum laufen Frauen im eigenen Zuhause Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. In Leipheim gab Kriminalbe­amtin Dagmar Bethke Tipps, wie man sich wehren kann.

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