Kunstvolle Funde aus römischer Zeit – und ein Rätsel
Forscher haben einen Teil des ehemaligen Osterlehner-Areals in Günzburg untersucht. Dabei entdeckten sie auch ein Skelett
Günzburg Die alten Römer sind so fern – und doch so nah. In Günzburg sowieso. Auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei Osterlehner an der Maria-Theresia-Straße entsteht ein neues Baugebiet (wir berichteten). Bevor die Bauarbeiter anrückten, hatten Archäologen den Boden untersucht – und dabei bemerkenswerte Funde aus römischer Zeit gehoben: unter anderem schöne Fibeln und einen Schreibgriffel, dazu jede Menge Keramikscherben, Knochen von Rindern oder Schweinen sowie einen Toten, dessen irdisches Ende noch Rätsel aufgibt.
Günzburg, das römische Gontia, darf sich rühmen, das am besten erforschte römische Gräberfeld nördlich der Alpen sein eigen zu nennen. Die meisten Funde wurden an der Ulmer Straße in Richtung Leipheim gemacht. Aber auch in der Innenstadt waren, wenn auch sehr viel seltener, Raritäten aus antiker Zeit gefunden worden. Nun also auch auf dem Gelände der früheren Gärtnerei Osterlehner. Verantwortlicher Grabungsleiter war Manfred Woidich aus Harburg, der im Februar mit einem fünf- bis siebenköpfigen Team den Baugrund an der Maria-Theresia-Straße durchsucht und unter die Lupe genommen hat.
Zutage gefördert wurde zunächst ein neuzeitlicher Fund, ein Erdkeller, der vermutlich aus der Zeit der Renaissance stammt. In anderen Erdschichten stießen die Forscher auf Funde aus der Römerzeit. Mutmaßlich stammen sie aus dem ausgehenden 1. Jahrhundert nach Christus. Entdeckt wurden zum Beispiel kleinere und größere Gräben, mit denen vermutlich Grundstücksparzellen abgesteckt worden waren. „Das ist aber nur eine Arbeitshypothese“, erklärt Woidich.
Entdeckt wurden ferner zum Teil sehr große Gruben, aus denen die Römer wahrscheinlich Sand und Kies geschaufelt hatten, um Material für ihre Bauwerke in Gontia zu gewinnen. In der Folge wurden die Gruben dann offenbar als Müllhalden genutzt – sehr zur Freude der Forscher. Denn geborgen hat das Grabungsteam die Reste von Dachziegeln und Backsteinen, eine Vielzahl von Keramikscherben und Überbleibsel von Terra sigillata, dem gehobenen Gebrauchsgeschirr der Römer. Wo das Geschirr gefertigt wurde – denkbar sind Italien oder Gallien, aber auch das hiesige Rätien – kann erst im Laufe weiterer Untersuchungen ermittelt werden. Aufschluss könnten Stempel geben, die bei der Fertigung in das Geschirr gedrückt oder geritzt worden waren. In einer der Abfallgruben sind auch die Knochen eines Rindes oder eines Pferdes gefunden worden.
Fibeln sind Gewandspangen, mit denen die Römer ihre Kleidung, Umhänge oder Mäntel zusammengehalten haben. Einige besonders schöne Exemplare sind auf dem Osterlehner-Areal gefunden worden. Darunter ist eine Fibel, von den Römern fibula genannt, mit einer Verzierung aus Lapislazuli und einem fein modellierten Schweinskopf am Ende. Grabungsleiter Manfred Woidich: „Das ist ein ganz besonderer Fund.“Einer, der freilich erst noch vorsichtig und fachkundig gesäubert werden muss, um seine ganze Schönheit zu entfalten. Vom Feineren ist auch ein Schreibgriffel, Stilus genannt, mutmaßlich kunstvoll geschnitzt aus Knochen oder Geweih, mit dem die Römer auf ihren Wachstafeln geschrieben haben.
Näherer Untersuchungen bedarf ein weiterer Fund – das Skelett eines Mannes, das auch in einer der Gruben entdeckt wurde. War er ermordet und heimlich verscharrt worden? Oder war er einer Seuche zum Opfer gefallen und deshalb im Randgebiet des römischen Gontia beerdigt worden? „Eine reguläre Bestattung war es jedenfalls nicht“, ist Woidich überzeugt. Die Klärung steht noch aus. Gegraben haben die Archäologen nur im Bereich, der die Gartenanlage des neuen Wohngebiets auf dem Osterlehner-Areal bilden wird. Die Grundstücksgebiete, die wieder überbaut werden, sind nicht durchsucht worden. Der Grundsatz lautet: Was im Boden besser konserviert wird, sollte dort auch bleiben. In der Hoffnung, dass kommende Generationen noch bessere Methoden der Erforschung und Konservierung antiker Funde zur Hand haben mögen. Insoweit ist die Geschichte der römischen Vergangenheit Günzburgs längst nicht abschließend beschrieben.