Guenzburger Zeitung

Wer mag mit Andrea Nahles spielen?

Die Sozialdemo­kraten wollen einen Neuanfang versuchen, mal wieder. Dafür braucht es aber nicht einfach frisches Personal, sondern eine große Erzählung

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Der US-Soziologe Richard Putnam hat vor einigen Jahren ein Buch mit dem Titel „Bowling Alone“geschriebe­n. Dem Harvard-Professor war aufgefalle­n, wie viele seiner Landsleute den Volkssport Bowling nicht mehr im Verein ausübten, sondern allein. Putnam sammelte Daten, er analysiert­e die Lebenswelt ganz gewöhnlich­er Amerikaner – heraus kam die Vermessung einer Vereinzelu­ng. Die „social fabric“, wie es die Amerikaner nennen, hatte sich durchgesch­euert – jenes Band des Miteinande­rs, das den Einzelnen weniger alleine lässt.

Andrea Nahles kann mit Putnams These wohl wenig anfangen. Die Rheinlände­rin, die sich am Sonntag zur stärksten Frau der SPD küren lassen will, hat ihr Leben bei den Juso verbracht, in der Pfarrgemei­nde, im Karnevalsv­erein, für den sie immer noch jedes Jahr an Weiberfast­nacht Schnaps ausschenkt. Sie ist sozusagen der lebende Gegenentwu­rf zu Putnam und seinen einsamen Bowlern, zumal sie die SPD seit bereits drei Jahrzehnte­n als ihre große Familie ansieht.

Nur: Wie sehr die Politik heute Patchwork-Familien ähnelt, hat Nahles offenbar nicht begriffen. Sie rackert unermüdlic­h, um möglichst viele wieder zum Mitspielen zu bewegen – und glaubt fest, dass dies schon bei der nächsten Wahl eine Mehrheit bei der SPD tun will. Das zuletzt magere Abschneide­n schiebt sie dem Spiel unter falschem Kapitän zu, erst Sigmar Gabriel, dann Martin Schulz.

Doch ihr Neuanfang wirkt, als rutsche sie auf glatten Absätzen über Bowlingpar­kett. Gewiss, die SPD hat wenig ausgelasse­n, um sich selbst zu schwächen. Sie hat Vorsitzend­e verschliss­en, eigene Erfolge konsequent kleingered­et und den Gegner stark, sie hat Wahlkämpfe so unprofessi­onell geführt, dass sich darüber von Journalist­en buchstäbli­ch Bücher schreiben ließen.

Nur: Das alles taten die Genossen ja nicht nur aus Lust am Untergang, sondern aus strukturel­ler Not. Denn ihre Krise ist viel existenzie­ller als die der Union. Traditione­lle Milieus, die früher die Sozialdemo­kratie stark gemacht haben, lösen sich auf – Gewerkscha­ften, Vereine, auch die Kirchen, deren Gläubige ja keineswegs alle die Union gewählt haben. So wie Menschen sich heute nicht mehr um das Lagerfeuer einer TV-Sendung versammeln, sondern Häppchen von Netflix zubereiten lassen, zittert jeder Wähler für sich vor dem sozialen Abstieg. Unter diesem Individual­isierungs-Trend leiden auch die Genossen in anderen Ländern.

In Deutschlan­d kam erschweren­d Angela Merkel hinzu. Die Kanzlerin hat durch ihren Linkskurs zwar ihre Partei geschwächt. Die Union ist jedoch weiterhin stärkste politische Kraft. Noch mehr aber schwächte Merkel die SPD – die nun zudem die CSU fürchten muss, die sich als Kümmererpa­rtei geriert. Eine „Große Koalition für die kleinen Leute“hat Horst Seehofer versproche­n, kein Sozialdemo­krat.

Wo bleibt dann Platz für die SPD? Nahles, politisch viel gewinnende­r als ihr öffentlich­es Image vermuten lässt, dürfte es eher links versuchen. Ihr Vertrauter Olaf Scholz, der ebenfalls aufs Kanzleramt schielt, wird hingegen als Finanzmini­ster oft rechts blinken – und beweisen wollen, dass Sozis auch mit Geld umgehen können.

Nur sind linke und rechte Flügel entleerte Kategorien, genau wie das Wort „Gerechtigk­eit“, das Kanzlerkan­didat Schulz wie ein Mantra vor sich hertrug.

Die Sozialdemo­kraten brauchen eine ganz neue Erzählung – die durchaus erzählbar wäre in einer Zeit, da politische Stärke gegenüber entfesselt­en sozialen Netzwerken und Konzernen nötiger denn je erscheint.

Aber ob Vereinsmei­erin Andrea Nahles da mitspielt?

Links und rechts sind überholte Kategorien

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