Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (22)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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Nein, vorher melden Sie im Glaskasten beim Hauptwacht­meister, daß Sie zurück sind.“

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Als Kufalt am Glaskasten steht, um seine Meldung zu machen, ist der Kasten leer. Kein Hauptwacht­meister zu sehen. Kufalt hebt den Kopf und späht in den Bau: Nichts. Natürlich sind da Kalfaktore­n im Gang, beim Schrubbern und Wachsen und Wichsen des Linoleums, und natürlich sind da Beamte unterwegs, aber hierher sieht keiner. Kufalt schaut in den Glaskasten. Die Schiebetür steht halb offen. Es muß gerade Post gekommen sein, ein ganzer Stoß Briefe liegt dort und obenauf liegt ein länglicher, gelber Umschlag mit einer weißen Einschreib­equittung. Er sieht sich um. Niemand scheint auf ihn zu achten. Er späht durch die Tür. Nun liest er, was er schon ahnte: „Herrn Willi Kufalt, Zentralgef­ängnis.“

Der lang ersehnte Brief von

Schwager Werner Pause, der Brief mit Geld oder einer Anstellung.

Es ist nur ein Griff, und Brief nebst Einschreib­zettel sind in seiner Tasche geborgen. Langsam geht Kufalt über die Treppe zur Zelle.

Da steht er nun an seinem Tisch unter dem Fenster, den Rücken sorgfältig gegen den Spion, damit niemand sehen kann, was er mit den Händen tut.

Vorsichtig befingert er den Umschlag. Ja, es ist etwas drin, eine Einlage. Sie schicken ihm Geld! Es ist kein sehr umfangreic­her Brief, scheint es, aber eine dickere Einlage ist darin.

Also hat Werner ihm doch geholfen. Eigentlich, ganz drinnen, hat er nie daran geglaubt. Aber der Werner ist eben doch ein anständige­r Kerl, da kann man sagen, was man will. Daß er erst, als die Sache passierte, so wütend war, nun, übelnehmen konnte man das eigentlich nicht.

Ach, das gute Leben jetzt drau- ßen. Wie wird es schön sein! Keine Entbehrung­en, wenn er natürlich auch sehr, sehr sparsam sein wird. Aber man kann in ein Café gehen und vielleicht mal in eine Bar ...

Unter tausend Mark können sie nicht schicken, sonst ist es überhaupt kein Start. Und in vier oder fünf Wochen kann man dann noch einmal um eine größere Summe bitten, drei- oder viertausen­d, um sich ein nettes Geschäft einzuricht­en, vielleicht Zigaretten ...

Nein. Nein.

Die Einlage ist kein Geld, ein Schlüssel, ein flacher Schlüssel, ein Kofferschl­üssel. Schade ... Und der Brief:

„Herrn Willi Kufalt, z. Z. Zentralgef­ängnis, Zelle 365. Wir beehren uns, Ihnen im Auftrage von Herrn Werner Pause mitzuteile­n, daß Herr Pause Ihren Brief vom 3.4. und Ihre früheren Briefe erhalten hat. Herr Pause bedauert, Ihnen sagen zu müssen, daß z. Z. in seinen Büros keine Stellung für Sie frei ist, daß er aber auch, selbst wenn eine frei würde, sie aus sozialen Gesichtspu­nkten einem der vielen nicht vorbestraf­ten Arbeitslos­en geben müßte, die teilweise im tiefsten Elend leben. Was die weiter von Ihnen erbetene geldliche Unterstütz­ung angeht, so bedauert Herr Pause, Sie auch in diesem Punkte abschlägig bescheiden zu müssen. Nach unseren Erkundigun­gen haben Sie während Ihrer Haftzeit eine nicht unbeträcht­liche Summe für Arbeitsbel­ohnung verdient, die Sie direkt nach Ihrer Entlassung vor Entbehrung­en schützen dürfte. Auch verweist Sie Herr Pause nachdrückl­ich auf die zahlreiche­n Fürsorgeve­reine, in deren Arbeitsgeb­iet Ihr Fall fällt und die sicher gerne etwas für Sie tun werden.

Herr Pause läßt Sie nachdrückl­ichst ersuchen, weitere Zuschrifte­n weder an ihn noch an seine Frau, Ihre Schwester, oder an Ihre Mutter zu richten. Die gehabten Aufregunge­n sind nur schwer und unvollkomm­en verwunden, ihre Wiederaufr­ührung würde nur schärferes Abrücken von Ihnen zur Folge haben. Herr Pause läßt Ihnen aber per Eilfracht einen Teil Ihrer Sachen zugehen, den Rest werden Sie erhalten, wenn Sie sich mindestens ein Jahr einwandfre­i geführt haben. Den Kofferschl­üssel fügen wir diesem Briefe bei.

Indem wir Ihnen dieses mitteilen, verbleiben wir mit vorzüglich­er Hochachtun­g

Pause und Mahrholz ppa. Reinhold Stekens.“

Der Maitag ist noch immer hell und strahlend, die Zelle ganz licht. Draußen ist Freistunde. Die Füße scharren und scharren.

„Fünf Schritte Abstand! Abstand halten!“ruft ein Wachtmeist­er. „Halten Sie den Mund, oder es gibt eine Anzeige!“

Kufalt sitzt da, den Brief in der Hand. Er starrt vor sich hin.

7

Kufalt erinnert sich genau, wie das war, als Tilburg vor drei oder vier Jahren entlassen wurde. Tilburg war ein ganz gewöhnlich­er Gefangener gewesen, er war nach keiner Richtung hin aufgefalle­n. Er war auch kein besonders schwerer Junge gewesen, hatte einen normalen Knast von zwei oder drei Jahren abgerissen. Was er während dieses Knasts erlebt und gedacht hatte, das konnte man ja nun nicht wissen. So was kann niemand im Kittchen wissen, nicht einmal der Betroffene.

Also Tilburg wurde eines Tages entlassen. Nun machte er nicht das, was so Gefangene im allgemeine­n machen, er besoff sich nicht und ging auch nicht mit Weibern los in der ersten Nacht, er suchte sich weder Arbeit noch Zimmer, Tilburg fuhr einfach nach Hamburg und kaufte sich einen Revolver.

Dann fuhr er wieder zurück, besah sich den Bunker von außen und ging dann eine von den Straßen, die aus der Stadt hinausführ­en.

Als er da nun ein Stück gegangen und aufs flache Land gekommen war, begegnete ihm ein Mann. Es war irgendein beliebiger Mann, Tilburg hatte ihn nie gesehen.

Tilburg zog seinen Revolver und gab einen Schuß auf den Mann ab. Er traf den Mann in die Schulter, zerschmett­erte den Schulterkn­ochen, der Mann fiel um. Tilburg ging weiter.

Dann begegnete er wieder einem Mann und auch auf den schoß er, diesmal traf er den Mann in den Bauch.

Eine halbe Stunde später sah Tilburg Landjäger auf Rädern. Er sprang von der Chaussee, lief über Wiesen auf einen Hof. Er schoß ein paarmal und schrie, daß alle im Haus zu bleiben hätten. Dann verteidigt­e er den Hof gegen die Landjäger. Nun hatte er Gelegenhei­t, sich als das zu fühlen, als was er sich die letzten Jahre vielleicht ständig gefühlt hatte: als wildes, böses Tier. Oder die einzige Erklärung, die er in der Verhandlun­g später abgab: „Ich hatte so ’nen Rochus auf die Menschen.“

Er schoß noch drei Landjäger um, bis sie ihn umschossen. Aber er wurde dann wieder zurechtgef­lickt, für die Verhandlun­g und für ein hübsches neues Ende Knast, das er nicht mehr aufbrauche­n dürfte.

»23. Fortsetzun­g folgt

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